Società | Zukunftspakt

Visionär, nicht blauäugig

Eine Bürgerinitiative will mit der Landesregierung gemeinsam einen Nachhaltigkeitsplan schaffen. Ziel: Klimaneutralität bis 2035. Sie hat bisher 250 Unterstützer*innen.
Zukunftspakt 3
Foto: (Foto: salto.bz)

Es tut gut, inmitten der vielen Wutbürger*innen, Politik-müden und gewaltsam Protestierenden einer Gesellschaftsinitiative der konstruktiven Art zu begegnen. Zukunftspakt für Südtirol- so heißt der Zusammenschluss von 13 Menschen, und 250 Unterstützer*innen, die ihre Vision für ein nachhaltiges Südtirol am heutigen Dienstag (1. September) der Öffentlichkeit präsentierten. Das „Für“ im Namen, und das Wort „Pakt“ zeigen den positiven Ansatz der Gruppe. Ihre Vision: Bürger*innen, Expertengruppen, Interessensverbände und politische Entscheidungstragende sollen sich gemeinsam an einen Tisch setzen, und konkrete Maßnahmen ausarbeiten, um „das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben neu aufzubauen, und zwar wirklich krisenfest und zukunftsfähig,“ wie es in dem Manifest der Initiativgruppe heißt. „Die großen Aufgaben können wir nur in einem gemeinsamen Kraftakt lösen,“ betont einer der Initiatoren Johannes Engl. „Alle Akteure in der Südtiroler Gesellschaft müssen daher einen Beitrag dazu leisten,“ so der Unternehmer. Konkret gilt dieser Beitrag der Gestaltung eines Nachhaltigkeitsplans, Kern der Initiative Zukunftspakt für Südtirol.

 Die großen Aufgaben können wir nur in einem gemeinsamen Kraftakt lösen. Alle Akteure in der Südtiroler Gesellschaft müssen daher einen Beitrag dazu leisten

Wie die Zukunft gestalten?

 

Wie genau dieser Nachhaltigkeitsplan erarbeitet werden soll, erklärt Kris Krois, Professor der Fakultät für Design der Freien Universität Bozen und Mitglied des Kernteams: „Der Zukunftspakt sieht vor, das Wissen und die Interessen von Vielen in einem produktiven und kollaborativen Prozess zusammenzuführen.“ Über Losverfahren soll ein Bürgerrat zusammengesetzt werden, der die Gesellschaft repräsentiert, also Vertretungen hat aus allen Gesellschaftsschichten, Geschlechtern, Sprachgruppen usw. Diese sollen mit Fachkreisen aus verschiedenen Bereichen zusammengeführt werden, sprich mit Expert*innen aus der Mobilität und Logistik, Biodiversität, Landwirtschaft, Wohnen und mehr. Auch politische Entscheidungstragende und Interessenverbände sollen am Prozess mitwirken. „Wir haben informellen Kontakt mit der Politik, sind jetzt aber erst öffentlich geworden“, schildert Krois den Stand der Dinge. „Wir hoffen nun, mit der Landesregierung, insbesondere dem Landeshauptmann und seinem Nachhaltigkeitsbeauftragten Klaus Egger in ein produktives Gespräch zu kommen.“

Wir wollen in Südtirol bis 2035 klimaneutral sein. Maßnahmen dafür sollen von einem Bürgerrat und einem Fachrat gemeinsam mit Politik und Interessenverbänden ausgearbeitet werden

Die Ausarbeitung und Umsetzung des Nachhaltigkeitsplanes ist auf 15 Jahre angesetzt und soll öffentlich finanziert werden. Der Zeitraum ist wohl überlegt, denn in fünfzehn Jahren soll das Hauptziel des Paktes erreicht sein: „Wir wollen in Südtirol bis 2035 klimaneutral sein,“ stellt Nachhaltigkeitsberater und Mitinitiator Emilio Vettori das ambitionierte Ziel des Nachhaltigkeitsplanes vor. Dafür müssten verschiedene Bereiche reformiert werden. So etwa bräuchte es eine regionale Kreislaufwirtschaft, ein nachhaltiges Nahverkehrssystem sowie klimaneutrale Logistiksysteme für den Warentransport. Außerdem zentral: energieeffiziente Gebäude und erneuerbare Energien. Anhand von konkreten Indikatoren soll der Prozess monitoriert und begleitet werden, erklärt Vettori weiter. „Dabei müssen die Lösungen auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und angepasst werden.“

 

 

Übernehmen soll diese Begleitung unter anderem ein Zukunftsrat, bestehend aus Delegierten aus dem größeren Bürgerrat sowie aus dem Fachrat, erklärt Professor Krois. „Wichtig ist, dass der Zukunftsrat institutionalisiert wird, damit er auch Regierungswechsel überlebt.“ Denn ein Akteur, der nicht gesetzlich festgeschrieben sei, wie etwa Kompatschers Nachhaltigkeitsberater, könne mit einer neuen Regierung auch wieder weg sein, die gute Arbeit wäre dann umsonst.

Wichtig ist, dass der Zukunftsrat institutionalisiert wird, damit er auch Regierungswechsel überlebt.

Weitere Schlüsselwörter des Zukunftspakts für Südtirol sind Transparenz und Partizipation, erklärt die Universitätsdozentin Sabina Frei, denn, um eine nachhaltigere und sozialer Zukunft zu gestalten, müssten unterschiedliche Sichtweisen miteingebracht werden: „Die Expertise, die wir Bürgerinnen und Bürger mitbringen, ist, dass wir sehr eng mit unseren jeweiligen Lebenswirklichkeiten verbunden sind. In einem Nachhaltigkeitsdiskurs ist diese breite Expertise zwingend mitzubringen.“ Das zeigten auch die erfolgreichen Beispiele in Europa, welche alle von einer breiten Basis der Bevölkerung mitgestaltet wurden.

„Wir sind nicht blauäugig“ kommt Fei den „Gutmensch-Kritikern“ zuvor. „Wir wissen, dass es im Diskurs um Verteilungskämpfe und Ziel-Konflikte gehen wird. Aber wir sind der Überzeugung, dass man aus diesen Konflikten heraus gemeinsam getragene Ziele und Maßnahmen entwickeln kann,“ so die Dozentin für Partizipation der Uni Bozen.

 

Warum jetzt?

 

Wie dringend die Umsetzung solcher Maßnahmen ist, verdeutlicht Georg Kaser, der ebenso zur Initiativgruppe gehört: „Wir sind bereits mitten im Klimawandel,“ beginnt der Klimaforscher. „Die Erde hat sich um 1 Grad Celsius erwärmt. Eine Erwärmung von 1,5 Grad Celsius wird schon enorme Schäden bringen, eine Erwärmung von 2 Grad Celsius wird weder das globale Ökosystem aushalten, noch wird es die Menschheit und das Wirtschaftssystem aushalten,“ so die düsteren Prognosen des Klimaforschers.

Bis 2050 müssen wir auf 0 Emissionen kommen. Das ist zwar ambitioniert, aber anders geht es nicht. Schaffen wir dieses Ziel, haben wir eine fünfzig Prozentige Chance unter einer Erwärmung von 1,5 Grad zu bleiben, und eine sehr große Chance, unter 2 Grad zu bleiben. Alles andere hält weder das globale Ökosystem, noch die Menschheit und das Wirtschaftssystem aus.

Ist diese Temperatur erstmal erreicht, so Kaser, hätten wir keine Kontrolle mehr über das Klima. Um diesen Kipppunkt der Temperaturen zu vermeiden gelte es, bis 2030 die globalen Treibhausgas-Emissionen um 45 Prozent gegenüber dem Jahr 2010 zu senken. Bis 2050 müsste man dann auf 0 Emissionen kommen. „Das ist zwar ambitioniert, aber anders geht es nicht“, bringt es Kaser auf den Punkt. „Schaffen wir dieses Ziel, haben wir eine fünfzig Prozentige Chance unter einer Erwärmung von 1,5 Grad zu bleiben, und eine sehr große Chance, unter 2 Grad zu bleiben.“

Dabei sei zu beachten, dass es Länder gebe, die aufgrund ihres Entwicklungsstandes oder ihrer politischen Situation nicht in der Lage seien, ihre Treibhausgase ausreichend zu reduzieren. „Daher müssen ambitionierte und wohlhabende Länder auch mehr, also 70 oder 80 Prozent ihrer Emissionen reduzieren,“ schließt Kaser. Zu diesen Ländern gehöre auch Südtirol.

 

 

Warum Südtirol?

 

So macht das Ziel des Zukunftspaktes für Südtirol, innerhalb der nächsten 15 Jahre Null Emissionen in die Erdatmosphäre zu stoßen, einen Sinn. Dieses Ziel sei laut der Initiativgruppe gerade in Südtirol besonders machbar, da das Land zum einen über günstige politische Konstellationen verfüge (Stichwort: Autonomie), reich sei, keine Schwerindustrie besitze und bereits erneuerbare Energien habe, die weiter ausgebaut werden könnten. „Wenn es Südtirol gelingt, diese Maßnahmen umzusetzen, kann es eine Kettenreaktion auslösen und Vorbild sein für andere Regionen Europas,“ sagt Klimaforscher Kaser.

Gerade Südtirol kann Vorbild für andere Regionen sein: Es hat günstige politische Konstellationen, ist reich, besitzt keine Schwerindustrie und hat bereits erneuerbare Energien

Doch auch der Umgang mit der Covid-19 Krise gibt Grund zur Hoffnung, dass es Südtirol und der Welt gelingen kann, rechtzeitig die Notbremse zu ziehen: „Wir haben während dieser Zeit gesehen: Radikale Veränderungen sind durchaus möglich, genauso wie eine effektive Zusammenarbeit von Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft,“ freut sich Professor Krois. Mit diesem Ansatz müsse man nun auch die Klimakrise mindestens ebenso entschlossen angehen. Denn, so schreiben die Engagierten im Manifest des Zukunftspakts:

„In unserer Verantwortung liegt es, jetzt die Weichen dafür zu stellen, dass unsere Kinder und Enkelkinder intakte Lebensräume, nachhaltige Versorgungssysteme und leistungsfähige Infrastrukturen vorfinden.“ Und um die Aussage des Klimaforschers Kaser als Schlusssatz zu verwenden: „Das sind wir dieser letzten Chance schuldig.“

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Peter Kasal Mar, 09/01/2020 - 18:40

Finde das eine gute Initiative! Vorschlag, bzw Einladung: Nehmt doch auch jetzt schon die einschlägigen Ämter in der Landesverwaltung mit! Als Direktor des Amtes für Landschaftsplanung hab ich laufend mit Nachhaltigkeitsfragen zu tun und nachhaltigkeitsrelevante Entscheidungen werden bei uns zumindest vorbereitet. Vielleicht ergibt sich da eine gute Zusammenarbeit!

Mar, 09/01/2020 - 18:40 Collegamento permanente
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rotaderga Mar, 09/01/2020 - 22:41

Klimaneutralität bis 2035, unmöglich!
Zu welchen Datum gab es in der Geschichte dieser Welt eine Klimaneutralität?
Gab es nicht und wird es auch in Zukunft nicht geben.
Nur wird mir das niemand glauben wollen. Denn zu viel Business und "Nachhaltigkeit" ist schon in der Angelegenheit.
Deshalb wird die Litanei weiter geleiert.

Mar, 09/01/2020 - 22:41 Collegamento permanente
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Peter Gasser Mar, 09/01/2020 - 22:48

In risposta a di rotaderga

Dem stimme ich zu: wer heute noch Dieselbusse kauft, kann niemals von einer Klimaneutralität 2035 reden, es sei denn, es wird bloß eine “rechnerische” oder gekaufte Klimaneutralität angestrebt.
Niemand schafft bis 2035 eine faktische Klimaneutralität: dieser Zug ist bereits abgefahren, leider.
Persönlich bin ich der Ansicht, dass dies - faktisch - auch bis 2050 nicht mehr zu schaffen ist, ohne dass es weltweit schwere Verwerfungen gibt.

Mar, 09/01/2020 - 22:48 Collegamento permanente
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Karl Trojer Gio, 09/03/2020 - 11:45

Die Frage ob das hier angestrebte Ziel erreichbar ist, beantworte ich (für Südirol) eindeutig mit JA, vorausgesetzt dass :
- die Mehrheit der Politiker und der Bevölkerung dies auch wollen,
- wir Lebensqualität vor Gewinnmaximierung setzen,
- wir unseren Nachkommen eine lebenswerte Erde erhalten wollen,
- wir den Mut haben, ein Scheitern zu riskieren.

Gio, 09/03/2020 - 11:45 Collegamento permanente