Cronaca | Justiz

„Accanimento giudiziario“

Cuno Tarfusser sieht sich als Justizopfer, schießt aus allen Rohren gegen die Bozner Staatsanwaltschaft und bereitet den Frontalangriff auf Giancarlo Bramante vor.
Cuno Tarfusser
Foto: Salto.bz
Seit gut 30 Jahren ist Cuno Tarfusser als Ankläger tätig. Das wird auch am Schriftsatz deutlich, den der stellvertretende Generalstaatsanwalt von Mailand am 24. Oktober 2020 über seinen Anwalt Francesco Coran am Bozner Landesgericht hinterlegt hat. Offiziell ist es eine Verteidigungsschrift für die Verhandlung vor Voruntersuchungsrichter Emilio Schönsberg, die am vergangenen Montag über die Bühne ging.
Vordergründig geht es im Verfahren um ein Mittagessen in der Bozner Pizzeria „Zio Alfonso“ und die unrechtmäßige Nutzung eines Dienstwagens der Staatsanwaltschaft. Die ermittelnden Staatsanwälte Igor Secco und Andrea Sacchetti haben gegen zwei ehemalige Mitglieder der Gerichtspolizei schwerwiegende Beweise zusammengetragen, während sie gegen Tarfusser die „Einstellung des Verfahrens wegen besonderer Geringfügigkeit“ (per particolare tenuità del fatto) beantragen. Weil diese Archivierungsformel aber einen Eintrag ins Strafregister bedingt, hat Cuno Tarfusser dagegen Berufung eingelegt. Er verlangt eine vollständige Archivierung, „weil kein Strafbestand vorliege“.
In einem Schriftsatz an den Vorermittlungsrichter mit dem Titel „Bemerkungen zur Ermittlung N 5885/20202“ legt Cuno Tarfusser seine Sicht der Dinge dar. Herausgekommen ist dabei im wahrsten Sinne des Wortes eine Anklageschrift.
Denn auf 35 Seiten erhebt Tarfusser schwerste Vorwürfe gegen die ermittelnden Staatsanwälte, zeichnet ein Verschwörungsszenario nach, in dem es ausschließlich darum gehe, ihn und seine Karriere zu vernichten und vollzieht einen Frontalangriff auf seine Nachfolger im Amt des Bozner Chefstaatsanwalts, Guido Rispoli und Giancarlo Bramante.
Es ist eine Generalabrechnung, die einen beunruhigenden Blick in die Eingeweide der Südtiroler Justiz zulässt.
Es ist eine Generalabrechnung, die einen beunruhigenden Blick in die Eingeweide der Südtiroler Justiz zulässt und die deutlich macht, wie sehr sich der Machtkampf um die Bozner Staatsanwaltschaft längst zugespitzt hat.
 

Tarfusser Anklageschrift

 
Cuno Tarfusser versucht in seinem Schriftsatz den beiden ermittelnden Staatsanwälten Igor Secco und Andrea Sacchetti nicht nur unzählige verfahrensrechtliche Fehler nachzuweisen, er zieht auch die gesamte Ermittlung ins Lächerliche. So sinniert er ein halbes Dutzend Mal über die Kosten, die für diese zweieinhalb Jahre dauernde Ermittlung anfielen, und die 11.000 Seiten, die dabei zusammengetragen worden seien. Tarfusser spricht von einer „Monster-Ermittlung“ und eine „trance investigativa“, in die die Ermittler nach seiner Auffassung gefallen seien.
 
 
 
Es ist ein einfaches Weltbild, das der stellvertretende Mailänder Generalstaatsanwalt zeichnet. Auf der einen Seite er und eine Gruppe von treuen Mitarbeitern als Lichtgestalten, denen es ausschließlich darum geht, zum Wohl der Justiz und der Allgemeinheit zu arbeiten und zur der auch jene beiden Carabinieribeamten gehören, gegen die jetzt ermittelt wird. Die erhobenen Fakten wischt der ehemalige Bozner Chefstaatsanwalt dabei mit einem Satz vom Tisch: „Sicher haben sie Fehler gemacht, so wie alle, die arbeiten“, schreibt er über Mario Andreoli & Co, „sie haben aber sicher keine Straftaten begangen“.
Auf der anderen Seite stehe in der Staatsanwaltschaft aber eine Gruppe von Neidern, die generalstabsmäßig daran arbeiten, die Leistungen Tarfussers zu schmälern, seine „Glaubwürdigkeit zu ruinieren“ und seine Karriere zu zerstören. Dazu gehöre auch, dass man jene Mitarbeiter am Gericht ausschalte, die seine „Vertrauenspersonen“ seien.
Tarfusser spricht im Schriftsatz dabei in der Mehrzahl von „meinen Nachfolgern“. Gemeint sind Guido Rispoli und vor allem der amtierende Chefstaatsanwalt Giancarlo Bramante.
 

Justizopfer & Handlanger

 
Das Ganze ist eine Brandschrift von ungeheurer verbaler Gewalt. Cuno Tarfusser stilisiert sich dabei als Opfer eines „accanimento giudiziario“ hoch. Von Anfang an sei diese gesamte Ermittlung nur gestartet worden, um gegen ihn persönlich vorzugehen. Die fünf ehemaligen Mitarbeiter innerhalb der Gerichtspolizei, gegen die ermittelt wird, seien dabei „nur Kollateralschäden“ gewesen.
Ich hätte nie geglaubt, dass es diese Verfolgung durch die Justiz wirklich gibt“, gibt sich Tarfusser völlig jungfräulich, „derart weit war bisher die Vorstellung von mir entfernt, dass ein Staatsanwalt seine Macht für etwas Anderes ausnützen könnte, als zur Ermittlung von Straftaten und strafrechtlicher Verantwortung“. Es ist schweres Geschütz, das der ehemalige ICC-Richter hier gegen die Bozner Staatsanwaltschaft auffährt.
Damit diese „juridische Verfolgung“ aber aufgeht, braucht es auch Handlanger und nützliche Idioten. Einer davon ist der Autor dieser Zeilen, der ­– laut Tarfusser - durch den Salto.bz-Artikel „Zio Alfonso die „notizia criminis“ geliefert und den „Ermittlungssturm“ ausgelöst habe.
 
 
Cuno Tarfusser:
 
„Ich habe keine Beweise, aber verschiedene Indizien, die den Verdacht erhärten, dass dieser Artikel gelenkt (pilotato) oder souffliert (suggerito) worden ist; sicher ist, dass der Autor der Staatsanwaltschaft und deren Spitze sehr nahesteht, weil er zwei Bücher geschrieben hat, in denen es um Ermittlungen des damaligen Leiters der Staatsanwaltschaft, meines unmittelbaren Nachfolgers, ging. Um diese Bücher zu schreiben, ist der Zugang zu den Ermittlungsakten unabdingbar, genauso wie die besondere Nähe zur Quelle unausweichlich ist. Diese Nähe ist im Ton dieses Artikels auch leicht erkennbar und auch in den folgenden Artikeln zum selben Fall, wo er mit besonderer Nachsicht und mit Samthandschuhen jene anfasst, die ihm erlaubt haben, diese beiden Bücher zu schreiben“.
 
Allein die Tatsache, dass Cuno Tarfusser anscheinend der Meinung ist, dass sich Journalisten die Erlaubnis von Staatsanwälten zum Bücherschreiben einholen müssen, macht deutlich, in welcher Welt der Bozner Jurist lebt.
 

Der Konflikt

 
Breiten Raum räumt Cuno Tarfusser in seiner Darstellung jenen fünf, längst bekannten Ereignissen ein, die in der Öffentlichkeit zum Zerwürfnis mit seinen Nachfolgern geführt haben.
Katia Tenti: Die Beziehung sei rein beruflicher Natur gewesen. Tarfusser führt aus, er habe Tenti als Abteilungsdirektorin und dann als Krimiautorin kennengelernt und ihr bei den Recherchen für zwei Bücher geholfen (sic! – siehe oben). Er bestätigt, dass er sich auf Wunsch Tentis bei seiner „Vertrauensperson“ Mario Andreoli über jenen Beamten informiert habe, der die technischen Abhörmaßnahmen in den Ermittlungen gegen Tenti durchführte - verwahrt sich aber gleichzeitig dagegen, sich irgendwie in die Ermittlungen eingemischt zu haben.
 
 
Durnwalder-Prozess: Er sei ohne sein Wissen von der Verteidigung des ehemaligen Landeshauptmannes im sogenannten Sonderfonds-Prozess als Zeuge vorgeladen worden. Er habe dabei nur seine Pflicht als Staatsbürger erfüllt und vor Gericht die Wahrheit gesagt. „Sicher, an diesem Tag zerbrach eine 25 Jahre dauernde Freundschaft (wenigstens für mich war es eine Freundschaft)“, schiebt Tarfusser dabei den Schwarzen Peter Guido Rispoli zu, der im Durnwalder-Prozess die Anklage vertrat und verständlicherweise ob des Auftritts seines ehemaligen Mitstreiters not amused war.
Foto nach Freispruch: Cuno Tarfusser schildert in allen Details, wie es nach dem Freispruch von Landeshauptmann Luis Durnwalder in der Bar neben dem Landesgericht zum Anstoßen mit Sekt und zum bekannten Foto gekommen sei. Sein Resümee: Alles war reiner Zufall und die Situation sei auch ihm unangenehm gewesen. „Mein Unbehagen lässt sich auch aus meiner Körpersprache (body language) erkennen“, schreibt Tarfusser, „aber selbstverständlich interessierte das niemand, denn die Nachricht sollte eine andere sein.“
Zio Alfonso: Hier zeichnet Cuno Tarfusser die Vorgänge mehr oder weniger so nach, wie sie auch die Ermittlungen ergeben haben. Wobei er besonderen Wert darauf legt, dass Katia Tenti nicht am Essen teilgenommen habe, sondern nur am Ende für wenige Minuten an der Kasse mit ihm gesprochen habe.
 
 
Tarfussers Interviews: Besonderes Aufsehen erregte Anfang März 2018 ein Dolomiten-Interview, in dem der damalige ICC-Richter im Hinblick auf die Bozner Staatsanwaltschaft erklärte, dass er den Eindruck habe, dass das Amt, das er hinterlassen habe und das in Sachen Organisation und Effizienz Vorbildfunktion hatte, von seinen Nachfolgern Stück für Stück wieder zerschlagen worden sei. Dies tue ihm für seine ehemaligen Mitarbeiter und die Bürger leid. In einem Interview mit der Tageszeitung legte er später noch einmal nach. Es war ein direkter Angriff auf Giancarlo Bramante, den Cuno Tarfusser jetzt im Schriftsatz noch einmal bekräftigt.
Doch es geht noch weit härter.
 

„Das Schlimmste verhindern“

 
Im Herbst 2016 steht ein Wechsel an der Spitze der Bozner Staatsanwaltschaft an. Chefstaatsanwalt Guido Rispoli geht Anfang 2019 als Oberstaatsanwalt nach Campobasso. Im Rennen um seine Nachfolge: Markus Mayr (Jahrgang 1957), seit Jahren Rispolis Stellvertreter, und Giancarlo Bramante (Jahrgang 1965).
Wie überall gibt es im Justizpalast zwei Fraktionen, die auf ihren Favoriten setzen. Guido Rispoli spricht sich für Bramante aus und Cuno Tarfusser für Markus Mayr. So war es bisher immer dargestellt worden. Auch vom Autor dieser Zeilen. In seiner Stellungnahme schreibt Cuno Tarfusser jetzt aber, dass diese Interpretation frei erfunden und falsch sei: „Im Gegensatz zu dem, was Christof Franceschini in seinem Artikel schreibt (und ich fordere ihn heraus, mir das Gegenteil zu beweisen) habe ich nie in irgendeiner Weise die Kandidatur des Kollegen Markus Mayr zum leitenden Staatsanwalt unterstützt.
 
 
Dabei ist es ausgerechnet Tarfusser selbst, der wenige Zeilen später den Gegenbeweis erbringt.
Die leitenden Funktionen in den Justizämtern und Staatsanwaltschaften werden auf Vorschlag des obersten Richterrates (CSM) vergeben. Zuerst macht die zuständige Kommission einen Vorschlag, und dann stimmt das Plenum über diesen Vorschlag ab.
Mitte November 2016 beschäftigt sich die Kommission mit der Nachfolge von Guido Rispoli. Dabei erhält Giancarlo Bramante 5 Stimmen und Markus Mayr nur eine Stimme. Noch bevor das Plenum des CSM den endgültigen Beschluss fasst, schreibt Cuno Tarfusser in dieser Sache an den Präsidenten des Kassationsgerichtshofes Giovanni Canzio. Canzio ist zu diesem Zeitpunkt Rechtsmitglied im obersten Richterrat.
In der E-Mail vom 28. November 2016, die Tarfusser im Schriftsatz vollinhaltlich wiedergegeben hat, heißt es:
 
 
Es ist ein Schreiben, das einer Hinrichtung des amtierenden Bozner Chefstaatsanwaltes gleichkommt und dessen Inhalt deutlich macht, mit welcher Vehemenz Cuno Tarfusser aus Den Haag gegen seinen Nachfolger in Bozen vorgeht.
 

Die Palamara-Chats

 
Der Frontalangriff auf Giancarlo Bramante hat jetzt nach den Ermittlungen rund um das Pizzaessen bei „Zio Alfonso“ aber noch einmal mehr Fahrt aufgenommen.
Denn Cuno Tarfusser legt seinen Bemerkungen an Voruntersuchungsrichter Emilio Schönsberg auch den gesamten Chatverkehr zwischen Bramante und Luca Palamara bei. Die Abhörungen haben in Italien einen Justizskandal ausgelöst.
Dabei ist der Chatverkehr zwischen Palamara und Bramante eher bescheiden. Salto.bz hat vor Monaten darüber berichtet. Der Bozner Chefstaatsanwalt schreibt einmal, dass er in der „Staatsanwaltschaft die Männer von Tarfusser enthauptet hätte“. Es ist sicherlich keine glückliche Wortwahl. Und er schickt Palamara mehrere Zeitungsartikel und Interviews, in denen Tarfusser die Staatsanwaltschaft Bozen frontal angreift. Zudem setzt er sich für die Ernennung Igor Seccos zu seinem Stellvertreter ein.
 
 
Für Cuno Tarfusser ist dieser Chatverkehr der schlagende Beweis, dass man die gesamte Ermittlung gegen ihn nur aus Revanchegründen eröffnet hat, um ihm zu schaden. Nach seiner Rückkehr aus Den Haag hat sich Tarfusser für mehrere Oberstaatsanwaltschaften beworben, habe bisher aber noch nie eine Antwort des CSM bekommen. Die Ermittlungen gegen ihn seien nur geführt worden, um seine mögliche Beförderung zu verhindern. Das teilt er am 31. August 2020 auch in einem Schreiben an die zuständige Kommission im CSM mit.
Für Tarfusser schließt sich hier der Kreis und er schlägt jetzt gegen alle zurück, die er hinter diesen Machenschaften vermutet. So hat er beim Verwaltungsgericht Latium einen Rekurs gegen die Ernennung von Guido Rispoli zum Oberstaatsanwalt von Brescia eingebracht. Auch Tarfusser hatte sich um dieses Amt beworben.
 

Die Eingabe

 
Bereits am 9. September 2020 hat Cuno Tarfusser einen Antrag an den stellvertretenden Oberstaatsanwalt am Oberlandesgericht Außenstelle Bozen (Avvovato Generale) gestellt, damit dieser von Amtswegen das Bozner Ermittlungsverfahren an sich reiße. Auch hier hat Tarfusser den gesamten Chat-Verkehr zwischen Palamara und Bramante beigelegt.
Es ist eine durchdachte Aktion, mit der man ein neues Schlachtfeld eröffnet. Denn der Avvocato Generale heißt Markus Mayr. Nach seiner Niederlage im Stechen mit Bramante war Mayr später eine Ebene höher befördert worden.
Markus Mayr hatte gegen Bramantes Ernennung Rekurs eingereicht. Demnach steht er in diesem Fall in einem klaren Interessenskonflikt.
 
 
Doch damit nicht genug. Denn auch Markus Mayr wird plötzlich aktiv. Wegen des Chatverkehrs zwischen Palamara und Bramante, in dem auch er genannt wird, macht Mayr beim obersten Richterrat ebenfalls eine Eingabe. Diese Chat-Nachrichten würden seine Ehre aufs Schärfste verletzen. Nach Informationen von Salto.bz hat der CSM diese Eingabe gegen Bramante inzwischen aber archiviert.
Dabei ist es kein Zufall, dass ausgerechnet jetzt dieser Streit eskaliert. Anfang 2021 muss der CSM entscheiden, ob Giancarlo Bramante die Leitung der Bozner Staatsanwaltschaft für weitere vier Jahre behält. Und genau das wollen Cuno Tarfusser & Co jetzt mit allen Mitteln verhindern.
Deshalb wird das Messerstechen im Gerichtspalast noch lange nicht beendet sein.
Bild
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alfred frei Ven, 11/06/2020 - 14:27

lese gerade "eine feine Familie" von Estelle Thompson und gleich danach "Feine Familie" von Tom Sharpe; Pflichtlektüre um die Vorgänge in der Bozner Staatsanwaltschaft besser zu verstehen. Wenn "Zio Alfonso" wieder aufsperren darf, lass ich dort in einem Foto „Mein Unbehagen aus meiner Körpersprache erkennen.“

Ven, 11/06/2020 - 14:27 Collegamento permanente