Economia | „VERDECONOMIA MITTENDRIN“, TEIL 5

Bei PUR Südtirol, auf den Spuren der "neuen" Wirtschaft

Es ist der Morgen des ersten Oktobers, und beim Frühstückskaffee klingelt die nächste Terminerinnerung von „verdECOnomia mittendrin“ auf meinem Mobiltelefon. Heute auf dem Programm: das Konzept von „PUR Südtirol“ kennenlernen. Ein spannendes Gespräch mit Ulli Wallnöfer und Günther Hölzl, geschäftsführende Gesellschafter von PUR Südtirol steht Klaus Egger und mir, von der Arbeitsgruppe „Grüne Wirtschaft“ bevor.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Ihr Faible für gutes, gesundes Essen aus der Region, die Liebe zur Natur und die Begeisterung für erstklassige Produkte hat Sommelier Günther Hölzl und Ulrich Wallnöfer, Vertriebs- und Marketingexperte, der immer schon den Bereich Lebensmittel kultivierte, zusammengeführt. Aus einer gemeinsamen Idee, regionale Produkte für jeden zugänglich zu machen und ambitionierten Bauern einen Markt zu erschließen, entstand PUR Südtirol – der Genußmarkt: Ein Unternehmen, der im engen Partnerschaftsverhältnis mit 220 Zulieferern ausschließlich regionale Produkte entwickelt und vertreibt.

Vollwertnudeln mit Regiokorn

Günther empfängt uns in der Logistikzentrale des Unternehmens in Lana und führt uns durch das nach modernsten Konzepten bewirtschaftete Lager. Regalreihe über Regalreihe entwickelt sich ein beeindruckendes Bild der Logistik des Unternehmens. Ziel dieser ersten Besichtigung ist aber der Produktionsraum von Alexander Gross und seiner „Pastalpina“. 

Bei Alexander werden Vollwertnudeln produziert, bei denen ausschließlich aus  biologischer Landwirtschaft stammendes Getreide eigens frisch gemahlen wird. Wir kommen dabei gleich auf das „Regiokorn“ Projekt zu sprechen, einer Kooperation vom TIS innovation park, dem Südtiroler Bauernbund und dem Versuchszentrum Laimburg. Auf ursprünglich circa 70 Hektar im Raum Pustertal, Vinschgau und Eisacktal werden gut 240 Tonnen einheimisches Getreide, laut den Vorgaben des Regiokorn-Projektes, angebaut: Davon im ersten Jahr 84 Prozent Roggen und 16 Prozent Dinkel. Alexander erklärt uns, dass im letzten Jahr die Menge leicht auf ca. 262 Tonnen gestiegen ist, im Verhältnis wurde mehr Dinkel angebaut. Alexander produziert verschiedene Nudelsorten daraus. In einer kleinen Manufaktur wird mehrmals in der Woche das Biogetreide in kleinen Einheiten vermahlen und frisch verwendet. So ist sichergestellt, dass das gesamte Korn (inklusive dem wertvollen Keimling) verwendet wird.

Das Ergebnis: Vollwertnudeln mit Genuss, wie Alexander es ausdrückt.

Wie Klaus anmerkt, reicht der Regionkorn alleine von der Menge bereits heute nicht aus, um die Nachfrage zu bedienen: schon an die 40 Bäckereien möchten heute schon mit Regiokorn beliefert werden. Ausgeschlossen, dass alle Brötchen aus diesem regionalen Produkt gebacken werden können.  Bereits nach wenigen Minuten sind wir an den Kern dessen, was regionale Produktvermarktung ausmacht, gelangt: zuerst betreibt man als Unternehmer lediglich Aufklärung, um ein Kundensegment für regionale Produkte zu begeistern, die unter schwierigen Bedingungen und viel Idealismus produziert werden. Erst wenn die Nachfrage steigt, kann man Bauern zur Produktion von regionalen und biodiversen Nahrungsmitteln anregen, und damit der Tendenz zu Monokulturen entgegenwirken.

Kühe sollten normales Gras essen dürfen…

Meint Günther, als er uns erzählt, wie er auf der Prader Alm bei Stilfs drei Tage auf Käseproduktion war. Ohne normales Gras als Futter gelingt aber kein vernünftiger Almkäse. Bei Silagefutter entstehen nämlich ganz andere Fettmoleküle, mit denen die Produktion eines hochwertigen Rohmilchkäses, der reifen muss, nicht klappt. Klaus weiß zu berichten, wie heutzutage der Großteil des Futters der Südtiroler Milchkühe aus europäischer Silage, das Kraftfutter sogar aus Übersee  stammt. Ist unsere Milch damit wirklich ein zu 100% „regionales Produkt“? Eher nicht, müsste man hier klar sagen. Klaus befürchtet, dass unsere Bauern heute keine „freien Bauern“ sind, da sie häufig die Ziele umsetzen müssen, die die Genossenschaft vorgibt. Wenn eine Genossenschaft zum Beispiel kein Interesse an Bioprodukten hat, dann kann der Bauer, der „Bio“ produzieren möchte, nicht über seine Genossenschaft vertreiben. Es kommt damit zur absurden Situation zum Beispiel eines Milchbauern, dessen Kühe gesundes Heu essen und naturgemäß niedrige Erträge, aber hohe Qualität haben. Diese hochwertige Milch wird aber beim Abholen mit der Milch eines Bauern vermischt werden, der ausschließlich zugekaufte Silage verarbeitet und Jahr für Jahr neue Rekorderträge verbucht. Was für eine verlorene Chance!

Das Konzept PUR Südtirol

Mit der Idee zu PUR Südtirol gingen Ulli und Günther schon längere Zeit schwanger, bis sie vor 4 Jahren die Marke aus der Taufe hoben. Die Kernphilosophie des Unternehmens lässt sich mit drei Punkten zusammenfassen:

  1. Vertrieb von ausschließlich regionalen Produkten.
  2. PUR Südtirol versteht sich als Nahversorger.
  3. Und arbeitet mit einem Vollsortiment.

Während wir uns in die Unternehmensphilosophie vertiefen, fällt uns der Stuhl auf, auf dem wir sitzen. Es ist der „Pressed Chair“ des Meraner Designer und Künstler Harry Thaler, der nun sogar von Moormann produziert wird. So wie auch die restliche Einrichtung der Räume von PUR Südtirol von Harry Thaler projektiert wurde. Günther und Ulli wollen uns damit zeigen, wie selbst im Möbelbereich Südtiroler Produkte Erfolg haben können: Der Stuhl aus gepresstem Blech ist auf das absolut Wesentliche reduziert und ist ein hervorragendes Beispiel für das Prinzip der Suffizienz. Die Sitzauflage wiederum stammt aus Wolle von Ultner Schafen.

Über 1800 Produkte werden von PUR Südtirol heute ganzjährig angeboten, bei Obst und Gemüse natürlich nur saisonal. Damit, so Günther, verliert man zwar Jahr für Jahr Kunden, aber Importprodukte kommen für ihn einfach nicht in Frage.

Die Ausgaben für Lebensmittel

Ulli hat ein paar Zahlen zur Hand, als wir darüber nachdenken, ob regionale Nahrungsmittel in der Mitte unserer Gesellschaft ankommen könnten. Regionalität ist vielen Menschen ein Wert für sich, meint Ulli, aber häufig wird ihm dann erklärt, dass man sich die höheren Kosten für regionale Lebensmittel einfach nicht leisten könne. Statistiken an der Hand beweist uns Ulli, wie heute ca. 13-14% der Haushaltsausgaben in Südtirol (Italien: 12-13%) für Lebensmittel ausgegeben werden. In Deutschland sind es ca. 9,5%, in Frankreich ganze 20%. Und dies, wohlgemerkt, bei vergleichbaren Durchschnittseinkommen.

Was Ulli uns damit sagen will: das Potential ist groß! Wenn sich die Werte unserer Gesellschaft verschieben können, dann kann im Bereich regionaler Lebensmitteln viel geschehen. Keiner muss dafür auf seinen Flachbildfernseher verzichten (wenngleich auch ein kleinerer, oder der Verzicht auf ein Zweit- oder Drittgerät durchaus anzusprechen wäre). Es reicht folgende kleine Überlegung: die Durchschnittsausgaben von Herr und Frau Südtiroler für Lebensmittel liegen bei ca. 2600 EUR/Jahr, während die für Glücksspiel bei 2000 EUR/Jahr. Wir schrecken auf. Voraussetzung für ein Umdenken liegt aber tatsächlich in der Sensibilisierung der KonsumentInnen, dass ein regionales Produkt einen echten Mehrwert darstellt. Dass regionale Einkaufen geradezu „cool“ ist. Mit erhobenem Zeigefinger allein kann man den Konsumenten (und wohlgemerkt: auch Wähler) nicht erreichen!

Die Slow Food Werte

Als wir nachbohren, welche Werte hinter PUR Südtirol stecken, liegt die erste Antwort in den typischen Slow Food Werten, aus der dann aber noch weiteres folgt:

  1. Gut, sauber, fair. Das sind die Slow Food Werte, nach denen Ulli und Günther denken und handeln. Gute Ernährung beruht auf fairer und sauberer Produktion, und es ist möglich, einen Weg von schnellen Massenprodukten zum wahren Genuss von Nahrung zurückzufinden. Voraussetzung ist, dass man sich wieder dafür interessiert, was genau auf unseren Tellern kommt.
  2. PUR Südtirol versteht sich dabei als Brücke zwischen Konsument und Lieferant. Günther und Ulli wollen den Konsumenten für regionale Produkte affin machen, und diese Nachfrage zum Produzenten transportieren.
  3. Die geführten Produkte sollten regional sein, bestmöglichst Bio.
  4. Die Nachhaltigkeit. Die Unternehmer Ulli Wallnöfer und Günther Hölzl beschäftigen sich schon seit Langem mit Nachhaltigkeit. Auf den Punkte gebracht: man will sich von den eigenen Kindern in Zukunft nicht vorwerfen lassen, nichts unternommen zu haben.

Auch persönlich leben Ulli und Günther diese Kernideen. Je regionaler eingekauft wird, desto mehr Wertschöpfung bleibt im Lande. Sie schauen also sehr genau hin, wo welche Materialien für welches Produkt herkommen. Man muss, so Ulli, dabei auch in anderen Konsumbereichen bereit sein, kritische Fragen zu stellen.

Kooperation und Verbindung

Wichtige Aufgaben sehen Günther und Ulli darin, die Kooperation und Verbindung von Produzenten voranzutreiben. Ein Vinschger Bauer weiß vielleicht nicht, dass im Pustertal ein anderer Produzent existiert, mit dem man gemeinsam ein Projekt oder Produkt entwickeln könnte. Es passiert heute eben viel Gutes, aber viel zu oft nur auf Einzelkämpfer Ebene. Klaus wirft dabei die Frage ein, ob auch das Thema Selbstversorgung eine wichtigere Rolle spielen könnte. Nein, ist sich Ulli ziemlich sicher. Obwohl plausibel im Ansatz, wäre es trotzdem ein Rückschritt wie vor Hundert Jahren. Der Verkauf hochwertiger Produkte muss auch den Export ins Ausland mit einschließen. Irgendwie entwickelt sich das Gespräch trotzdem in Richtung persönlicher Fertigkeiten bzw. im „Selbermachen“, und ich werfe ein, wie wichtig es ist, dass in Schule und Ausbildung weiterhin Raum für Fächer wie „Werken“ geboten wird. Im restlichen Italien ist dieses Fach stark zurechtgestutzt worden. Seither, so finde ich, erziehen wir Kinder eher zum reinen „Konsumenten“ denn zum „Schaffenden“.

Awareness Building

Günther zeigt uns auf, wie der Handel heute den Kunden regelmäßig manipuliert und das verkauft, was er verkaufen will. Der Kaufmann hat noch nie so wenig Knowhow über das Produkt gehabt wie heute. Der Kunde muss aber auch begreifen, dass jede Kaufentscheidung auch tatsächlich eine Entscheidung ist. Man kann mit jedem Kauf eine Entscheidung setzen für oder gegen Dinge oder Produktionsweisen. Wir brauchen als Konsumenten auch mehr Hausverstand, ob wir Dinge wirklich brauchen oder nicht.

Die Industrie, so Günther, reagiert sofort auf ein geändertes Kaufverhalten. Das größte Potential zu einer Verschiebung in Richtung mehr Regionalität hätte nach dieser Überlegung eigentlich der Konsument. Und die Politik? Nun, die Politik hänge viel zu oft an der Industrie, so Ulli und Günther unisono, da sind „von oben“ gesteuerte Werteverschiebungen eher schwierig einzustufen.

Aber trotzdem gibt es Chancen. Politisch können Großveranstaltungen wie das „Genussfestival“ initiiert werden (an dem tendenziell eher die Industrie teilnimmt), oder es können Impulse in Richtung „Slow Food“ gegeben werden, was eher über kleine Stufen geht.

Über das Internet und über die Jugend, so sind wir uns einig, kann man heute den oder die Konsumenten für neue Ansätze gewinnen. Und erst wenn die Konsumenten neue Produkte verlangen, wenn eine kritische Masse vorliegt, wird die Industrie reagieren. Beim Essen, so Ulli, sieht er am ehesten Chancen, weil der Mensch so gepolt ist, dass er bereit ist, für Genuss auch einen Mehrpreis auszugeben. Konsum ist schließlich Kompensierung, und wenn es uns gelingt, diese Kompensierung umzupolen, dann kann das funktionieren. Kurz gefasst: weniger Ipad und mehr Genuss, das könnte ein Rezept sein.

Die Schulbildung oder die Berufsbildung, gerne auch mit internationalen Praktika, können dabei ein Schlüssel sein. So wie Winzer heute während der Ausbildung durch die Welt reisen und Neues entdecken, so sollten auch landwirtschaftliche Produzenten in Zukunft nicht einfach nur den elterlichen Bauernhof übernehmen. In jungen Jahren sollten Bauern durchaus auch mal über den eigenen Hof hinaus schauen!

Und das, finden wir, müsste auch der eine oder andere politische Akteur tun. Mal öfter über den Tellerrand hinausschauen, also. So wie heute PUR Südtirol gibt es auch noch andere Unternehmen, die uns zeigen können, was die regionale Wirtschaft sein kann. Wir müssen sie nur finden, und ihnen zuhören.

Danke, Ulrich und Günther, für eure Zeit und für das intensive Gespräch.

 

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Monika Mallojer Dom, 10/06/2013 - 20:40

Lieber Christoph, zum nachhaltigen Wirtschaften gehört für mich auch der richtige und wertschätzende Umgang mit den Mitarbeitern dazu, der ja auch ein ausschlaggebender Faktor für die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse darstellt. Habt ihr bei eurer "Besichtigungstour" auch Frgaen zu dieser Thematik beantwortet bekommen? in Sinne der Gemeinwohlökonomie sollte darauf Wert gelegt werden.

Dom, 10/06/2013 - 20:40 Collegamento permanente
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Frank Blumtritt Dom, 10/06/2013 - 21:10

In risposta a di Monika Mallojer

Als eifriger PUR-Klient in Meran kann ich nur sagen, dass das Verkaufspersonal, stets in mehr als ausreichender Anzahl präsent, mit das freundlichste und kompetenteste in der ganzen Stadt ist, trotz sehr ausgiebiger Öffnungszeiten und gigantischem Zulauf durch Horden von Touristen und Einheimischen gleichzeitig (ein eher seltenes Phänomen!). Damit dürfte die Frage wahrscheinlich beantwortet sein...

Dom, 10/06/2013 - 21:10 Collegamento permanente
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Klaus Egger Lun, 10/07/2013 - 07:39

In risposta a di Monika Mallojer

Liebe Monika,
ja, haben wir. Wenn dieses Mal auch mehr indirekt. Bei unseren anderen Treffen, konnten wir direkt mit den Mitarbeitern zusammen sein (und arbeiten). Nachdem wir uns dieses Mal aber nicht in einem Geschäft, sondern in der Logistikzentrale getroffen haben, war dies in dem Rahmen nicht möglich. Die Antwort von Frank B. überrascht mich aber gar nicht, da Ulli und Günther nicht nur auch die Gemeinwohlbilanz erstellen, sondern auch sonst in Ausbildung und Mitgestaltung ihrer Mitarbeiter größten Wert legen. Die kompetenten und motivierten Mitarbeiter sind Teil des Erfolges von PUR Südtirol.

Lun, 10/07/2013 - 07:39 Collegamento permanente