Politica | Kommentar

Tauziehen mit Rom

Die Abruzzen haben am Sonntag den Austritt aus der roten Zone erklärt; eigenhändig und rechtswidrig. Ein gelungener Versuch, sich dem staatlichen Regelwerk zu entziehen.
Tauziehen
Foto: (c) pixabay, Dark Cordial
Die Abruzzen, die letzte als “rote Zone” eingestufte Region Italiens, haben am Sonntagabend einseitig beschlossen, mit sofortiger Wirkung aus der roten Zone auszutreten. Es stellt sich die Frage: Ja, ist es denn möglich, aus der roten Zone wie aus einer Partei einfach auszutreten? Und das, obwohl die Region über keinen Sonderstatus verfügt? Nein. Also in diesem Fall: ja. Emblematisch für die Zusammenarbeit zwischen Staat und Regionen in Italien.
Der Präsident der Abruzzen, Marco Marsilio, hat den Übergang in die orange Zone – und somit die Wiedereröffnung von Geschäften und die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts in den zweiten und dritten Klassen der Mittelschule – eigenmächtig durch eine regionale Verordnung erlassen.
Der Grund: Das vom Staat vorgesehene Ende der roten Zone am Mittwoch, dem 9. Dezember, hätte den Handel dazu gezwungen, am Montag, den 7. Dezember geschlossen zu bleiben. Der Brückentag am 7. Dezember ist aber einer der einkaufsstärksten Tage des Jahres, somit die Wiedereröffnung der Geschäfte für den gepeinigten Handel ein Muss. Weiters gibt Marsilo zu bedenken, hätten seine Berater die gesundheitliche Situation als “unter Kontrolle” eingeschätzt und in dieser Hinsicht einem verfrühten Ende der roten Zone nichts zu entgegnen.
 
 
Trotzdem: Die Einteilung in rote, orange und gelbe Zonen unterliegt den Kompetenzen des Staates; dieser sieht ein Ende der roten Zone erst nach einer Frist von 21 Tagen – für die Abruzzen also am Mittwoch, dem 9. November – vor. Folglich hält die Verordnung einer rechtlichen Prüfung vor dem regionalen Verwaltungsgericht (TAR) nicht stand. Deshalb… nichts! 
Da einer Anfechtung der Verordnung von dem regionalen Verwaltungsgericht frühestens am Mittwoch, den 9. Dezember stattgegeben würde, ist die verfrühte Wiedereröffnung nicht in Gefahr. Praktisch ist der Wechsel in die orange Zone mit der Verordnung des Regionspräsidenten also vollzogen. Der Regionenminister Boccia muss sich damit begnügen, die Abruzzen davor zu warnen, dass ein autonomer Wechsel von der roten in die orange Zone die Verantwortung der Region für neuerlich steigende Fallzahlen mit sich ziehen könnte.
Die schwammige Rechtslage, in der Staat und Regionen sich seit Beginn der Pandemie befinden, macht die klare Zuschreibung von Verantwortlichkeiten und Verantwortung aber beinahe unmöglich. Somit bleibt auch die Warnung des Regionenministers ohne Gehör.
Der beschriebene Fall ist aber nicht nur eine Kuriosität, sondern emblematisch für die prekäre Beziehung zwischen Staat und Regionen in Italien. Einerseits arbeiten die regionalen Verwaltungsebenen oft gegen den Staat an; vor allem dann, wenn wie in den Abruzzen die lokale Regierung nicht von den national regierenden Parteien gestellt wird. Anstatt als verantwortungsbewusster Teil eines Staates zu handeln, ist man in erster Linie darauf bedacht, die eigenen Kompetenzen vollends auszuschöpfen oder sich in kritischen Situationen hinter der Verantwortlichkeit des Staates zu verstecken.
Andererseits wird die nationale Eingliederung der Regionen durch eine mangelhafte institutionelle Grundlage erschwert. Institutionen wie etwa die Staat-Regionen Konferenz pochen vor allem darauf, die Forderungen von Staat und Regionen einmalig zu verankern, anstatt nach einer einvernehmlichen und stetigen Zusammenarbeit zu streben. Dieses Tauziehen zwischen Staat und Regionen ist ein fruchtbarer Boden für "furbetti".