Giuseppe Conte
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Politica | Regierungskrise

Contes riskanter Drahtseilakt

Matteo Renzi will Conte stürzen. Um das zu verhindern, muss der Premier mit seinem Erzfeind verhandeln.

Dass Italien mitten in der schweren Covid- Epidemie mit 75.000 Toten und bis zu 25.000 täglichen Ansteckungen ausgerechnet in den Weihnachtsferien in eine Regierungskrise schlittern könnte, ist eine eher surreale Vorstellung, bei der Normalbürger nur ungläubig den Kopf schütteln können. Die zwei politischen Gegner, die sich im Senat gegenüberstehen, haben füreinander nur Verachtung übrig. Jeder der beiden bestreitet, auf den Sturz des anderen hinzuarbeiten. Der eine, Giuseppe Conte, amtiert als parteiloser Premier des Landes und seine Mehrheit wackelt zunehmend in einem Parlament, in dem die Zahl der Überläufer auf fast 100 gestiegen ist und täglich wächst. Der andere, Matteo Renzi, ist sattsam bekannt als Ex-Premier, der sein Versprechen gebrochen hat, bei einer Niederlage in dem von ihm initiierten Verfassungsreferendum von der politischen Bühne abzutreten. 

All das passiert wenige Stunden nachdem Staatspräsident Mattarella in seiner von 14 Millionen Italienern verfolgten Weihnachtsbotschaft serietà, responsabilità e solidarietà angemahnt und die Parteien zu Verantwortungsbewusstsein aufgerufen hatte. Noch steht nicht fest, ob Conte in diesem surrealen Streit überhaupt ein Votum des Senats anpeilt. Die Gerüchteküche brodelt: Einige Senatoren aus Renzis Überläufer-Partei Italia Viva sollen ihrerseits bereit sein, in die Reihen des Partito Democratico zurückzukehren. Und der Forza Italia-Senator Raffaele Fantetti hat mit der Gründung der neuen Partei Italia 2023 eine zusätzlichen Parkmöglichkeit für weitere transfughi geschaffen.

Natürlich benötigt es zur Bereinigung der nicht offiziell erklärten Regierungskrise auch den fälligen giro di poltrone. Alles im Geist des unvergesslichen Gattopardo von Tomasi diLampedusa: "Se vogliamo che tutto rimanga com'è, bisogna che tutto cambi." 

Premier Conte wirkt in diesem Spiel wie ein gelähmter Seiltänzer, der aus Furcht vor Absturz weder vor noch zurück kann. Doch Verhandlungen mit seinem Erzfeind Renzi oder dessen Abgesandten scheinen unerlässlich, um den Sturz zu vermeiden. Der freilich könnte vor allem für die Fünf-Sterne-Bewegung zum Alptraum werden. Denn bei vorgezogenen Neuwahlen könnte die gesamte M5S-Führungsspitze von Di Maio über Crimi bis zu Fico wegen der noch gültigen Beschränkung auf zwei Legislaturen nicht mehr kandidieren. Das politische Roulette hat bereits begonnen. Renzi-Intimus Ettore Rosato könnte das Verteidigungsministerium übernehmen, sein Kollege Lorenzo Guerini das Innenministerium. In diesem Fall müssten die die beiden bisherigen Italia-Viva-Ministerinnen Elena Bonetti und Teresa Bellanova zwei Männern Platz machen – eine zweifellos indiskutable Lösung.

Der Phantasie sind offenbar keine Grenzen gesetzt: Beim Scheitern dieser Optionen werden die Verfassungsrichterin Marta Cartabia und Senatspräsidentin Elisabetta Casellati als mögliche Regierungschefinnen genannt, die das Land zu Neuwahlen führen können. Renzi stellt in gewohnter Überheblichkeit ein Ultimatum: "Tre giorni o ci sarà la crisi." All das passiert in einem Land, in dem die Ausbreitung des Coronavirus weiter fortschreitet und am Sonntag die Zahl 75.000 Toten überschritten wurde. Der Staatspräsident hat in seiner Weihnachtsansprache die Lage treffend beschrieben: "È tempo di costruttori. I prossimi mesi rappresentano un passaggio decisivo per uscire dall'emergenza e porre le basi per una stagione nuova." Eines steht in diesem peinlichem Postengerangel fest: Wenn es in Italiens politischer Szene einen gibt, der mit Sicherheit nicht der Kategorie der costruttori angehört, ist das Matteo Renzi.