Politica | Corona-Politik

Doppelter Strategiewechsel

Südtirol wird nun beim Impfen und den Maßnahmen gegen das Coronavirus einen anderen Weg einschlagen.
Arno Kompatscher & Thomas Widmann
Foto: LPA/Fabio Brucculeri

Das neue Jahr ist keine zwei Wochen alt – und die Hoffnungen, die damit verbunden waren, eingefroren. In den Spezialkühlschränken warten seit Tagen tausende Impfdosen darauf, verbraucht zu werden. Die Aussicht auf einen Start der touristischen Wintersaison am 7. und dann am 18. Jänner hat sich als Illusion entpuppt. Die Infektionszahlen wollen nicht sinken, die Anzahl der Patienten auf den Normal- und den Covid-Intensivstationen sind seit Weihnachten wieder am Steigen. Für Landeshauptmann Arno Kompatscher ist es “derzeit die schwierigste Situation” seit Beginn der Corona-Pandemie. Denn das Verständnis, dass es angesichts der anfänglichen Dramatik in der Bevölkerung gab, sieht er nach dem unbeschwerten Sommer und dem “zähen” Herbst geschwunden. “Viele, Familien und Unternehmen, können jetzt nicht mehr.” Und doch führt für die verantwortlichen Entscheidungsträger kein Weg an einer Verlängerung oder Verschärfung der Corona-Regeln vorbei. Das zeigt sich in ganz Europa – und gilt auch für Italien. Denn überall geht der Trend hin zu einer Verschlechterung der Corona-Lage. Deshalb wird Ministerpräsident Giuseppe Conte diese Woche ein Dekret erlassen und neue und zum Teil schärfere Regeln einführen. Die sollen ab dem Wochenende gelten. Im Raum steht unter anderem, dass die Öffnung der Skianlagen bis mindestens Ende Jänner aufgeschoben wird. Das Reiseverbot zwischen den Regionen und Autonomen Provinzen soll um weitere Wochen verlängert werden. Für Bars soll der Take-Away-Service nur mehr bis 18 Uhr möglich sein. Weil sich abends zu oft zu viele Menschen vor den Lokalen aufgehalten haben.

Außerdem wird das Ampelsystem nachjustiert: Die Hypothese, dass eine Region mit einem 7-Tage-Inzidenz-Wert ab 250 automatisch zur “roten Zone” wird, scheint vom Tisch. “Wegen der Befürchtung, dass Regionen dadurch weniger Testen könnten, um die Zahlen künstlich zu drücken”, berichtet Landeshauptmann Kompatscher aus dem Treffen mit den Regionenvertretern und Gesundheitsminister Roberto Speranza am Montag. Fix ist hingegen: Regionen sollen künftig ab einem R-Wert von über 1 als “orange” und ab einem R-Wert von 1,25 als “rot” eingestuft werden. Bisher war das bei Werten von 1,25 bzw. 1,50 der Fall. In Südtirol beläuft sich der R-Wert auf 1,36. Auch die Warnschwellen von 40 Prozent für die Normal- und 30 Prozent für die Intensiv-Stationen, die das Gesundheitsministerium im Frühjahr (Dekret des Gesundheitsminister vom 30. April 2020) für die Betreuung von Covid-Patienten festgelegt hat, hat Südtirol überschritten. Zumindest besagen das die Daten des Gesundheitsministeriums, laut denen am 11. Jänner 51 Prozent der Krankenhausbetten für Covid-Patienten und 31 Prozent der Covid-Intensivbetten belegt waren. Für Gesundheitslandesrat Widmann stellt sich die Situation anders dar. Dazu gleich mehr.

Trotz dieser Zahlen soll sich in Südtirol vorerst nichts ändern, die Regeln der “gelben” Zone, als die das Land (noch) gilt, weiterhin in Kraft bleiben. Auf diese Grundsatzentscheidung hat sich die Landesregierung am Dienstag verständigt. Die Situation sei zwar “angespannt und kritisch”, aber “doch relativ stabil”, erklärt der Landeshautpmann. Die Neuinfektionen lägen auf einem hohen Niveau, ja, aber das sei jetzt schon seit Längerem so, “weil wir viel testen”. Erst wenn sich die Lage verschlechtert – und dafür sind die kommenden Tage ausschlaggebend, in denen sich die Auswirkungen der Feiertage rund um Silvester und Neujahr zeigen werden –, werde man eingreifen. Dann aber konsequent und streng. Oberstes Ziel bleibt: Das Gesundheitssystem nicht an den Rand des Kollaps bringen.

 

Südtiroler Rot für drei Wochen

 

Laut Auskunft von Landesrat Thomas Widmann sind 25 der zur Verfügung stehenden 77 Covid-Intensivbetten momentan belegt und damit weniger als die 30 Prozent, die das Gesundheitsministerium als kritische Schwelle festgelegt hat. Trotzdem gibt es keinen Grund zum Aufatmen. “Wenn in den nächsten vier bis fünf Tagen zwei bis drei weitere Intensivpatienten täglich dazu kommen, müssen wir Maßnahmen setzen.” Die Maßnahmen, von denen Widmann spricht, hätten zwar “nichts mit dem Lockdown im März zu tun”, präzisiert der Landeshauptmann. Denn Schule, Produktions- und sonstige Arbeitstätigkeiten sollen weiterhin aufrecht bleiben. Doch sieht der Plan der Landesregierung vor, dass Südtirol von “gelb” nicht zuerst die “orange” Zone durchschreitet, sondern gleich auf “rot” geschaltet werden soll, falls sich die Lage verschlechtert. Mit den entsprechenden Folgen, wie sie der Staat festlegt: Schließung der Gastronomie, Verbot, die eigene Gemeinde sowie die nähere Wohnumgebung zu verlassen. Ausnahmen bei der Bewegungsfreiheit wie an Weihnachten soll es nicht mehr geben.

 

Und wann soll dieser Plan nun in Kraft treten, die (Südtiroler) Ampel auf rot springen? “Wenn bestimmte Warnzeichen auftreten, Schwellen überschritten sind, gewisse Situationen in den Krankenhäusern auftreten”, so die schwammige Auskunft am Dienstag. “Die Experten werden nun genau jene Kennzahlen definieren, aufgrund derer strengere Maßnahmen automatisch und für drei Wochen in Kraft treten”, meint Kompatscher schließlich. Die Details sollen dann in eine Verordnung einfließen, die voraussichtlich am Samstag (16. Jänner) in Kraft tritt. Mit diesem Strategiewechsel will die Landesregierung “das Minimum an Planbarkeit, Klarheit und Berechenbarkeit” geben, “das wir gewährleisten können”, sagt der Landeshauptmann.

Ausschlaggebend für Öffnungen und Schließungen ist nicht politisches Ermessen, sondern die Frage der Situation in den Krankenhäusern (Arno Kompatscher)

Ein Sektor, der sich das wünscht – und erhofft hatte –, ist der Tourismus. Doch da kann die Südtiroler Landesregierung wenig machen. Reisewarnungen anderer Länder für Italien, die Bewegungseinschränkungen zwischen den Regionen – in den nächsten Wochen wird es keine Touristen in Südtirol geben. “Das muss man in aller Betroffenheit und Offenheit sagen”, so Kompatscher. Auf den Start der Ski-Saison angesprochen, den Rom aller Voraussicht nach abblasen wird, meint er ausweichend: “Der 18. Jänner bleibt bis heute der angekündigte Termin. Und es werden die Betreiber der Anlagen und Lifte entscheiden müssen, ob sie vor dem Hintergrund, dass keine Touristen kommen können, aufsperren.”

Auf jeden Fall soll es Hilfszahlungen geben, für Familien und Unternehmen, neben den staatlichen auch welche vom Land, verspricht der Landeshauptmann: “Wir und unsere Vertreter in Rom führen derzeit Verhandlungen, um die rechtlichen Spielräume zu schaffen, damit das Land Schulden aufnehmen kann.”

Weniger etwas aufzunehmen denn vielmehr etwas abzugeben hätte indes der Gesundheitslandesrat. Und zwar Covid-Impfdosen. Von den 23.545 Dosen, die bis heute nach Südtirol geliefert wurden, wurden bisher 7.412 verimpft. Das sind mit 32 Prozent weniger als ein Drittel. Damit liegt Südtirol im staatsweiten Vergleich weit abgeschlagen an letzter Stelle. Im Trentino wurden bisher drei Viertel der gelieferten Impfdosen verimpft, In Umbrien gar 104,4 Prozent, was darauf zurückzuführen ist, dass dort nicht die anfänglich kalkulierten fünf, sondern sechs Dosen pro Phiale verwendet wurden, die der Pfizer-Impfstoff hergibt. Doch im Vergleich zu den geimpften Personen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung steht Südtirol gar nicht schlecht dar, sondern im vorderen Mittelfeld: 7.412 der ca. 530.000 Bewohner des Landes wurden geimpft. Das sind rund 1,4 Prozent. In der Lombardei sind es 0,9, im Trentino 1,36, italienweit 1,25 Prozent.

 

Impfung ab sofort für Ü-80

 

Die ersten, die laut staatlichem Impfprotokoll geimpft werden, sind Sanitäts- und Pflegepersonal sowie die Bewohner von Seniorenheimen. Laut Landesrat Widmann haben sich bisher 50,2 Prozent der Mitarbeiter des Südtiroler Sanitätsbetriebs impfen lassen, 5.062 insgesamt. Mit den aktuell Infizierten und den bereits Infizierten und Geheilten schätzt er die Anzahl der Mitarbeiter im Gesundheitsbetrieb, die nicht geimpft werden müssen, auf “einige Hundert”. Dennoch zeigt er keinerlei Verständnis für die (relativ vielen) Impfunwilligen: “Wenn es mein Job ist, kranke und/oder anfällige Menschen zu schützen, dann ist es doch wohl aus rein ethischer Sicht auch richtig, sich so auszustatten – in jeglicher Hinsicht –, dass ich diese Menschen keinem Risiko aussetze.”

Die Opposition führt die niedrige Impfrate und -bereitschaft, die Skepsis und Befürchtungen auf Mängel in der Organisation und bei der Aufklärung und Information zurück. “Der Start war eindeutig holprig und nicht sehr optimal”, gesteht Widmann ein. Er kündigt eine Informationskampagne an, zugleich will er die Kapazitäten aufstocken. Aktuell kann man sich nur in den sieben Krankenhäusern impfen lassen, künftig soll es mehr Impflinien geben. Und die Strategie wird geändert: “Wir haben das Ok vom Ministerium, dass wir vom staatlichen Protokoll abweichen können und Impfdosen, die im Sanitätsbetrieb nicht gebraucht worden sind, der nächsten Kategorie zukommen lassen können.” Und das sind die Über-80-Jährigen. Diese Risikogruppe soll bereits ab dem heutigen Dienstag die Möglichkeit bekommen, sich impfen zu lassen. Wie und wo das vonstatten geht, wer die Vormerkung und die Impfung übernimmt, soll mit den Hausärzten abgeklärt werden, so Widmann. Ziel sei es, bis Ende der Woche mindestens 60 Prozent der Impfdosen zu verimpfen.

Aber alle Verantwortung nur in Südtirol sieht der Landesrat dann doch nicht. Rom müsse mehr Impfstoff liefern. Er rechnet vor: “Theoretisch müssen in Südtirol 200.000 Personen geimpft werden, um wesentlich Druck von den Krankenhäusern zu nehmen. Dazu braucht es 400.000 Dosen. Und wenn wir weiterhin 8.000 Dosen pro Woche erhalten, dann brauchen wir 50 Wochen. Schon allein für die Über-80-Jährigen brauchen wir sechs bis acht Wochen. Das kann nicht sein. Wir werden gemeinsam Druck machen, um mehr Impfdosen zu erhalten und die dann wie beim Massentest zu verimpfen.” Soweit der Plan von Landesrat Widmann. Doch ob der aufgeht, hängt nicht nur von Rom ab. Am Dienstag sind die ersten 47.000 Phialen des Moderna-Impfstoffs in Italien eingelangt. Diese könnten nun jenen Regionen geliefert werden, die am fleißigsten impfen. Südtirol gehört nicht dazu. Die Rechnung ist also einfach: mehr Impfen = mehr Impfdosen. Rechtliche Möglichkeiten für einen Impfpflicht oder Impfzwang bei Covid-19 gibt übrigens keine. Dafür fehlt ein entsprechendes Gesetz.

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Albert Baekeland Mar, 01/12/2021 - 21:46

Laut Auskunft von Landesrat Thomas Widmann sind 25 der zur Verfügung stehenden 77 Covid-Intensivbetten momentan belegt und damit weniger als die 30 Prozent, die das Gesundheitsministerium als kritische Schwelle festgelegt hat......echt weniger als 30%...Schlussrechnungen sind relativ wichtig....#Schule

Mar, 01/12/2021 - 21:46 Collegamento permanente