Auf der Spur der „neuen“ Wirtschaft – „verdECOnomia mittendrin… in der Bäckerei Mein Beck“

Es nieselt leicht als Christoph Moar und ich uns schon leicht müde um 23.10 am Dienstagabend auf den Weg nach Nals machen. Das Ziel: Die Bäckerei „Mein Beck“. Dunkelheit und Stille empfangen uns in der Handwerkerzone von Nals. Doch durch die Fenster der Fall Tore des hohen Gebäudes fällt Licht nach draußen und im Inneren kann man Bewegung erkennen. Es scheint, dass sie hier wirklich arbeiten, da werden wir uns nicht mehr drücken können. Also auf und Klingel drücken.
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23.30 Uhr – Dienstbeginn

Wolfgang Lanthaler, der „Berater“, wie er sich nennt und wir später erfahren werden warum, empfängt uns und führt uns zuerst in die Büroräume, wo wir uns zusammensetzen. Wir erfahren etwas über die Geschichte der Bäckerei. 1999 von zwei Personen gegründet, zählt sie nun 2013 mit 72 Personen zu den größeren Betrieben in Südtirol. Zwei Geschäftsstellen in Marling und Leifers und die Produktionsräume in Nals. Der Rest sind einige Wiederverkäufer, Marktstände und viele langjährige Kunden aus der Privatwirtschaft.
 

Ob die öffentliche Hand nicht auch ein Kunde sein könnte, fragt Christoph. Die Frage lässt uns das erste Mal in dieser Nacht erkennen, mit welcher Leidenschaft Wolfgang sein Handwerk angeht. Er schüttelt nur den Kopf und erzählt uns, dass er niemals bei den Preisabschlägen mithalten könne. Die Qualität, der sich Mein Beck verschrieben hat, lässt einen gewissen Abschlag nicht zu und was aktuell Bäckereien anbieten, geht nur mit Fertigteigmischungen aus dem Ausland und billigen Grundzutaten. Als Beispiel nennt er uns eine Ausschreibung, an der er teilgenommen hat, wo er sich dachte, die Arbeit lässt sich gut kombinieren, dass kaum zusätzliche Kosten entstehen würden. Mein Beck gab einen Abschlag von 30%auf die ausgegebene Summe. Als er dann erfuhr, dass eine andere große Bäckerei 72% Abschlag anbot, und somit den Auftrag erhielt, war für ihn klar: in diesem Spiel konnte Mein Beck nicht mitspielen. Das würde auf Kosten des Produkts und der wirtschaftlichen Gesamtsituation der Firma gehen.


Ein anderes Kuriosum, um bei der öffentlichen Hand zu bleiben, erfuhren wir von Wolfgang, als es um die Qualitätsmarke „Südtiroler Brot“ ging. Auch ich dachte bisher, dass es bei dieser Qualitätszertifizierung ehrlich zuging, nicht wie etwa beim „Südtiroler Speck“, wo es mittlerweile bekannt ist, dass die Grundmaterie alles andere als regional ist. Mein Beck musste sich diese Zertifizierung verschaffen, da sie Bedingung war für die Weiterführung eines Marktstandes. Nachdem der Markt durch die öffentliche Hand organisiert war, verlangten die Verwalter von einem Jahr auf das Andere diese Zertifizierung. Nun gut, dachte Wolfgang, dann verschaffen wir uns diesemal. Jede Brotsorte oder Produkt, welche die Bäcker herstellen, also auch Apfelstrudel musste man nach gewissen Vorgaben herstellen, um diese Zertifizierung zu erlangen. Aber einige dieser Vorgaben waren Nonsens. Zum Beispiel verlangt die Marke, dass im Apfelstrudel Zucker hinein muss. Als Wolfgang dem zuständigen Beamten erklärte, dass Mein Beck nur solch reife Äpfel verwendet, dass Zucker nicht notwendig sei, war dies ein großes bürokratisches Problem. Auch bei anderen Produkten merkte Wolfgang recht schnell, dass man sich das hier ein wenig nach „Möglichkeit“ zusammen gezimmert hat und nicht nach „bester Qualität“. Beim Schüttelbrot waren die Qualitätskriterien jedoch ähnlich genug. „Also bekamst du die Marke nicht?“, erwiderte ich. „Doch, doch.“ Nun war ich ratlos. „Aber du hast ja nur eine Sorte zertifizieren lassen.“ „Ja, aber das reicht.“ Nun war ich perplex. Man muss als Bäckerei bei uns also nur eine einzige, nach deren Kriterien „gute“ Brotsorte haben, um in den Besitz der Marke „Südtiroler Brot“ zu gelangen. Der Rest kann weiterhin mit Fertigteigmischung aus was weiß ich woher zusammengepantscht werden. Ach du ehrliche Südtiroler Wirtschaftswelt.
 


00.30 – die süße Versuchung

Auf geht’s zur Konditorei des Hauses. Süßer Duft liegt in der Luft. Torten werden gebacken, Kastanienherzen mit Sahne verziert, und jede Menge Croissants stehen auf Backwagen vor uns. Unsere erste Arbeitsstation: Befüllen der Croissant. Händisch wird Schokolade, Marmelade oder Vanillecreme in die Croissants eingefüllt. Wolfgang erklärt uns, dass sehr viele Bäckereien dazu übergegangen sind, aufbackbare Füllungen zu verwenden. So wird dieser menschliche Arbeitsschritt erspart. Die Qualität leidet. Wie wir noch oft in dieser Nacht erfahren werden, sind dies die entscheidenden Details ob Produkte wirklich hochqualitativ werden oder ob auf Rationalisieren gesetzt wird. Klar, bei weniger Personal, mehr Maschinen und gewissen Fertigprodukten kann man am Ende den Preiskampf gewinnen. Etwas was in der Philosophie von Mein Beck nicht vorkommen kann. Wir erfahren viel über Kostenwahrheit in dieser Nacht.


Die Details sind es wohl auch, warum Mein Beck alleine im letzten Jahr ein sattes Umsatzplus gemacht hat. Fast schon zu viel wie Wolfgang erklärt. Nachhaltiges Wachstum muss sich langsam entwickeln, um Mensch und Prozess mitgehen zu lassen. Details, wie die „Beratungsgespräche“. Wolfgang war Produktionsleiter bei Mein Beck, beschloss aber vor Jahren den Verkauf zu übernehmen und so hat Mein Beck die gelungene Kombination einen ausgelernten und begeisterten Bäcker auf Akquise schicken zu können. Und die Kompetenz, gepaart mit Begeisterung für Qualität wird es wohl auch sein, dass die wenigsten Kunden nach dem Verkaufsgespräch ablehnen. „Wenn, dann liegt es hauptsächlich am Preis“, meint Wolfgang. Auch wenn die Preisunterschiede zu anderen Bäckereien nicht eklatant sind, wenn man als Betrieb schon das Messer am Hals hat, wird wohl überall gespart.


01.00 Uhr – Das händische rupfen und „Auswiegen“ der Paarlteiglinge

Nach der Konditorei betreten wir die Backstube. Popmusik hallt aus einem Radio an der Wand und es herrscht emsige Betriebsamkeit. Man muss aufpassen, dass man nicht von einem Brotwagen überrollt wird, der von dem Backbereich zu den Öfen rollt. Aus dem sie anschließend, nach erfolgter Backzeit, zum Versand geschoben werden für die Einordnung in Körbe oder Säcke um ihre letzte Reise zum Kunden anzutreten.


Wir begeben uns zum Tisch, wo die Sauerteiglinge vorbereitet werden. Der Teig liegt auf einem großen Holzbrett und ein Bäcker „rupft“ portionsweise die Brote. Ein Vorgang, den durchaus eine Maschine übernehmen könnte, die jedoch den weichen Teig nie so sanft abtrennen würde und die Endqualität so leidet. Und so haben wir uns auch aufgemacht zu rupfen und zu portionieren.
Bei der Gelegenheit erfahren wir mehr über die Philosophie des Hauses. Eine Vision und ein Leitbild geben die Richtung vor. Dass dies gelebt und sehr konkret umgesetzt wird, erkennen wir auch daran, dass die Vision und das Leitbild auch an entscheidenden Orten des Betriebes an den Pinnwänden hängen. Doch stehen bleiben will die Bäckerei nicht. Ob Trendscouting ins Ausland, Zusammenarbeit mit einem Unternehmensberater oder die Kooperation mit anderen Betrieben, man blickt effizient und konsequent in die Zukunft. „Man muss raus um neue Entwicklung zu sehen und sich Ideen zu holen.“ Begründet Wolfgang das Trendscouting. Gespannt sind wir natürlich auf die Kooperation. Was läuft da? Mein Beck ist in einer sogannten ERFA-Gruppe (Erfahrungsaustauschgruppe) aktiv. Zusammen mit Bäckereien aus Österreich und Deutschland besuchen sie sich gegenseitig, tauschen Kennzahlen aus, entdecken Schwächen und Chancen untereinander und unterstützen sich bei der Entwicklung. Christoph und ich sehen uns an und nicken. Das ist etwas, was wir als Grüne Wirtschaft stark befürworten. Weg vom Kirchturmdenken, hin zu Gemeinwohl-Kooperationen.


01.45 Uhr – die moderne Mischerei


Natürlich sind auch bei Mein Beck die Maschinen nicht verschwunden. Eine computergesteuerte Mischmaschine gibt genau Anweisungen welche Zutat, wie viel benötigt wird. Holt diese über Druckluftleitungen selbst aus dem über der Bäckerei liegenden Magazin oder hilft dem Bäcker beim Eingeben anderer Zutaten. Ein Vorgang, der die handwerkliche Qualität des Backens nicht herabsetzt, betont Wolfang bestimmt. Denn die Menge und Zusammensetzungen der Zutaten haben immer noch die Bäcker in den Computer einprogrammiert. Fertigteigmischungen, wie von manchen benutzt, werten den Bäcker ab.


02.20 – letzter Schliff bei den ofenfrischen Baguette

Nun geht es darum das ofenfrische Baguette seinen letzten Schliff beizufügen. Damit die Oberfläche des Brotes schön knusprig wird, müssen zwei diagonale Schnitte in das Brot geritzt werden. Christoph und ich geben uns redlich Mühe, aber ich befürchte doch, dass einige Kunden am nächsten Morgen nicht die schönsten Baguette erhalten werden. Zum Glück können wir am Produkt selbst nichts verändern, sonst wären wir vielleicht noch für einen wirtschaftlichen Schaden verantwortlich.


Angesprochen auf die Arbeitsplatzsituation erzählt uns Wolfgang, dass sie sich über Nachfrage nicht beklagen können. Schon seit Jahren arbeitet Mein Beck auch daran, ein sehr positives Arbeitsplatzimage zu entwickeln. Mit Mitarbeiter-Schulungsprogrammen und Ausbildungsplänen will man die jungen Menschen begeistern bei dieser Firma zu arbeiten und zu bleiben. Wie man bei einer Fluktuation von unter 10% erkennen kann, gelingt dies. Auch Aktivbewerbungen nehmen zu. Wenn man bedenkt, dass die meisten Mitarbeiter der Firma eine Nachtarbeit haben, erkennt man, dass ein attraktiver Arbeitsplatz also nicht nur unbedingt mit den Arbeitszeiten zusammenhängen muss.


02.50 – ab in den Ofen

Nun wird es aber Zeit mit anzupacken, um die geritzten Baguette in den Ofen zu schieben. Christoph schreitet zur Tat.


Und rein damit.


03.15 – und nun ab ins Körbchen

Der letzte Schritt auf der Reise zum Kunden geschieht im Versand. Dort werden die verschiedensten Brotsorten, deren 50 an der Zahl, in den Korb oder den Sack gegeben, wo sie die Fahrer dann abholen, um sie frühmorgens zum Kunden zu bringen.
„Was passiert eigentlich mit dem übriggebliebenen Brot?“, frage ich Wolfgang und befürchte schon das Schlimmste. Doch die Antwort überrascht: „Kein einziges Brot wird weggeschmissen.“ Das Weißbrot wird zu Semmelbrösel oder Knödelbrot verarbeitet, dass dunkle Brot wird zwei- bis dreimal die Woche von einer Mitarbeiterin des „banco alimentare“ abgeholt, eine Vereinigung die Lebensmittel, die nicht mehr „normal“ verkaufbar sind, einsammeln und an Bedürftige kostenlos weitergeben. Wolfgang erzählt uns mit Stolz, dass Mein Beck in einem Jahr Warenwert von ca. 90.000,00 so Bedürftigen zugutekommen lasse.


03.40 – Schichtende

Die Mitarbeiter haben einen Ehrenplatz am Eingang des Bürobereichs, zu dem wir nun zurückgehen. Das Audit für Familie & Beruf, welches Mein Beck auch gemacht hat, spiegelt sich in den lachenden Gesichtern der vielen Mitarbeiter hier wieder. Ein weiterer Baustein für einen erfolgreichen Betrieb.


Zum Abschluss schenkt uns Wolfgang noch hauseigene gemachte Marmelade. Ein neues Produkt, welches sie seit ungefähr einem Jahr eingeführt haben, und welches es mittlerweile sogar bis Berlin geschafft hat.


Kreativität, Menschlichkeit, Leidenschaft und Einsatz. Wir haben in dieser Nacht sehr viel gelernt was Wirtschaft Gutes bewirken kann. Danke Wolfgang und dem ganzen Team für die angenehmen Stunden. Und jetzt gehen wir schlafen.

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Sylvia Rier Ven, 10/11/2013 - 09:43

Brot-Esserin - wenn ich Brot im Haus habe, brauche ich sonst nichts, wenn ich kein Brot im Haus habe, werde ich unruhig. Umso mehr betrübt mich, und zwar heftig, der Niedergang unseres Brotes, und ich finde sogar, sein Niedergang steht emblematisch für den Niedergang unseres Handwerks, unserer Wirtschaft, unserer Gesellschaft. Brot ist doch ein Grundnahrungsmittel, seit jeher Sinnbild des (Über-)Lebens, dazu Inbegriff guten, ehrlichen Handwerks - und schauen wir nur, was davon übrig geblieben ist. Bleibt die Hoffnung, dass die wenigen, die dagegen halten, mehr sind als nur die berühmten Ausnahmen, dass sie vielmehr die Speerspitze eines Gesinnungswandels sind und schon bald die "anderen" die Ausnahme sein werden...

Ven, 10/11/2013 - 09:43 Collegamento permanente