Politica | Doppelinterview

Durch die türkis-grüne Brille

In Österreich startet die Regierung ÖVP-Grüne. Was halten SVP-Obmann Philipp Achammer und die Grüne Co-Sprecherin Marlene Pernstich von der Koalition?
Sebastian Kurz und Werner Kogler
Foto: Twitter/Sebastian Kurz/salto.bz

ÖVP und Grüne haben Ja gesagt: Am Freitag und Samstag haben die jeweiligen Parteigremien von Volks- und Ökopartei in Österreich ihren Segen für die neue türkis-grüne Regierung gegeben. Am heutigen Dienstag um 11 Uhr werden Sebastian Kurz (ÖVP) als Kanzler und Werner Kogler (Grüne) als sein Vize samt Kabinett von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt.

Wie blicken die Schwesterparteien in Südtirol auf die neue Koalition in Österreich? salto.bz hat bei SVP-Obmann Philipp Achammer und der Grünen Co-Sprecherin Marlene Pernstich nachgefragt.

salto.bz: Nicht Minimalkompromisse schließen, sondern “das Beste aus beiden Welten vereinen”, damit beide Regierungspartner ihre zentralen Wahlversprechen einlösen können – mit diesem Rezept haben sich ÖVP und Grüne in Österreich auf ein Regierungsprogramm geeinigt. Ein Weg, um scheinbar unvereinbare politische Positionen und Ideologien doch noch zusammenzubringen. Haben die Parteien damit verantwortungsvoll gehandelt?

Philipp Achammer: Das zusammenzubringen, was auch wirklich gut möglich ist, ist ein absolut verantwortungsvolles Handeln. Von den Parteien wird immer mehr erwartet – völlig zurecht meines Erachtens –, dass zwischen ihnen nicht unüberwindbare Hürden oder Mauern aufgestellt werden. Wenn wir ehrlich sind, gibt es, bei allen Unterschieden, zwischen mehr oder weniger allen Parteien Schnittmengen. Natürlich kann man immer wieder das Trennende sehen, aber man kann auch das Verbindende sehen und in dem Falle auch sagen, ok, wir einigen uns auf einige Kernpunkte, die für die Parteien wesentlich sind. Zugleich muss man aber auch bereits sein, Kompromisse einzugehen. Das zeigt sich auch bei dieser Koalition: Die Grünen haben Bereitschaft gezeigt und sind beispielsweise in der Migrationspolitik Kompromisse eingegangen.

Marlene Pernstich: Die Ideologie beider Parteien ist im Koalitionspapier zu erkennen. Was die Vergangenheit gezeigt hat, ist die Ideologie der Grünen etwas weniger wandelbar als die der türkisen Liste. Die Grünen haben ganz stark ihren Fokus auf den Klima- und Umweltschutz, die öffentlichen Infrastrukturen und den Verkehr gelegt. Sie waren und sind sich auch bewusst, dass dieser Fokus viel Kompromissbereitschaft erfordert, was aber nicht zur Folge haben muss, dass sie nicht auch erheblich an der Gestaltung der anderen Politikbereiche, wie Arbeit, Finanzen, Verteidigung usw. beitragen können. Die Grünen sind sich ihrer Verantwortung in den nächsten Jahren bewusst und wollen eine Klimaveränderung, nicht nur in den Klima- und Umweltfragen, auch im politischen Diskurs und dem Zusammenleben.

Die Volksparteien sind bereit, Schritte für den Klimaschutz zu setzen, auch in der Wirtschaftspolitik. (Philipp Achammer)

Werner Kogler spricht von der “Versöhnung von Ökologie und Ökonomie, unter Einbettung sozialer Sicherheit” als Herausforderung für ganz Europa und davon, dass die neue österreichische Regierung nun eine Vorbildfunktion in diesem Sinne einnehmen könnte. Tatsächlich bejubeln deutsche Medien ÖVP-Grüne als “progressives Projekt”, das “dem politischen Zeitgeist entspricht”. Stimmen Sie dem zu?

Pernstich: Die Folgen der Trennung von Ökologie von Ökonomie sind reell spürbar. Diese werden, wenn sich nichts verändert, sehr bald mehr. Der bisher begangene Weg ist also nicht der richtige. Es wird eine große Herausforderung, diese beiden Politikbereiche wieder zu vereinen. Wirtschaftliche Interessen können nicht (mehr) ohne ökologischem Anspruch auskommen, denn auch die Wirtschaft ist in die Umwelt und dem Klima eingebettet. Werner Kogler hat genau diese Vereinigung glaubwürdig kommuniziert. Sehr wichtig und ein neuer Ansatz ist sicherlich die Vorab-Prüfung der Gesetze auf die Klimaneutralität.

Achammer: Prinzipiell muss ich dem absolut zustimmen. Im Moment ist eine recht große Sehnsucht nach konservativen Werten da, nicht nur auf die Parteipolitik bezogen. Neben dem Wunsch nach dem Sichern von Bestehendem ist gleichzeitig das Bedürfnis, sich des Themas Klima anzunehmen, viel viel stärker als bisher. Die ÖVP hat es als “Rücksicht auf die Schöpfung” ausgedrückt. Allein dieser Ausdruck zeigt, dass sich konservative Werte und das Bewusstsein und Bedürfnis nach einer ökologischen Ausrichtung relativ gut verbinden können. Das wird auch mit dieser Koalition gezeigt. Dieses Modell ist durchaus interessant für Österreich und man schaut zurecht genau hin, wie das funktioniert.

 

Frau Pernstich, die Grünen tragen in Österreich die Einführung der Sicherungshaft mit, ebenso ein Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 14 Jahren. Würden Sie als Grüne ein Regierungsprogramm, das diese Punkte enthält, auch unterzeichnen?

Pernstich: Es ist nicht so, dass das Kopftuchverbot bereits festgeschrieben ist. Die Grünen können genau diese Themen mitgestalten. Ich kann mir vorstellen, dass das Kopftuchverbot so weit dahin gelenkt wird, dass religiöse Symbole in den Bildungseinrichtungen allgemein kritisch beleuchtet werden. Ähnliches gilt auch für die Sicherungshaft, die nur im Einklang mit der Verfassung festgeschrieben werden kann. In den Koalitionsverhandlungen hat sich sicherlich ein Spielraum gezeigt. Meine Zustimmung wäre an die Größe dieses Spielraumes gebunden.

Herr Achammer, wirkliche Kompromisse scheint die ÖVP nicht haben eingehen müssen – schließlich sind Klimaschutz und Transparenz inzwischen nicht mehr ausschließlich grüne Themen. Kann auch ein “schwarzer” bzw. “türkiser” Kanzler grüne Agenden umsetzen?

Achammer: Man sieht es über Österreich hinaus, etwa bei der CSU in Bayern: Die Volksparteien sind bereit, Schritte für den Klimaschutz zu setzen, auch in der Wirtschaftspolitik. Bisher hätte man gesagt, die ÖVP hat beim Klimaschutz beigeben müssen. Dabei sie hat schon im Vorfeld gezeigt, dass Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht mehr allein nur von “Grünem Interesse” sind. Doch will Österreich bis 2040 klimaneutral werden, braucht es einschneidende Maßnahmen, von denen die eine oder andere in einer Partei mit wirtschaftspolitischer Ausrichtung nicht gefallen werden.

Frau Pernstich, Österreichs Grüne galten als “Fundis”. Unter Werner Kogler scheint sich ihr Image jenem der Grünen in Deutschland angenähert zu haben, wo die Ökopartei stark im Trend liegt. Was können sich Südtirols Grüne von ihren Schwesterparteien im Norden abschauen?

Pernstich: Die österreichischen Grünen konnten schon vor Werner Kogler ihre Regierungskompetenzen beweisen. Man denke da an die westlichen Bundesländer oder an die von den Grünen mitregierten Städte. Werner Kogler hat dem Grünen noch eine zusätzliche Komponente verliehen. Sein Charisma und sein Pragmatismus finden vermehrt Zustimmung in der Bevölkerung. Was uns die Schwesternparteien im Norden gezeigt haben, ist sich treu bleiben und sich auf die kleinen Dinge, die uns Menschen ausmachen, Acht geben. Besonders wichtig ist, das Gespräch mit der Bevölkerung suchen.

 

Herr Achammer, wenn beide Seiten wollen, kann man auch zusammenfinden, zeigen ÖVP und Grüne in Österreich. Kann ein schwarz-grünes Bündnis, wie es in Tirol seit 2013 regiert und nun auch auf Bundesebene kommt, ein Vorbild für die SVP sein?

Achammer: Im Jahr der Gemeinderatswahlen möchte ich vorausschicken, dass es ja nicht so ist, dass die SVP auf Gemeindeebene nicht schon mit den Grünen zusammengearbeitet hätte. Beispiel Bozen oder Meran. Davon abgesehen sehe ich es recht pragmatisch und sage es bewusst offen gehalten: Es gibt mit fast jeder Landtagspartei Schnittmengen, die man in gewissen Situationen auch zeigen und hervorheben muss. Und so wie es mit jeder Partei Schnittmengen gibt, gibt es auch Unterschiede. So auch mit den Grünen. Aber schlussendlich entscheiden die Wähler und Wählerinnen, nicht die Parteien.

Die Grünen sind sich ihrer Verantwortung in den nächsten Jahren bewusst und wollen eine Klimaveränderung. (Marlene Pernstich)

Die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler wurde nicht ins 300 starken Koalitionspapier aufgenommen. Enttäuscht oder erfreut?

Pernstich: Weder noch. Wenngleich Südtirol eine Herzensangelegenheit für Österreich bleiben und die Schutzfunktion weiter ausgebaut wird, glaube ich nicht, dass die Möglichkeit der österreichischen Staatsbürgerschaft für Südtiroler essentieller Inhalt für die Koalitionsgespräche und das Koalitionsprogramm war.

Achammer: Es war zu erwarten, dass die Doppelstaatsbürgerschaft nicht aufgenommen wird. In der letzten Regierungskoalition hatte sie vor allem beim Koalitionspartner der ÖVP eine andere Bedeutung als in dieser. Für die SVP ist das Thema dadurch aber nicht gestorben, es bleibt unser Programmpunkt. Nichtsdestotrotz bin ich von diesem Koalitionsabkommen absolut nicht enttäuscht. Die Botschaft dieser Bundesregierung – wir stehen bei der Entwicklung der Autonomie und der Wiederherstellung von Kompetenzen, die eingeschränkt worden sind, auf der Südtiroler Seite – ist deutlich und stark. Das stärkt uns auf dem Autonomieweg sehr den Rücken.

Gehen Sie davon aus, dass diese Regierung in Österreich fünf Jahre halten wird?

Pernstich: Ja, glaube ich schon. Die Voraussetzungen sind gegeben. Die Färbung der Grünen und der Türkisen findet sich im Regierungsprogramm wieder. Dass Abstriche gemacht werden mussten auf beiden Seiten für das Koalitionsprogramm wird dessen Durchführung nicht verhindern. Wichtig ist nur, dass alle Spielräume der Mitgestaltung für einen anderen, weniger auf Ausgrenzung und Angst gelegten Diskurs genutzt werden, dann klappt das auch mit der grünen Handschrift in der türkis-grünen Regierung.

Achammer: Ich gehe fest davon aus, dass sie fünf Jahre hält. Auch, weil ich gemerkt habe, dass es gerade bei Sebastian Kurz der Ehrgeiz sehr groß ist, Projekte entschlossen voran zu treiben. Beim Ende der letzten Bundesregierung war man in der ÖVP recht konsterniert, weil es auch damals wirklich die Absicht gewesen war, fünf Jahre für Österreich zu arbeiten und große Reformprojekte auf den Weg zu bringen. Zwischen Steuerreformen, Klimaschutzpaket usw. ist das Programm dieser Regierung derart umfangreich und ehrgeizig, dass ich davon ausgehe, dass sie fünf Jahre seriös arbeiten wird.