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Eine Lebensaufgabe

Nichts am Bibliothekszentrum Bozen schien jemals fix zu sein und konnte sich über die Jahre halten, bis auf den Namen und dem Architekten
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Foto: Christoph Mayr Fingerle

Text: Thomas Huck

In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

 

Abriss und Erhalt, alternative Standorte, andere Funktionen, digitale Bücher und sogar eine 5000 Jahre alte Mumie. Nichts am Bibliothekszentrum Bozen schien jemals fix zu sein und konnte sich über die Jahre halten, bis auf den Namen und den Architekten. Doch mit dem plötzlichen Tot verließ nun auch Architekt Christoph Mayr Fingerle endgültig das Projekt.

 

Als Christoph Mayr Fingerle 2003 seinen Wettbewerbsbeitrag für das Bibliothekszentrum Bozen erstellte, hatte wohl niemand geahnt, dass dieses Projekt ihn bis zu seinem Tod begleiten würde und das ohne mit dem Bau jemals begonnen zu haben.

 

Bereits der Ausschreibungstext des Architekturwettbewerbs las sich als räumliche Übersetzung des Südtiroler Autonomiestatutes.

 

Am Anfang der 2000er Jahre war Südtirol in seiner neuen Autonomie voll erblüht und wirtschaftlich sowie kulturell gefestigt. Unterstützt wurde dies durch identitätsstiftende Bauten wie Vereins- und Dorfhäuser, Schulen, Sportanlagen und einige große Kulturbauten. Diese sollten die Folklore Tirols mit der europäischen Hochkultur verbinden und Südtirol als traditionelles aber fortschrittliches Land definieren. Mit der Freien Universität, der Forschungseinrichtung EURAC, dem Museion und der Landesbibliothek wollte man daher das Angebot abrunden. Doch dem Bibliothekszentrum wurde sein eigenes Dogma zum Verhängnis, weshalb es bis heute nicht realisiert wurde. Denn die Grundidee für die Bibliothek war das Dreigespann aus der italienischen, der deutsch-ladinischen Landesbibliothek und der Stadtbibliothek Bozen in einem Haus zu vereinen und so das Zusammenleben der Sprachgruppen anhand ihrer trennenden Grundessenz zu symbolisieren: der Sprache.

 

 

Bereits der Ausschreibungstext des Architekturwettbewerbs las sich als räumliche Übersetzung des Südtiroler Autonomiestatutes. „Die auch kulturell unterschiedlichen Nutzergruppen sollen zu einem offenen Kommunikationsaustausch und zu intensivem Dialog angeregt werden. Es soll die Möglichkeit geboten werden, Nähe und Abstand je nach Anlass und Bedarf frei zu bestimmen. Langfristig soll diese Struktur zur Verständigung der Sprachgruppen und zu einem interkulturellen Austausch auch über das städtische und regionale Umfeld hinaus beitragen.“ [1]

 

Auch wenn es ein ambitionierter Vorstoß war, Südtirols Zusammenleben auf kultureller Ebene neu zu denken, so gab es doch Absätze, die einem durchaus an den Satz „Je klarer wir trennen, desto besser verstehen wir uns“ erinnern, welcher mit dazu führte, dass viele Dörfer und Orte baulich ein duales System von Schulen, und Kulturzentren führen. Denn was nach Außen einheitlich und harmonisch wirken sollte, wurde von Anfang an von Innen nicht umgesetzt. „Die drei Bibliotheken werden weiterhin autonome Einrichtungen bleiben, sich nach außen hin aber mit einer möglichst einheitlichen Benutzeroberfläche präsentieren.“ „Hier soll einerseits die Eigenständigkeit der 3 Bibliotheken sichtbar gemacht und funktionell sichergestellt werden“[1]

 

So wollte man vermutlich die Diskussion darüber vermeiden, ob Goethe oder Dante über dem Haupteingang thronen sollte

 

Während es sich bei den Institutionen hinter den anderen Kulturbauten um Neugründungen oder zumindest um von Anfang an drei- bzw. sogar viersprachige Einrichtungen handelte, sollte hier der gelebte Alltag umgesetzt werden. Nach außen die Autonome Provinz des Zusammenlebens, nach Innen darf jeder über sein eigenes Reich mit eigenen sprachlich getrennten Ämtern walten. So wollte man vermutlich die Diskussion darüber vermeiden, ob Goethe oder Dante über dem Haupteingang thronen sollte, denn obwohl man sich auf einen gemeinsamen Eingang einigen konnte, dessen großer Bedeutung man sich bewusst war, gab es einen Projektstand, wo drei unterschiedliche Treppenhäuser vom Foyer in die verschiedenen Bibliotheken führen sollten.

 

Doch das Problem begann bereits viel früher, und zwar bei der Suche nach dem Standort. Dieser musste nämlich zentral in der Stadt sein und von möglichst vielen Schulen, am besten fußläufig, erreichbar sein. Aufgrund dieser Anforderungen und der Größe kam nur ein Standort auf der „anderen Talferseite“, der italienischen Stadthälfte, infrage. Da die anderen großen Bauten alle auf der Altstadtseite, der deutschen Seite, liegen, konnte man so einen guten Kompromiss innerhalb der Stadt anbieten. Dieser wurde erst zum Problem, als man begann dort von Abbruch zu sprechen. Denn selbst in diesem Teil der Stadt war ein so großes, freies Grundstück nicht leicht zu finden. Zwar war man bereit, mit der Longon - Pascoli Schule einen symbolischen Ort des italienischen Bozens bereitzustellen, keinesfalls aber wollte man auf italienischer Seite der Auslöschung dieses Ortes zuzustimmen.

 

 

„Der Stadtteil ist in den Jahren 1930-40 entstanden, als Erweiterung von Gries nach dem Plan des Architekten Marcello Piacentini. Die rationalistische Baukultur jener Jahre kommt hier deutlich zum Ausdruck. Die Fassaden der Gebäude auf dem Areal und speziell der Treppenaufgang im südöstlichen Bereich sind charakteristische Beispiele der – damaligen, italienischen – Architektursprache.“[1]

 

Auch wenn man ein Jahrzehnt früher mit dem Abriss des ebenso kulturell wie geschichtlich wichtigen Corso Kinos um die Ecke keine Probleme hatte, so sah man es diesmal jedoch als Verdrängung der kurzen italienischen Geschichte der Stadt für eine neue doppelsprachige, vermutlich verstärkt deutsche Zukunft. Daher hat sich „eine angeregte Diskussion in der Öffentlichkeit über den Abbruch der bestehenden Gebäude entwickelt. Es hat sich jedoch die Ansicht durchgesetzt, dass für eine optimale Lösung der Wettbewerbsaufgabe ein Abbruch gerechtfertigt ist."[2] Dies führte jedoch dazu, dass es nach dem gewonnenen Wettbewerb, inklusive einer zusätzlichen Ausarbeitungsrunde der fünf Zweitplatzierten, für den Sieger galt nachträglich Vorschläge auszuarbeiten, ob und wie man die prägnante, runde Hauptfassade in den Entwurf integrieren könnte. Zwar entschied man sich für die Variante der Überbauung des erhaltungswürdigen Eingangtraktes, doch schlug der Architekt auch eine Alternative vor, das ganze Bibliothekszentrum direkt an die Talferbrücke zum dortigen Ententeich zu verlegen (an die Stelle, wo Jahre später der Vorschlag für die Talstation der Seilbahn Jenesien erneut für Furore sorgte) um so das verbindende Element des Projekts am Übergang der zwei Stadthälften hervorzuheben.

 

 

In den nächsten Jahren verzögerte auch die Digitalisierung das Projekt. Es mussten Fragen beantworten werden wie: Ist eine Bibliothek im digitalen Zeitalter überhaupt noch aktuell oder welche Aufgaben würde sie übernehmen müssen. Der ursprüngliche Gedanke als Kulturinstitution eines mehrsprachigen autonomen Gebietes geriet dabei immer mehr unter die Räder. Vielleicht, weil man es politisch nicht mehr für nötig befand und es vielleicht auch nicht mehr nötig war, für diese symbolische Botschaft solche Summen in die Hand zu nehmen.

 

 

Für die Planer galt es hingegen, die „räumliche Qualität durch das Wechselspiel zwischen offenen und geschlossenen Bereichen“[3], welches sich aus den gestapelten Archiven ergibt, in deren Zwischenräumen die allgemeinen Bereiche liegen, zu erhalten und in eine zeitgemäße Bibliothek umzuwandeln, deren Buchbestände nicht mehr die vorrangigsten Elemente sind und so ins Untergeschoss verschwinden können. Und das alles ohne die Gestalt des Siegerprojektes zu verlieren. So wurden aus dem Bearbeitungszeitraum von 1,5 Jahren 10 Jahre, in denen das architektonische wie inhaltliche Konzept zusammen mit den zuständigen Bibliotheken und Ämtern des Landes und der Gemeinde ausgearbeitet wurde. Hierfür zog man auch Experten aus Amsterdam und Seattle hinzu,welche beide über ähnlich vielschichtige Bibliotheksprojekte verfügen.

 

 

Zur Feier des zehnjährigen Jubiläums des Projektes gab es 2015 dann erneut Schlagzeilen. Mit einem nur vier Zeilen langen Schreiben wurde dem Architekten die Beauftragung für die Ausführungsplanung entzogen. Mit einem „appalto integrato“, einer „integrierten Bauauschreibung“ versuchte man das inzwischen politische und leicht polemische Projekt zu beschleunigen, in dem man es effizienter und billiger machen wollte. Was bisher in Südtirol bei solch repräsentativen Gebäuden als undenkbar galt, spiegelte wohl die inzwischen niedige Priorität des Projektes wider, welches es weniger galt fertigzustellen, als vielmehr einfach zu beenden.

 

 

Nach 2-3 Jahren des ständig angekündigten Baubeginns und einem kurzen Intermezzo, wo man das letzte Stockwerk des Zentrums nicht realisieren wollte, kam 2019 erneut frischer Wind in das Projekt. Angekurbelt durch die Ötzi- Standort Frage, gab es plötzlich die Idee, die laufende Ausführungsplanung und Ausschreibung um das Ötzi-Museum zu erweitern und mittels einer Aufstockung ein zusätzliches Museumsstockwerk zu integrieren. So sollte die natürliche Achse der Stadt, vom Zwölmalgreienplatz bis zum Grieserplatz, wieder lebendig gemacht werden und das Gebäude erneut als ein Verbindungselement dienen.

 

 

Zwar gab es sicher noch viele andere Gründe, welche den Bau immer wieder verzögerten und wohl noch verzögern werden. Doch zeigte Christoph Mayr Fingerle oft auf, dass es durchaus die kleinen Dinge im Hintergrund sind, die den Unterschied zwischen einem erfolgreichen und einem erfolglosen Projekt ausmachen und dass man nicht davor zurückschrecken sollte, diese pointiert anzusprechen.

 

Arch. Christoph Mayr Fingerle verstarb Ende Februar nach 40-jähriger Tätigkeit als selbständiger Architekt. Neben seinen realisierten Bauten beeinflusste er auch durch einen öffentlichen Diskurs die Themen Kunst, Architektur und Entwicklung der Landeshauptstadt.

 

 

 

[1] Auslobungstext Wettbewerb 2003 

[2] http://www.provinz.bz.it/bauen-wohnen/oeffentliche-bauten/ergebnisse-projektierungswettbewerbe/bozen-bibliothekenzentrum-1-phase.asp

[3] Juryprotokoll 2004

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Michele De Luca Mar, 04/14/2020 - 01:35

Es tut mir leid, dies schreiben zu müssen, vor allem angesichts des Ablebens seines Autors, aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das Projekt eine Entstellung jenes Viertels bleibt, das mit dem (bedauerlichen) Abriss des ehemaligen Kinos Corso begann. Aber ich gebe sicherlich nicht dem Autor des Projekts die Schuld, sondern sicherlich denjenigen, die es damals genehmigt haben.
Der Artikel erinnert uns sehr gut daran, dass das Projekt von einem tiefen Widerspruch geprägt ist. Einerseits sollte es ein "inter-ethnischer" Treffpunkt sein, doch dann verschwindet die Annahme nur wenige Sätze später!
Unnötig zu sagen, dass diese Jahre in vollkommener Untätigkeit verloren gegangen sind. Es scheint heute verfänglich zu sein zu sagen, dass ein Verzicht auf das Projekt, falls dies jemals rechtlich möglich sein sollte, alles um Jahre zurückwerfen würde. Jahre, die ohnehin schon vergangen sind.
Genau aus diesem Grund wäre eine Überlegung mehr als angebracht, um die Idee, den Kontext und vor allem das, was man auf diesem Areal tun will, radikal zu überdenken. Auch weil eine Ausgabe von 60 Millionen Euro heute (und für lange Zeit) wirklich schwer zu rechtfertigen sein wird.

Mar, 04/14/2020 - 01:35 Collegamento permanente