Ambiente | VERANTWORTUNG

Der Mensch und die Natur

Wir sind für viele Naturkatastrophen verantwortlich. Mensch sein heißt auch und vor allem: den nächsten Lieben, Mitmenschen und Umwelt.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
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Foto: olbia.it

Flüsse treten über die Ufer, Lawinen ergießen sich in Dörfer, Züge entgleisen und Kirchen laufen mit Wasser voll. In den Augen der Menschen steht die Verzweiflung. Trauer um verlorenen Besitz, um verlorene Herzensdinge. Doch es zeigt sich auch etwas anderes: die Fähigkeit der Menschen, einzugreifen und gemeinsames Handeln zu koordinieren, ihr Mitgefühl und Handlungswille. Die rund um die Uhr aktive Feuerwehr, der perfekt organisierte Zivilschutz – dahinter steckt eine Einstellung des Nicht-Aufgeben-Wollens. Dieser Tage kam ich mit dem Zug aus Hamburg zurück; das letzte Stück fuhr ich mit dem Auto bis nach Zwischenwasser. In diesem kleinen Örtchen steckten die Menschen fest. Einige waren deswegen genervt, doch die meisten warteten einfach geduldig ab. Ich bin dann einfach zu Fuß weitermarschiert, und während ich ganz allein auf der menschenleeren Straße unterwegs war, stürzten weiterhin Bäume unter der Schneelast ein und das permanente, unheimliche Krachen abbrechender Äste ließ in mir Gefühle von Hilf- und Schutzlosigkeit hochsteigen. Und doch sind wir selbst verantwortlich für viele Naturkatastrophen, auch wenn wir davor nur allzu oft die Augen verschließen.

Für viele Menschen sind die Prioritäten andere: Sie wollen sich vor dem Unbekannten schützen, Erfolg haben, an die eigene Gesundheit denken, gut altern, sich irgendwie abhärten.  So denkt – und das ist bis zu einem gewissen Punkt legitim und verständlich – der Durchschnittsmensch, der normale Mensch. So denkt der Mensch, der nach Ruhe sucht und sich in der Mittelmäßigkeit wohlfühlt. Während ich also mutterseelenallein durch die Landschaft stapfte, hin- und hergerissen zwischen der Angst, von einem umstürzenden Baum begraben zu werden und dem Staunen über diese unglaubliche Kraft der Natur, musste ich auch daran denken, wie gefährlich der Mensch werden kann, wenn er sich aus lauter Zufriedenheit mit sich selbst nicht mehr aktiv für eine bessere Welt einsetzt. Wenn er vor lauter Konzentration auf sich selbst den Rest der Welt völlig aus den Augen verliert, obwohl es eine Welt ist, zu der er selbst gehört.

Es ist der Typ Mensch, der sagt „Ich bin kein Rassist, aber…“. Es ist der Mensch, der behauptet, dass es gewaltige Schneefälle im November und auch im Oktober und auch im August immer schon gegeben hat. Es ist der Mensch, der der Politik die Schuld gibt und der sich über nichts mehr entrüstet. Es ist der Mensch, der sich verhält wie der berühmte Frosch im Kochtopf, der das Wasser auch dann noch erträglich findet, wenn es schon kurz vor dem Kochen ist. Der normale Durchschnittsmensch ist und lebt so; er macht es sich in seiner banalen, mittelmäßigen Identität gemütlich, versteckt sich hinter seinem Ich und wird in seiner eigentlichen Meinungslosigkeit allmählich zum Rassisten, Faschisten, Sklavenhändler.

Ich jedoch glaube an die Kraft jener anderen Menschheit. An Menschen, die ihre höchsten Hoffnungen mit Mut, Leidenschaft und Sinnlichkeit vorantreiben. Ich glaube an Menschen, die sich nicht nur mit ihrem Wissen, sondern auch mit konkreten Aktionen zeigen. Menschen, die sich um die Bedeutung des Lebens kümmern, weil sie nicht möchten, dass es zum Gespött kleingeistiger Hassprediger wird. An Menschen, die nicht nur für ihre eigenen, exklusiven Bedürfnisse leben, sondern die über den Schatten ihres eigenen Ichs hinausblicken. Mensch sein. Ein menschliches Wesen sein. Auf einer Tafel stand einmal geschrieben: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Wenn wir unseren Nächsten nicht lieben können, können wir auch uns selbst nicht lieben. Und umgekehrt. Die Liebe für unseren Mitmenschen, die sich nicht nur auf ein schlichtes rationales Gefühl reduzieren lässt, ist der Schlüssel zu allem.

Der Schaum vorm Mund der Hetzer und Aufwiegler, die den nächsten Flüchtling hassen, den nächsten Überlebenden, den nächsten Verlierer, bezeugt doch nur, dass diese Menschen sie selbst nicht lieben können. Sie haben rote Gesichter und erhöhten Blutdruck, aber keine Spur von Liebe in sich und können einem eigentlich nur leidtun. Schade nur, dass sie bei ihrer Höllenfahrt in die Abgründe des Hasses andere, ebenfalls zur Eigenliebe unfähige Menschen mitreißen. Aber was für ein Leben kann denn ein Leben ohne Liebe sein? Es sollte uns eine Herzensangelegenheit sein, uns nicht mehr nur um unser eigenes Wohlergehen zu kümmern, sondern für die göttliche Natur dazusein, die keiner versteht oder definieren kann. Mittelmäßigkeit müssen wir durch Mut ersetzen. Wie der Feuerwehrmann, der drei Nächte hintereinander nicht schläft und sein Leben für den Nächsten riskiert. Wie es die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in der ganzen Welt machen. Wie es Mütter und Väter tun, die ihre Kinder großziehen. Wie es jeder bei ganz kleinen Alltagshandlungen tut. Wie es die Tausende von Menschen tun, die sich in Bologna und Modena versammelt haben, nicht um gegen einen gewissen Populisten zu protestieren, sondern einfach nur um durch ihr schlichtes Dasein zu bezeugen, dass dessen Geschrei und Lügen nirgendwo hinführen, es sei denn in den Abgrund. Wie es ein Mensch tut, der daran glaubt, dass in jedem Menschen noch eine bessere Version dieses Menschen steckt. Der weiß, dass Tatenlosigkeit die schlechteste Lösung ist. Denn dieser Mensch weiß, dass wir nicht mehr allzu viel Zeit haben, und dass die überschwemmte Piazza San Marco in Venedig, wenn wir nicht rasch unsere Intelligenz zum Wohle der gesamten Menschheit einsetzen, nur der kleine Auftakt zu einer angekündigten Katastrophe sein wird. 

Und nun, während immer noch reichlich Schnee fällt, prallt dieses wunderbare, weiche Wohlgefühl auf unsere Panik gegenüber dieser unglaublichen Naturgewalt, gegen die wir nichts ausrichten könnten. Oder besser, sie hakt sich bei ihr unter. Aber nein, natürlich könne wir etwas ausrichten, denn keine Naturgewalt ist so schlimm wie die Gewalt des Menschen. Der Mensch hat die Natur ihrer Natur beraubt. Er hat sie unkenntlich und unpassierbar gemacht, hat ihre Schönheit zerstört und ihre Integrität der Technik geopfert. Oder dem Konsumrausch. Mehr als je zuvor muss der Mensch wieder lernen, mit der Natur zu leben, wenn er verhindern will, dass die Welt ihrer Natur vollständig beraubt wird.

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Sepp.Bacher Gio, 11/21/2019 - 15:53

Schöner Beitrag Michil Costa! Die Natur und das Klima; unser Erbe ungemindert an die nächsten Generationen weitergeben; sich mit Greta Thunberg solidarisieren und eine große Bewegung gründen, der auch Kompatscher und Achammer ihre Solidarität ausgesprochen haben. Leider folgen keine Konsequenzen: das Flughafen-Projekt wird trotzdem weiter geführt; im Haushaltsvoranschlag haben die beiden Herren anscheinend keine speziellen Klimamaßnahmen vorgesehen, auch nicht mehr Geld für Klima und Naturschutz! Kompatscher träumt von Millionen Bäumen, die er in Afrika pflanzen will anstatt hier jeden Baum zu ersetzen, der durch Umwidmung von Auwäldern und Biotopen, die durch den Bau von Pisten, Tourismus- und Gewerbe-Zonen gerodet werden! Wer fängt wo an?

Gio, 11/21/2019 - 15:53 Collegamento permanente
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Günther Mayr Mer, 11/27/2019 - 17:20

nicht anfangen,
nicht aufhören!!!
dazu braucht es keine glaubwürdigkeitsanleihe vom dalailama... oder bmw
jeder tag, eine neue freude, eine neue pflicht!
soweit ist's bis zur eigenen haustür nicht.
und bis zum nachbar auch nicht.
so denn

Mer, 11/27/2019 - 17:20 Collegamento permanente