Società | Gewalt an Frauen

Eingeschlossen mit dem Täter

Die Menschen sind aufgerufen, zuhause zu bleiben, dort ist es sicher. Doch was, wenn das Unheil zuhause sitzt? Über die Auswirkungen von Corona auf häusliche Gewalt.
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Foto: Pixabay

Laut UNO wird das Coronavirus Frauen zusätzlich belasten. 70 Prozent der Arbeit im Gesundheits-und Sozialwesen wird von Frauen abgedeckt, weshalb sie die Überlastung des Systems besonders zu spüren bekommen. Zudem herrscht in diesem Bereich ein Gender Pay Gap von 28 Prozent, der sich jetzt noch verstärken könnte. Doch besonders verletzlich macht die Coronakrise Opfer von Gewalt. Denn wenn man von Gewalt gegen Frauen spricht, handelt es sich in 92 Prozent der Fälle um häusliche Gewalt. Das geht aus Statistiken des Vereins GEA hervor, der in Bozen eine Kontaktstelle gegen Gewalt und ein Frauenhaus führt. 

Viele der von Gewalt betroffenen Frauen sind nun wegen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus mit ihren Tätern in der Wohnung eingeschlossen, ohne Möglichkeit, wenigstens auf der Arbeit oder durch Freizeit etwas Luft zu schnappen. Und auch der Raum, nach Hilfe zu suchen, ist eingeschränkter. Christine Clignon, Präsidentin des GEA erklärt im Interview, wie sich das Coronavirus auf häusliche Gewalt und das Leben der Frauen allgemein auswirkt. Und wo sich Opfer häuslicher Gewalt auch in dieser Zeit Hilfe suchen können.

Salto.bz: Frau Clignon, wie wird sich die Coronakrise auf das Leben der Frauen auswirken? Sind sie anders betroffen als Männer?

Christine Clignon: Es ist offensichtlich, dass in einer Gesellschaft, in der die Pflegearbeit weitestgehend noch Frauen überlassen ist, es auch natürlich ist, dass die Maßnahmen gegen das Coronavirus für Frauen eine höhere Belastung darstellen. Wer kümmert sich um Kinder, die nicht in der Schule sind und macht nebenher noch smart-working? Es ist heute leider immer noch nicht selbstverständlich, dass Männer in häusliche Aufgaben miteinbezogen werden. Wenn Gewalt mit im Spiel ist, dann sind die Auswirkungen größer. Denn dieser Ausnahmezustand gibt einem gewalttätigen Partner mehr Gelegenheit dazu, Gewalt anzuwenden, weil er jetzt 24 Stunden zuhause sitzt anstatt zur Arbeit zu gehen.

Unstabile Situationen bieten sicherlich mehr Möglichkeiten, Gewalt anzuwenden.

Nimmt häusliche Gewalt in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Krisen zu? Eine Studie der UN Women besagt, dass es hier Zusammenhänge gibt.

Zunächst einmal ist es wichtig zu betonen, dass häusliche Gewalt alle Schichten betrifft, unabhängig von Einkommen, Bildungsstand oder Herkunft. Meiner Meinung nach bieten unstabile Situationen sicherlich mehr Möglichkeiten, Gewalt anzuwenden. Dementsprechend verstärkt die jetzige Situation das Phänomen von Gewalt an Frauen. Aber die Anzeichen sind bestimmt vorher schon, und unabhängig vom Coronavirus, da.

Wie wirkt sich dieser allgemeine „Hausarrest“ auf Kinder aus, die in gewaltgeprägten Familien leben?

Das ist ein sehr wichtiges Thema, das leider oft unterschätzt wird. Zunächst einmal: Kinder kriegen Gewaltsituationen immer mit! Auch wenn sie zur Schule gehen. Und diese miterlebte Gewalt hat dieselben psychosozialen Auswirkungen wie direkt erlittene Gewalt. Diese Erfahrung, sich zuhause nicht sicher zu fühlen, wirkt sich auf das ganze Leben des Kindes aus. Das reicht von Lernschwierigkeiten bis hin zu Verhaltensstörungen. Die jetzige Situation macht das alles sicher schwierig, ändert aber grundsätzlich nicht besonders viel am Schaden, den Kinder davontragen.

Haben sie seit dieser ersten Woche der Isolationsmaßnahmen eine Veränderung in den Anzeigen von häuslicher Gewalt erlebt?

Wir in Bozen haben noch keine Veränderungen mitbekommen. Allerdings sind wir in Kontakt mit anderen Vereinen auf nationaler Ebene, und von jenen Kolleginnen und Kollegen wissen wir: In der letzten Woche gingen die Beratungsgespräche mit Opfern häuslicher Gewalt leicht zurück. Das ist verständlich, denn wo finde ich die Möglichkeit, Hilfsnummern anzurufen, wenn der Partner die ganze Zeit daneben sitzt?

Die Maßnahmen gegen das Coronavirus stellen für Frauen eine höhere Belastung dar.

Was bedeuten die Maßnahmen für die Frauenhäuser? Gibt es weiterhin Einrichtungen und Möglichkeiten, wo Frauen Schutz finden?

Die Frauenhäuser sind weiterhin operativ. Das heißt, im schlimmsten Fall können Frauen ihre Wohnung verlassen, denn eine Notaufnahme bei uns ist möglich. Außerdem bieten wir weiterhin Beratungen an. Hauptsächlich per Telefon. In Notsituationen sind wir aber auch persönlich zur Stelle. Wir bleiben weiterhin 24 Stunden auf unserer Notruflinie, oder per Email erreichbar. Wichtig: Die Beratungen sind alle kostenlos und anonym. Frauen finden bei uns ein offenes Ohr, sie werden nicht verurteilt, und auch nicht zu Entscheidungen gedrängt. Wir wollen Frauen Schritt für Schritt und in ihrem Interesse begleiten. Keine Frau wird gezwungen, ihren Mann anzuzeigen, wenn sie nicht will.

Was raten Sie den Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind, in dieser Extremsituation?

Eigentlich das, was wir immer raten: Wenden Sie sich an eine Kontaktstelle. Ansonsten ist immer auch der Kontakt mit den Ordnungskräften möglich. Zuletzt möchte ich noch einen Appell an Frauen richten: Wir als Verein möchten euch unsere ganze Solidarität aussprechen. Wir sind hier, ihr seid nicht allein. Bitte wendet euch an uns.

 

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gorgias Gio, 03/19/2020 - 05:42

>Zudem herrscht in diesem Bereich ein Gender Pay Gap von 28 Prozent<

Können Sie das bitte Belegen? Verdienen Frauen die in diesen Berufen arbeiten, bei denen es sich vorwiegend um öffentliche Stellen handelt, für eine vergleichbare Position einen Stundenlohn der um 28 Prozent von dem der männlichen Kollegen abweicht?

Gio, 03/19/2020 - 05:42 Collegamento permanente