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Der Horror-Luis

Luis Leitner war über 30 Jahre lang Filmspanner im Brixner Astra-Kino, das ihm auch als Kulisse für seine große Leidenschaft diente: der Produktion von Horrorfilmen.
Luis Leitner
Foto: Georg Hofer

Aus einem Spalt in der Wand lugen Augen in den Zuschauerraum. Ein Spanner beobachtet die Pärchen in den Sitzreihen. Die Luft ist dunstig und die Kinoleinwand flimmert. Abgehackte Filmschnitte und schrille Musik lassen nichts Gutes erahnen: Hier wird bald etwas Schreckliches passieren.

Mit seinem Horrorfilm „Der Kinospanner“ zollte Luis Leitner dem kurz vor der Schließung stehenden Brixner Astra-Kino noch einmal Tribut. Vom Keller über die Projektionskabine bis zum Zuschauerraum sind alle Ecken des Hauses darin festgehalten. Sogar Kino-Katze Gina spielt eine Rolle. Das geschichtsträchtige Gebäude aus der Zeit des Faschismus war über 30 Jahre lang der Arbeitsplatz von Luis Leitner. In welchem Jahr der Elvaser die erste Filmrolle aufspannte, weiß er nicht mehr. An den Film erinnert es sich genau: „Die Todeskralle schlägt wieder zu“ mit Bruce Lee. „Es muss also Mitte der 70er gewesen sein“, schließt er daraus. Neugierig spaziert Leitner durch die Vorhalle des neu renovierten Kulturzentrums Astra. Der letzte Film, den er hier vorführte, war „The King’s Speech“ aus dem Jahr 2010. Der schweißtreibenden Tätigkeit mit schweren Filmrollen und Projektoren und dem präzisen Überblenden der Streifen setzte die Digitalisierung ein Ende. Seiner zweiten Leidenschaft als Filmemacher kam sie aber auch zugute.

 

Luis Leitner ist auf einem Bauernhof in Elvas bei Brixen aufgewachsen. „Wir Kinder waren die glorreichen Sieben“, sagt er und erzählt von seiner Familie. Der Hof brannte eines Tages bis auf die Grundmauern ab. Ein Bruder verunglückte mit dem Motorrad, ein anderer, Max, geriet auf die schiefe Bahn. Luis Leitners Leidenschaft für das Horrorgenre geht auf jene bewegten Kindheitstage zurück: Eine Tante erzählte den Kindern auf dem Hof regelmäßig Geistergeschichten. „Sie konnte richtig guterzählen und die anderen Kinder fürchteten sich und wollten lieber etwas Lustiges hören, ich aber war fasziniert!“ Als Jugendlicher lernte Leitner die Brixner Kinobetreiber, Familie Bernardi, kennen. Er war begeistert vom Kino und so kam es, dass er nach der Schule dort eine Stelle als Kinovorführer annahm.

Hinter den Kulissen des Astra-Kinos tat sich eine neue, faszinierende Welt auf: Die alten Projektoren erzeugten mit Kohlenstäben ein helles Licht, das über einen Spiegel auf die Filmrollen fiel und das Bild wurde projiziert. Während des Filmes mussten die Kohlen immer wieder justiert werden, damit das Bild nicht verrutschte. Die späteren Xenonlampen waren gefährlich, denn sie wurden sehr heiß und der Film war hochentflammbar. „Wie gut die rochen, die neuen Filme, wenn ich sie aus der Dose herausnahm!“, erinnert sich der Filmspanner. Ein Zweistunden-Film bestand aus sechs bis sieben Rollen, die auf große Spulen montiert und geklebt wurden. Das war Präzisionsarbeit: „Hatte man sich um nur ein kleines Stückchen vertan, dann war ein Strich im Bild zu sehen.“ Bei den Projektoren mussten immer wieder Lampen ausgetauscht, Zahnräder ersetzt, Öle gewechselt werden. „Das waren noch richtige Maschinen!“, erzählt Leitner und gerät ins Schwärmen über die „Viktoria 6“, seinen Lieblings-Projektor.

In all den Jahren erlebte der Mitarbeiter so manch kuriose Geschichte im Astra: Eines Abends während einer Vorführung öffnete sich der Vorhang am Eingang einen Spalt breit und ein großer Schäferhund trat in den Zuschauerraum. Er ging langsam durch den Mittelgang und legte sich zwischen die ersten Sitzreihen. Es war ein heißer Sommerabend und die Türen zum Foyer hatten offen gestanden. Der Hund blieb bis zum Ende der Vorführung liegen und sah sich den Film an. „Als die Leute aufstanden, erhob auch er sich und ging wieder hinaus – als wäre es das Normalste auf der Welt!“, erzählt Leitner amüsiert. Ein andermal wollte sich ein Brixner Polizist einen Pornofilm ansehen, traute sich aber nicht recht. Also versuchte er in der Projektionskabine sein Glück. Dort war es aber eng und stickig und der Filmvorführer ermutigte ihn dazu, zu seinem Geschmack zu stehen und sich bitte in den Zuschauerraum zu begeben. Erst als Leitner dem Polizisten eine Decke anbot, mit der er seine Uniform abdecken konnte, wagte sich dieser in den Saal. Kurz vor Ende des Films schlich er ungesehen von seinen Mitbürgern wieder hinaus.

 

Sobald sich die Türen des Kinos schlossen, widmete sich Luis Leitner seiner zweiten Leidenschaft: dem Filmemachen. Nicht nur einmal diente ihm dazu das in die Jahre gekommene Gebäude als Kulisse für seine Horrorfilme und künstlerischen Film-Experimente. Den Chef weihte er oft erst später in seine Projekte ein, als der Film schon zu Ende gedreht war und dieser beeindruckt das Endprodukt begutachten konnte.
Das Filmemachen hat Leitner sich selbst beigebracht. Anfangs arbeitete er mit VHS, dann digital. Vom gezeichneten Storyboard bis zum DVD-Cover: Alles stammt vom Künstler selbst. Ton und Schnitt gibt er nicht aus der Hand, gleiches gilt für Kostüm und Requisiten. Im Laufe der Zeit hat er sich so eine umfangreiche Sammlung an Horrorzubehör und Requisiten zugelegt, die er heute in seinem Haus und im Garten ausstellt. Dabei gab es schon einschlägige Angebote und jemand wollte ihm sogar eine seiner Geschichten abkaufen, aber Leitner lehnte ab. „Ich will mir von niemandem dreinreden lassen!“ sagt er.  Auf sein jüngstes Werk „Die Poppe“ ist er besonders stolz: „Es ist ein Horrorfilm, der schockiert und mitreißt!“, erklärt der Macher, „ich könnte nie einen normalen Film machen, das wäre mir zu langweilig!“ Dabei ist für Leitner die Story sehr wichtig, die Ästhetik und die Geschichte darf nicht zu kurz kommen: „Ich habe einen ganz eigenen Stil“.

 

Die Schließung „seines Kinos“ 2011 war für den Filmvorführer sehr schmerzhaft. Nur Kino-Katze Gina und eine ansehnliche Sammlung von Erinnerungstücken sind ihm geblieben. Dem neu renovierten Kulturzentrum kann er nicht viel abgewinnen: „Das Astra war ein besonderes Kino mit einer speziellen Atmosphäre. Jetzt hat man ihm irgendwie die Seele genommen“, sagt er bitter. Froh sei er aber, dass man das ex-GIL Gebäude immerhin nicht abgerissen hat, wie seinesgleichen in Sterzing oder andernorts. Auch dem Eden-Kino in der Brixner Bahnhofstraße trauert er nach. In seinem Videoclip „Das tote Kino“ hat er es vor dem Abriss noch einmal in einem kurzen Film verewigt. Luis Leitner will auch in Zukunft Horrorfilme drehen. Die Ideen gehen ihm so schnell nicht aus. Sein aktueller Job als Kurierfahrer für Zeitungen schenkt ihm hierzu besondere Anregungen: „Wenn ich allein in aller Herrgottsfrüh mit meinen Kisten in den Dörfern und Städten unterwegs bin, dann ist alles gespensterhaft und wie ausgestorben, ganz gruselig und unheimlich, das inspiriert mich!“