Ambiente | zoom #11

Eine Lobby für die Maus

Bär und Tagfalter stehen unter Schutz, während Mäuse und ihre Verwandten unbemerkt aus unseren Breiten verschwinden. Die „Akte Small Mammals“ lenkt die Aufmerksamkeit auf die kleinen Säugetiere.
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Small Mammals - Haselmaus vor dem Winterschlaf
Foto: Eva Ladurner

Blindmaulwurf, Baumschläfer und Waldspitzmaus: Seit 20 Jahren beschäftigt sich die Südtiroler Zoologin Eva Ladurner eingehend mit den Kleinsäuger-Arten unseres Landes. Dabei steht sie mit ihrem Forschungsschwerpunkt weitgehend allein da.

Kleinsäuger, unter diesem Begriff werden die Säugetier-Ordnungen der Nagetiere und der Insektenfresser zusammengefasst: Maulwürfe, Spitzmäuse, Wühlmäuse, Echte Mäuse und Bilche sind die wichtigsten Gruppen darin. Die Liste der Arten ist lang. Doch nur zwei davon – Haselmaus und Baumschläfer – werden durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinien der EU geschützt. Monitoringprojekte und andere Forschungsprojekte zu den Kleinsäugern scheitern oft schon an der Finanzierung. „Dabei sind manche Kleinsäuger genauso wichtige Indikatoren für intakte Lebensräume und bräuchten dringend einen Schutzstatus“, so Ladurner.

„Volkszählung“ bei den  Kleinsäugern

In Südtirol konnte Eva Ladurner bislang 27 Arten nachweisen. „Ein paar Arten, die eigentlich vorkommen müssten, suchen wir noch“, sagt Ladurner, „der Aufwand einer Fangaktion mit Lebendfallen ist aber enorm.“ Die kleinen Säugetiere führen nämlich ein heimliches Leben. Für eine „Volkszählung“ in einem Gebiet werden 100 Lebendfallen mit einem Abstand von 15 m aufgestellt und zweimal täglich für drei aufeinanderfolgende Tage kontrolliert. Die gefangenen Tiere werden bestimmt, vermessen, markiert und an Ort und Stelle wieder freigelassen. Spurentunnel, Haarfallen, Nistkästen und Fotofallen unterstützen die Arbeit.

 

Für das Naturmuseum Südtirol hat die Zoologin in den vergangenen Jahrzehnten eine beachtliche Kleinsäuger-Sammlung aufgebaut, die auch andere Wissenschaftler für ihre Studien verwenden. „Eine Aufgabe des Naturmuseums ist es, die Fauna Südtirols zu dokumentieren, also ein Arteninventar für Südtirol zu erstellen. Dieses ist eine wichtige Grundlage der Biodiveritätsforschung“ erklärt Petra Kranebitter, Konservatorin für Zoologie im Museum.

Seit 2019 läuft im Naturmuseum Südtirol in Zusammenarbeit mit der Sapienza Università di Roma und dem Südtiroler Jagdverband ein Forschungsprojekt rund um Vorkommen und Verbreitung ausgewählter Kleinsäuger-Arten in Südtirol. Finanziert wird das Projekt vom Forschungsfond der Südtiroler Landesmuseen. „Im Zuge meiner langjährigen Beschäftigung mit den Kleinsäugern sind viele Fragen aufgetaucht“, sagt Ladurner, „einige davon werden im Forschungsprojekt nun gezielter untersucht.“

 

Einzelne Arten konnten bis heute in Südtirol noch nicht erfasst werden, obwohl ihr Vorkommen aufgrund der Funde aus den Nachbarregionen sehr wahrscheinlich ist. Manche Arten wie die Haselmaus hingegen sind in Südtirol weit verbreitet, kommen aber in den historisch bekannten Gebieten der Talsohle nicht mehr vor. Vermutlich sind sie in höhere Lagen ausgewichen.“ „Spannend ist außerdem die Tatsache, dass manche Arten wie die Schermaus auffallende Verbreitungsgrenzen innerhalb des Landes aufweisen. Sie scheint aktuell nur im Nordosten des Landes vorzukommen. Eine Erklärung dafür könnte die Besiedlungsgeschichte Südtirols nach der letzten Eiszeit sein: Kleinsäuger sind aufgrund ihrer kurzen Beine wenig mobil und haben möglicherweise noch nicht alle für sie geeigneten Lebensräume bei uns erreicht. Die heutige natürliche Verbreitung von Arten ist also auch eine Folge der erdgeschichtlichen Vergangenheit. Während der letzten Eiszeiten sind Arten in eisfreie Rückzugsgebiete nach Mitteleuropa bzw. nach Italien ausgewichen. In dieser Zeit der räumlichen Trennung haben sich manche Arten genetisch verändert. Nach Abschmelzen der Gletscher sind sie wieder in die Alpen eingewandert. Eine wichtige Rolle im Projekt spielt deshalb auch die Molekulargenetik. Mit deren Hilfe kann die Verwandtschaft von Arten und Populationen verschiedener Regionen erforscht werden. Am Beispiel des Maulwurfs zeigt sich so, dass die genetischen Linien aus Mitteleuropa und Italien in Südtirol zusammentreffen und sich vermischen. Der heimische Maulwurf hat daher eine höhere genetische Variabilität und ist ein Beispiel dafür, dass Südtirol nach der letzten Eiszeit eine wichtige Kontaktzone ehemals getrennter genetischer Linien ist.

 

Geringe Fangzahlen 2020

Ein Ergebnis der diesjährigen Untersuchungen waren sehr geringe Fangzahlen in naturnahen Lebensräumen des Südtiroler Unterlandes. Aber um dieses Ergebnis ausreichend einordnen zu können, fehlen vergleichbare Daten. „Schon allein die Tatsache, dass es kaum Forschungsprojekte zu diesem Thema gibt und dass sich in Mitteleuropa fast niemand mit den Kleinsäugern beschäftigt, sollte uns alarmieren,“ so Ladurner. Die Auseinandersetzung mit den kleinen Säugetieren und die Frage nach ihrer Verbreitung und ihrem Vorkommen ist nämlich keineswegs banal: „Kleinsäuger sind ein bedeutsamer Teil der Nahrungskette. Sie sind nicht nur die wichtigste Nahrung für viele Greifvögel und Raubsäuger, sie beeinflussen durch ihren Verbiss und durch die Verbreitung von Samen auch maßgeblich die Pflanzendecke in verschiedensten Lebensräumen. Wenn die Kleinsäuger verschwinden, dann hat das gravierende Folgen für die Nahrungskette und schlussendlich auch für die Lebensräume“. Doch bis heute fehlen Langzeitstudien und vor allem eine Lobby, die für Erforschung und Schutz dieser wichtigen Tiergruppe eintritt.

Wenn Kleinsäuger klangheimlich verschwinden

„Wenn die Kleinsäuger heimlich verschwinden, bemerkt es lange niemand. Verschwinden große Arten, ist der Aufschrei groß. Erst wenn Füchse und Greifvögel abnehmen, weil ihnen die Kleinsäuger als Nahrungsgrundlage fehlen, wird man sich fragen: was ist da los?“ Dann ist es aber vielleicht schon zu spät. Die „Akte Small Mammals“ will - spät aber doch - das Bewusstsein für die Bedeutung der Kleinsäuger stärken.

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Hartmuth Staffler Sab, 11/28/2020 - 15:52

Ich finde es im Sinne der Biodiversität zwar richtig, wenn man sich für den Erhalt der Kleinsäugetiere einsetzt. Allerdings sollte man auch wissen, dass z..B. die Spitzmaus das für den Menschen absolut tödliche Bornavirus (BoDV-1) überträgt. Man muss also überlegen, was einem wichtiger ist: Biodiversität oder Gesundheit der Spezies Mensch. Wenn man die Biodiversität auf die Spitze treibt, dann müsste man nach Bär, Wolf und Spitzmaus auch die Anopheles-Mücke wieder einführen, die früher im Etschtal heimisch war und für die Verbreitung der Malaria gesorgt hat.

Sab, 11/28/2020 - 15:52 Collegamento permanente
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Oskar Egger Sab, 11/28/2020 - 21:13

In risposta a di Hartmuth Staffler

Die Wahl kann aber auch nicht immer zu Ungunsten anderer Lebewesen ausfallen. Der Mensch ist schon in der Lage, sich zu schützen, im Gegensatz zum Rest der Erdbewohner. Wer kann darüber urteilen, wann etwas auf die Spitze getrieben ist? Wenn es noch ein Gleichgewicht/Ausgewogenheit gäbe, dann würde sich vieles selbst regulieren oder gar nicht erst auftreten. Wir sind jedenfalls nicht von Spitzmäusen bedroht, so viel steht fest.

Sab, 11/28/2020 - 21:13 Collegamento permanente
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Hartmuth Staffler Dom, 11/29/2020 - 18:11

In risposta a di Oskar Egger

"Der Mensch ist schon in der Lage, sich zu schützen" - diese Aussage ist angesichte des derzeitigen Corona-Pandemie etwas fraglich. Es stimmt, dass es derzeit in Europa nicht mehr als drei bis vier BoDV-1-Tote im Jahr gibt. Bei derartigen Zoonosen weiß man aber nie, wie sie sich weiterentwickeln. Auch die verschiedenen Corona-Viren haben jahrzehntelang kaum für Todesfälle bei Menschen (wohl aber bei Tieren) gesorgt, bis plötzlich ein Vertreter dieser Virenfamilie für eine weltweite Pandemie gesorgt hat.

Dom, 11/29/2020 - 18:11 Collegamento permanente
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Christian I Mar, 12/01/2020 - 15:53

In risposta a di Hartmuth Staffler

Na ja, ma kann es wie immer übertreiben... Der Hund steht weltweit ganz offiziell unter den 5 für den Menschen tödliche Tiere: müsste man dann auch die Hunde ausrotten?? Ich glaube die Biodiversität und die Natur sind zu schützen! Corona ist nur ein Beispiel dafür was sonst passieren kann. Leider meint der homo sapiens all zu oft Gott ersetzen zu können und selbst entscheiden: du bist für mich gut (überhaupt auf dem Sonntagstisch mit ein paar Rostkartoffel dazu) und darfst überleben; du bringst mir nichts und somit darfst du auch aussterben...

Mar, 12/01/2020 - 15:53 Collegamento permanente