Società | second hand

Gestörter Duce

In einem NZZ-Artikel wird der Umgang mit dem Mussolini-Relief am Bozner Gerichtsplatz als Beispiel für eine “Lösung für fragwürdige Denkmäler” präsentiert.
Mussolini-Relief mit Arendt-Schriftzug
Foto: LPA/Oskar Verant

“Heute grüßt der Duce nicht mehr ungestört.” Unter diesem Titel ist in der Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 15. Juli (und auch in der Online-Ausgabe) ein Artikel erschienen, den die Journalistin Ruth Fulterer – die 27-jährige Boznerin arbeitet seit Jänner im Auslandsressort der NZZ – dem Umgang mit einem der faschistischen Bauwerke in ihrer Heimatstadt widmet. Das 2017 entschärfte Mussolini-Relief am Gerichtsplatz in Bozen sei ein Beispiel dafür, wie eine “Lösung für fragwürdige Denkmäler” aussehen kann, heißt es in dem Artikel.

Fulterer zeichnet für die NZZ-Leser, gemeinsam mit dem Historiker Hannes Obermair, die Geschichte des von Hans Piffrader gemeißelten Reliefs nach, auf dem unter anderem Benito Mussolini die Hand zum römischen Gruß erhebt – unterlegt vom Leitspruch des Faschismus “Credere, obbedire, combattere”. 2017 wurde eine Lichtinstallation mit dem Zitat von Hannah Arendt über dem Relief angebracht: “Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.”

 

“Aus einem geschichtsvergessenen Denkmal ist ein Mahnmal geworden”, schreibt Fulterer – und nimmt dann Bezug auf die vielen Statuen, “die nun im Zuge der ‘Black Lives Matter’-Bewegung gestürzt und besprüht werden”. Historisierung und Verfremdung, nicht Musealisierung könnte auch in diesem Zusammenhang eine Lösung sein, wie das Beispiel Mussolini-Relief aufzeige. “Der nächste natürliche Schritt muss nicht die Demontage der Statuen sein. Man kann sie auch verfremden und kommentieren. Damit behält man ihre gute Seite: nämlich, dass sie einen Anlass geben, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Und zwar allen, die an ihnen vorbeigehen, nicht nur denjenigen, die sich aktiv entscheiden, ein Museum zu besuchen.”

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G. P. Mer, 07/15/2020 - 14:49

War irgendwie klar, dass so ein Artikel nur von einer Südtiroler Journalistin stammen kann. Was würde sie wohl schreiben, wenn mit einem Hitler-Relief so tolerant und nachsichtig umgegangen würde?

Mer, 07/15/2020 - 14:49 Collegamento permanente
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Karl Egger Mer, 07/15/2020 - 15:46

Schon allein hier von einer „Lösung“ zu sprechen ist mehr als naiv... Projektor aus und der Ducebgrüßt wieder ungestört. Diese „Denkmäler“ glorifizieren nach wie vor den Faschismus und gehören wenn schon ins Museum.

Mer, 07/15/2020 - 15:46 Collegamento permanente
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Alex Favalli Mer, 07/15/2020 - 15:54

"Damit behält man ihre gute Seite: nämlich, dass sie einen Anlass geben, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Und zwar allen, die an ihnen vorbeigehen, nicht nur denjenigen, die sich aktiv entscheiden, ein Museum zu besuchen."
Die Frage nach dem Umgang mit Denkmälern und Statuen in Europäischen und U.S.-Amerikanischen Städten repräsentiert eine Angelegenheit, die zum einen sehr stark differenziert werden muss und zum anderen mit keiner allgemeinen "Lösung für fragwürdige Denkmäler" zu beantworten ist. Im exemplarisch bekannten Fall vom konföderierten Sklavenhalter Robert E. Lee - an dem in Form einer Statue in Charlottesville, Virginia erinnert wird - wird von konservativer Seite oft argumentiert, die BLM-Bewegung wolle die Geschichte der Vereinigten Staaten neu schreiben oder gar leugnen. Allerdings wurde die Statue weder während des Bürgerkriegs, noch nach Lee's Tod errichtet, sondern erst 1917 während der Jim-Crow-Ära und lässt deshalb auf eine politische Zelebrierung eines Mannes, der lieber in einen Bürgerkrieg gegen sein eigenes Land zog, als Sklaverei abzuschaffen, schließen. Die entscheidende Frage ist also nicht, ob Geschichte neu geschrieben wird - Historiographie ist in ihrem Kern revisionistisch.
Im Fall eines Konzentrationslagers ist es wohl sinnvoll, dieses in eine aufklärende Gedenkstätte umzuwandeln. Es ist nämlich nicht nur eine belegende, historische Gedenkstätte, sondern kann auch das (vage) Gefühl eines industriellen Völkermordes vermitteln. Deshalb war auch der Kompromiss, aus dem Bozner "Mussolini-Relief" ein Dokumentationszentrum anzuhängen sinnvoll.

Mer, 07/15/2020 - 15:54 Collegamento permanente
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Schorsch Peter Gio, 07/16/2020 - 09:01

Ich finde die Lösung sehr gut: Ich finde es gut, wenn man Geschichte nicht nur in Geschichtsbüchern liest, sondern die Spuren wirklich noch "in echt" sieht, wenn man Geschichte also als etwas nicht abstraktes Vergangenes, sondern noch Greifbares erfassen kann, und sich somit auch aus meiner Sicht auch mehr damit auseinandersetzt, da man versteht, dass es doch noch gar nicht so lange her ist. Ich hatte vor einigen Jahren an einer Führung teilgenommen (Hintergrund Architektur), und ich fand es hochspannend und interessant. Und nein, ich bin kein Duce-Fan, ganz und gar nicht, aber man sollte sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen, das hilft auch in der Gegenwart und für die Zukunft!

Gio, 07/16/2020 - 09:01 Collegamento permanente
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Peter Gasser Gio, 07/16/2020 - 09:56

In risposta a di Schorsch Peter

Ich stimme Ihnen hierbei zu:
Denkmäler radikalen Denkens entfernen - und dann selbst radikal weiter denken, ist auch keine Lösung.
Da ist es besser, Monumente radikalen Denkens in Form eines Negativbeispiels als Mahnmal vor Augen zu haben.

Aufdass radikales Denken gesellschaftlich tabu ist und bleibt - und Geschicht sich doch nicht wiederholt...

Gio, 07/16/2020 - 09:56 Collegamento permanente
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Karl Egger Gio, 07/16/2020 - 13:44

In risposta a di Peter Gasser

Um diese Denkmäler als Mahnmale wahrzunehmen, müsste erstmal eine (ernsthafte) Kontextualisierung stattfinden. Oder glauben Sie wirklich ein Faschismus-Sympathisant denkt sich, wenn er auf dem sog. Siegesplatz am sog. Siegesdenkmal vorbeigeht „Ich sollte meine radikale Denkweise überdenken“ bloß weil im Keller ein Ausstellungsraum ist? Das selbe am Gerichtsplatz, mit dem seltsamen Hannah-Arendt-Zitat, welches die wenigsten überhaupt verstehen... Projektor aus und alles ist wie vorher! Ich finde es nach wie vor unverständlich, wie umsichtig heute noch mit diesen Artefakten umgegangen wird, bloß weil Italien links- wie rechts durchwegs nationalistisch eingestellt ist und man den ganzen Faschismus-Nostalgikern nicht auf die Füße treten will... Hitler-Denkmälern wird schließlich (zurecht) auch keine Träne nachgeweint! Vom Prinzip her ist es für mich vergleichbar, wie wenn man statt neuer Abgasvorschriften einen Ferrari als „Mahnmal“ aufstellen würde...

Gio, 07/16/2020 - 13:44 Collegamento permanente
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Schorsch Peter Gio, 07/16/2020 - 13:58

In risposta a di Karl Egger

ich weiss zwar nicht, ob ich das Zitat so interpretiere wie Hannah-Arendt, aber so wie ich es interpretiere, finde ich das Zitat sehr treffend, sowohl für die entsprechende Vergangenheit, als auch wieder für heute.
Am Gerichtsplatz gibt es auch einige Infotafeln, die man lesen kann (gut, diese hätten vielleicht etwas sichtbar angebracht werden können), die Tafeln zum Siegesdenkmal sind allerdings, wenn ich mich recht erinnere, sehr gut versteckt.
Nein, ich glaube nicht, dass Faschismus-Sympathisanten dadurch von ihrer Einstellung wegkommen, da gebe ich Ihnen recht, aber sie kommen auch nicht davon weg, wenn diese Bauwerke abgerissen werden. Das geht, wenn überhaupt, vielleicht nur mit viel Diskussion und Konfrontation mit härterem Tobak. Aber dann gibt es z.B. noch die "normale" Jugend, die auch nicht vergessen sollte, was passiert ist, und für diese kann man eben einen Bezug zur Geschichte am Leben lassen, denn lebende Zeitzeugen gibt es immer weniger.
Und Nachdenken hat noch nie geschadet.

Gio, 07/16/2020 - 13:58 Collegamento permanente
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Hartmuth Staffler Gio, 07/16/2020 - 14:03

Die "Entschärfung" des Mussolini-Reliefs am Gerichtsplatz durch die bescheidene Leuchtschrift war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Demokraten und ewiggestrige Mussolini-Bewunderer einigen konnten. Dass das Arendt-Zitat (noch dazu verstümmelt) vollkommen aus dem Zusammenhang (Eichmann-Prozess) gerissen wurde und daher für die meisten Passanten nicht verständlich ist, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Man war ja schon froh, dass man überhaupt etwas am Denkmal machen durfte, wobei es nicht beschädigt werden durfte und peinlich darauf geachtet wurde, dass die zwar unverständliche und damit auch für Faschisten akzeptable, aber dennoch "störende" Schrift jederzeit, wenn es die politischen Verhältnisse erlauben, wieder entfernt werden kann.

Gio, 07/16/2020 - 14:03 Collegamento permanente