Politica | Corona und Tourismus

Grenzen des Wachstums im Tourismus

Die Pandemie zeigt die starke Abhängigkeit vom Tourismus auf. Weiteres Wachstum bringt nicht nur mehr Belastungen, sondern mittel- und langfristig auch weniger Resilienz.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Touristen
Foto: Othmar Seehauser

Gastgewerbe und Hotellerie gehören zu den tragenden Säulen der Südtiroler Wirtschaft. Sie beschäftigen über 33.000 Menschen, sorgen für Nachfrage nach Vorleistungen und Produkten anderer Branchen: Handel, Landwirtschaft, Baugewerbe, andere Dienstleistungen. Die so generierte Wertschöpfung sorgt für Einkommen der Familien und Steuereinnahmen für den Landeshaushalt. Corona hat die Mobilität und Reisefreiheit temporär blockiert und damit diese Branche ins Herz getroffen. Für viele Betriebe wird diese Sommersaison eine Durststrecke.

Jetzt, mitten in einer derartigen Krise auf die Grenzen des Tourismus hinzuweisen, mag schon fast ketzerisch sein. Doch es ist die Krise selbst, die schon vorher bekannte Schwächen, Risiken und Nachteile dieser überdimensionierten Branche deutlicher aufzeigt.

Da ist zunächst die völlige Abhängigkeit des Fremdenverkehrs von der Mobilität und Kaufkraft der auswärtigen Kunden, die gar nicht so krisensicher ist, wie angenommen. Je mehr Gewicht der Tourismus in unserer Wirtschaft hat, desto höher die Krisenanfälligkeit insgesamt. Regionale Kreisläufe können nicht einseitig auf eine Branche setzen, die fast gänzlich von der externen Nachfrage abhängen, sondern brauchen verschiedene Standbeine, die im Land selbst verankert sind.

Dann die ökologische Belastung, die der Corona-Stillstand schlagartig spürbar gemacht. Es fehlt die durch den touristischen Verkehr permanente Luft- und Lärmbelastung, die röhrenden Motorradhorden in den Passtälern, die regelmäßigen, auch PKW-erzeugten Staus auf den Transitrouten, die Überfüllung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Dienstleistungen und weiterer Stress mehr. Vielen Menschen in den schon überlasteten Gegenden wird jetzt richtig bewusst, was etwas weniger Tourismus an Lebensqualität gewinnen ließe.

Das führt zur Frage der Nachhaltigkeit im Tourismus. Mit 7,7 Mio. Ankünften und 33,6 Mio. Nächtigungen (2018/2019) ist Südtirol die Alpenregion mit der höchsten Tourismusintensität (Übernachtungen pro ansässige Wohnbevölkerung). Mit seinen fast 225.000 Betten hat Südtirol auch die höchste Beherbergungsintensität im Alpenraum (Betten pro km2). Mag sein, dass dadurch viele zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Doch bei einer schrumpfenden einheimischen Erwerbsbevölkerung braucht das Land diesen Zuwachs an Arbeitsplätzen nicht mehr, schon gar nicht nur saisonal und gering entlohnt. Mit Millionen Euro Steuergeld muss die IDM ständig neue Kundenkreise in der Ferne erschließen. Es entstehen Überkapazitäten und Blasen, die zu Pleiten, überschüssiger Kubatur und nachfolgend Umwidmungen und zusätzlichen Subventionen für die Rettung der Betroffenen führen.

50 neue Tourismuszonen sind bis August 2019 bei der Landesregierung beantragt worden. Aufgrund schon bestehender Tourismusentwicklungskonzepte können zu den heute fast 225.000 Betten weitere 25.649 Betten gebaut werden, auch in Tourismushochburgen. Die Landesregierung muss eine Vorahnung von Corona gehabt haben, als sie 2019 nicht all diese Zonen genehmigt hat. Die Wiedereinführung des Bettenstopps bei Quote 229.000 ist nach dieser Krise noch stärker geboten. Die Devise „Keine neuen Erschließungsprojekte, keine neuen Bettenburgen“ ist jetzt noch aktueller.

Der in Südtirol überentwickelte Tourismus (overtourism) ist schließlich nicht mit konsequentem Klimaschutz vereinbar. Tourismus setzt Mobilität voraus, die gerade bei den Gästen in Südtirol zu 90% immer noch fossil betrieben. Die großen Wellnessbuden sind Energieschleudern, bringen hohen Bodenverbrauch, weisen hohe Fixkosten und raschen Kapitalamortisationsbedarf auf. Das macht sie wiederum risikoanfälliger. Mit Resilienz umschreibt man die Fähigkeit, Krisen zu überstehen, äußere Störungen des Systems abzufedern und den Wandel positiv zu bewältigen. Die Corona-Pandemie war nicht absehbar, wird abziehen und gegen solche Krisen kann man sich künftig besser rüsten. Doch die Erderwärmung ist schon lang absehbar, nicht vorübergehend und wird mehr Anforderungen auch an die wirtschaftliche, nicht nur ökologische Resilienz mit sich bringen.

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lösch hans Gio, 04/30/2020 - 21:24

Sehr wichtiger Beitrag, diese Sonntage ohne Lärm und Gewusel Ende März und Anfang April waren die schönsten Tage seit Jahren. Hatte schon ganz vergessen was Ruhe heißt. In Anbetracht dessen müßte ich eine Schadenersatzforderung für die letzten Jahre vom Tourismus verlangen

Gio, 04/30/2020 - 21:24 Collegamento permanente
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Johann Georg B… Ven, 05/01/2020 - 09:33

Herr Benedikter, Ihr Bericht ist einseitig,nur gegen den Tourismus, es ist immer ein geben und nehmen,die Landwirtschaft ein grosser Wirtschaftszeig lebt mit dem Tourismus genau so wie das Baugewerbe mit allen Handwerkern und viele Familien.Indirekt betrifft es jeden denn wer bezahlt die Steuern???
Sie sollten nicht gegen den Tourismus hetzen,er ist wichtig für unser Land.

Ven, 05/01/2020 - 09:33 Collegamento permanente
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Winfried Theil Sab, 05/02/2020 - 05:15

Die derzeitige Krise hat gezeigt, welche Umweltverbesserungen möglich sind, die letzlich auch der Tourist zu schätzen weiss : weniger Lärm, bessere Luft, keine Staus! Das sollte uns zu denken geben! Weniger ist mehr und ein noch Mehr ist kontraproduktiv, weil mehr Abhängigkeiten entstehen: kein einheimisches Personal, eingeschränkte Gästemobilität, hohes Amortisationsrisiko! Diese Entwicklung wird zudem im neuen Raumordnungsgesetz ignoriert nach dem Motto : weiter so! Wollen wir das?

Sab, 05/02/2020 - 05:15 Collegamento permanente
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△rtim post Dom, 05/03/2020 - 01:51

Vielleicht hilft Corona, uns selbst ehrlich zu machen. Ansonsten funktioniert das mit der Resilenz wohl nicht. So die praktische Philosophie.
Lokalität ist in Corona-Zeiten wieder ein Vorteil. Und vor allem nachhaltiger. Das zeigt uns in dieser Zeit die Schweiz, die ja weitaus stärker global ausgerichtet war als das Südtirol:
https://www.nzz.ch/reisen/tourismus-in-zeiten-von-corona-reisen-vorerst…

Dom, 05/03/2020 - 01:51 Collegamento permanente