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Mit Weihwasser gegen das Virus

Georgiens Regierung stoppte die starke orthodoxe Kirche, die weiter Messen abhielt. Doch Traditionen kommen der Gesellschaft auch zugute, erzählt Laura Worsch aus Tiflis.
Laura Worsch
Foto: Udo Diekmann

Wie (er-)leben Menschen anderswo die Corona-Krisensituation? Wir haben nachgefragt. Heute: Laura Worsch, 25. Die gebürtige Münchnerin ist Ende Februar für ein Praktikum nach Tiflis, Georgien gezogen. Dass dieses nach nur zwei Wochen ins Home Office verlagert würde, hätte sie bei ihrer Abreise aus Deutschland noch nicht gedacht. Sie studiert im Master Osteuropastudien an der Freien Universität Berlin.

 

Ich lebe an einer viel befahrenen Straße in Tiflis, im Randbezirk Saburtalo. In der Nähe ist ein See, der als Naherholungsgebiet vor allem am Wochenende viele Menschen anzieht. Bislang störte mich das hohe Verkehrsaufkommen vor meinem Balkon. Seit Samstag hat der Verkehr abgenommen. Jetzt kann ich nachts das Fenster auflassen.

Am letzten Samstag, 21. März, ist auch in Georgien der Ausnahmezustand verhängt worden. Bereits zuvor hatten die Regierung, aber auch viele Unternehmen und Organisationen in Eigeninitiative Einschränkungen getroffen: Universitäten und Schulen wurden geschlossen, ebenso wie Restaurants, Bars und Cafés. Wer konnte, ging ins Home Office. Der ausschlaggebende Grund für die Verhängung des Ausnahmezustands war vermutlich das Verhalten der orthodoxen Kirche, die in Georgien sehr viel Macht hat: Nicht nur fuhren Priester auf Trucks durch die Straßen von Tiflis und versprühten Weihwasser, um das Virus zu stoppen; sie weigerten sich auch, Messen und heilige Rituale abzusagen, bei denen alle Menschen aus einem Becher getrunken hätten. Mithilfe des Ausnahmezustands kann die Regierung nun strafrechtliche Maßnahmen gegen solches Verhalten treffen. 

Im Gegensatz zum Starrsinn der orthodoxen Kirche steht das Verhalten vieler Menschen, die schon früh begannen, auf der Straße und in öffentlichen Verkehrsmitteln Masken und Handschuhe zu tragen. Ich tue es ihnen mittlerweile gleich, vor allem, um blöden Blicken und Bemerkungen zu entgehen. Der nachhaltige Nutzen dieser Maßnahmen sei an diesem Punkt dahingestellt, aber es ist interessant zu sehen, wie Georgier*innen in Eigenregie begannen Vorkehrungen zu treffen, obwohl es dazu noch keine Anweisung vonseiten der Regierung gab. Ein wichtiger Grund hierfür ist das desolate Gesundheitssystem in Georgien: Eine Epidemie, wie mittlerweile in den meisten westeuropäischen Ländern herrscht, könnten die Krankenhäuser und Ärzt*innen hier noch viel weniger auffangen. Viele haben keine richtige Krankenversicherung und können medizinische Hilfe nur gegen teures Geld in Anspruch nehmen. 

Die orthodoxe Kirche hat in Georgien sehr viel Macht: Nicht nur fuhren Priester auf Trucks durch die Straßen von Tiflis und versprühten Weihwasser, um das Virus zu stoppen...

Nun sind alle Geschäfte abgesehen von Apotheken und Supermärkten geschlossen. Im Supermarkt um die Ecke weiter haben nur noch fünf Menschen gleichzeitig Zutritt. Ansammlungen von über zehn Personen sind gegen Geldstrafe verboten. Der öffentliche Verkehr im ganzen Land liegt lahm. Kleine Straßenläden oder -stände, die das Stadtbild von Tiflis normalerweise sehr prägen, sind verwaist. Viele dieser Stände werden von älteren Menschen betrieben, wie der Käsestand in meiner Straße. Dass die nun nicht mehr arbeiten, ist gut und schlecht zugleich: Gut, weil diese besonders gefährdeten Menschen nun hoffentlich zuhause sitzen und besser geschützt sind. Schlecht, weil viele Personen, oder ganze Familien, auf diese kleinen Einkünfte angewiesen sind. 

 

Das Corona-Virus wird das Land im Südkaukasus nicht nur wirtschaftlich hart treffen. Es stellt vor allem eine existentielle Bedrohung für viele Familien hier dar. Unternehmen haben weder die Mittel, noch sind sie per Gesetz angehalten, ihre Angestellten weiter zu bezahlen, wenn sie sie nach Hause schicken. Während die Regierung zumindest Hilfen für Unternehmen angekündigt hat, gibt es für Arbeitnehmer*innen bislang keine finanzielle Unterstützung. Menschen aus meinem direkten Umfeld hier in Tiflis wissen schon jetzt nicht, wie sie die Miete für den nächsten Monat aufbringen sollen.  

Eine Epidemie könnten die Krankenhäuser und Ärzt*innen hier noch viel weniger auffangen.

Auf der positiven Seite scheinen sich bislang die Vorsichtsmaßnahmen, die Menschen und Regierung getroffen haben, auszuzahlen: Stand heute, Dienstag, zählt Georgien 66 infizierte Menschen. Acht Patient*innen gelten als genesen, einen Todesfall gab es noch nicht. Über 3000 Menschen befinden sich in Quarantäne. Und auch alle anderen versuchen so wenig wie möglich rauszugehen. Panik, oder Hamsterkäufe, habe ich dabei bislang nicht beobachten können. Wo die Gesellschaften in Westeuropa jetzt wieder zusammenrücken, herrschte dieser Zusammenhalt in Georgien schon längst. Familie, Traditionen und Solidarität, das sind Werte, die hier insgesamt noch mehr gelebt werden, und die den Menschen in dieser Situation vielleicht zugutekommen. Das gegenseitige Kümmern bekomme auch ich als Ausländerin hier zu spüren: Nicht nur mein Vermieter, auch die flüchtigen Bekanntschaften, die ich hier in der kurzen Zeit schloss, erkundigen sich regelmäßig nach mir. Die Xenophobie gegenüber Ausländer*innen, von denen andere Expats mir berichten, habe ich noch nicht erfahren. 

Wo die Gesellschaften in Westeuropa jetzt wieder zusammenrücken, herrschte dieser Zusammenhalt in Georgien schon längst.

Die Zeichen der Solidarität sind groß: Es organisieren sich Nachbarschaftshilfen, die füreinander einkaufen. Auch hier geben Musiker*innen Online-Konzerte. Noch bevor der Ausnahmezustand verhängt wurde, haben die Menschen an den Fenstern für die Ärzt*innen und Sanitäter*innen geklatscht, die hier wie im Rest der Welt rund um die Uhr arbeiten, um Menschenleben zu retten.

 

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Karl Trojer Sab, 03/28/2020 - 09:39

Georgien und noch mehr Armenien würden unsere Hilfe dringend benötigen und geschichtlich reichlich verdienen ! Sicher gibt es dort Einrichtungen wie unsere Caritas, denen unser Land Südtirol ehestens umfassend Hilfe schicken sollte.
Die EU sollte m.E. diesen beiden Ländern und den noch ausstehenden balkan-Staaten ehestens einen Mitgliedsstatus anbieten; dies würde sehr zur Befriedung dieser Räume beitragen und deren armseligen Lebensbedinungen verbessern.

Sab, 03/28/2020 - 09:39 Collegamento permanente