Politica | Gemeindepolitik

Der letzte Italiener?

Fratelli d’Italia sieht die Italiener am Brenner diskriminiert. Bürgermeister Martin Alber verurteilt das “populistisch nationalistische” Getöse scharf.
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Foto: Foto: Salto.bz

Am Brenner spielt sich seit Monaten ein politischer Hickhack ab, der der Grenzgemeinde keine Ehre macht. Angefacht von Fratelli d’Italia, die den Brenner italienweit als “antiitalienisch” darstellt und rechtliche Schritte eingeleitet hat. Bürgermeister Martin Alber nahm bei der Gemeinderatssitzung am gestrigen Mittwoch (23. Juni) ausführlich Stellung und verurteilte das “agitatorische und populistische” Getöse von Fratelli d’Italia und ihres Landtagsabgeorndeten Alessandro Urzì.

 

Was bisher geschah

 

Kurzer Rückblick: Aus den Gemeinderatswahlen im September 2020 geht die SVP als stärkste Partei hervor. Bei der Ausschussbildung holt der neue Bürgermeister Martin Alber die beiden Oppositionslisten “Freie Liste Gemeinde Brenner” und “Partito Valore Umano” (PVU) mit ins Boot. Einzig die vierte gewählte politische Kraft im Gemeinderat wird nicht Teil der Mehrheit: Fratelli d’Italia. Im neuen Gemeindeausschuss muss aufgrund der Zusammensetzung des Gemeinderats ein Italiener vertreten sein. Alber entscheidet sich für Bernardo Ponzano (PVU). Dieser verstirbt im Jänner 2021. Die zweitgewählte PVU-Vertreterin rückt in den Gemeinderat und den Ausschuss nach. Doch Alber hat nun ein Problem. Denn mit Verena Marcassoli verändert sich die Zusammensetzung des Gemeinderats bzw. die vorherrschenden Verhältnisse, auf deren Grundlage der Gemeindeausschuss zusammengesetzt werden muss, empfindlich.

Verena Marcassoli gehört der ladinischen Sprachgruppe an. Auf das Sprachgruppenverhältnis im Gemeinderat wirkt sich das nicht aus. Dieses wird zum Zeitpunkt der Gemeinderatswahlen festgelegt – Ponzanos Tod und Marcassolis Nachrücken ändern also nichts daran. Die Frauenquote hingegen kommt sehr wohl zum Greifen. Das ergibt ein Rechtsgutachten, das Alber in Auftrag gibt und erst Mitte März vorliegt. Laut Gutachten muss der im Gemeindeausschuss frei gewordene Platz “mit einer Frau der italienischen Sprachgruppe besetzt werden”, erklärt Alber Anfang April in der Bezirkszeitung Erker. Am Ende entscheidet man sich dafür, eine Externe in den Ausschuss zu holen: Der Gemeinderat wählt Stefania De Bettin mit 11 Ja, 3 Enthaltungen und einer Gegenstimme zur neuen Gemeindereferentin.

Sowohl die Freie Liste als auch Fratelli d’Italia bemängeln, dass sie beide Frauen der italienischen Sprachgruppe auf ihrer Liste gehabt hätten, die 2020 angetreten waren und daher für den Ausschuss in Frage gekommen wären. Doch während die Freie Liste am Ende nichts gegen De Bettin hat, zündet Fratelli d’Italia ein Feuer, das bis heute lodert. Seine Partei hätte Anspruch auf den Posten im Gemeindeausschuss gehabt und nicht eine von außen Berufene, giftet der Landtagsabgeordnete Alessandro Urzì. Er spricht von einer “ideologischen Vorabentscheidung”, wirft der SVP “Arroganz” vor und dass die Italiener am Brenner “zur Bedeutungslosigkeit verdammt” worden seien: “Il Comune di Brennero certifica: essere donna vale di più che essere italiano. Zudem lanciert Fratelli d’Italia italienweit eine Kampagne, in der man “Basta odio antitaliano!” fordert. Gleichzeitig legt man Rekurs gegen den Beschluss des Gemeinderates zur Ernennung von Stefania De Bettin ein. Zum einen beim Verwaltungsgericht. Zum anderen mit einer Eingabe, mit der sich der Gemeinderat von Brenner am Mittwoch (23. Juni) befasst – und sie mehrheitlich ablehnt.

 

“Ich werde dazu und zur populistisch nationalistischen Vorgangsweise dieser Partei eine Grundsatzerklärung abgeben”, kündigt Bürgermeister Alber im Vorfeld an. Und das macht er dann auch.

 

Was der Bürgermeister sagt

 

“Nach dem tragischen Ableben des geschätzten Kollegen Bernardo Ponzano im Januar dieses Jahres stand die Gemeindeverwaltung vor der Herausforderung, den Gemeindeausschuss gemäß demokratischen Rahmenrichtlinien wieder aufzustocken und damit die Repräsentanz der italienischen GemeindebürgerInnen innerhalb der Gemeindeführung zu gewährleisten.

Für den verstorbenen Gemeinderat Ponzano rückte die zweitgewählte Kandidatin der Liste ‘partito valore umano’ Verena Marcassoli in den Gemeinderat nach. Damit erhöhte sich die Frauenquote im Gemeindeausschuss von bisher einem Ausschussmitglied auf deren zwei. Gemeinderätin Marcassoli gehört der ladinischen Sprachgruppe an, damit war die italienische Sprachgruppe im Gemeinderat nur noch durch den Rat Giuseppe Sabatelli von der Oppositionspartei ‘Fratelli d’Italia’ vertreten.

Die derzeitigeVorgangsweise von ‘Fratelli d’Italia’ zeigt, warum eine Zusammenarbeit mit dieser Fraktion demokratiepolitisch nicht mehrheitsfähig ist

Die Vertretung der Sprachgruppen in den jeweiligen Verwaltungsfunktionen wird in Südtirol durch das Autonomiestatut geregelt. Und das bildete auch die Grundlage für die Entscheidung der Gemeindeorgane, weiterhin eine Vertretung der italienischen Sprachgruppe im Gemeindeausschuss zu garantieren. Gemeindeausschuss und Gemeinderat entschieden nach gewissenhafter Abwägung und Prüfung der politischen und rechtlichen Ausgangssituation, eine Gemeindebürgerin italienischer Muttersprache von außen in den Gemeindeausschuss zu wählen. Diese Gemeindebürgerin sollte politisch eine möglichst neutrale Position einnehmen. Der Bürgermeister und der Gemeindeausschuss unterbreiteten deshalb dem Gemeinderat den Vorschlag Stefania De Bettin. In der Gemeinderatssitzung vom 06. April 2021 wurde Stefania De Bettin vom Gemeinderat Brenner mit einer Gegenstimme und drei Enthaltungen bei elf Dafür-Stimmen in den Gemeindeausschuss gewählt. Damit setzte der Gemeinderat ein starkes, demokratisches Zeichen, das auch und vor allem die politischen Verhältnisse im Gemeinderat berücksichtigte. Eine politische Mehrheit für eine Wahl des Gemeinderates Sabatelli von der Liste ‘Fratelli d’Italia’ in den Gemeindeausschuss war/ist unter derzeitigen Gesichtspunkten nicht realistisch. Auch eine dafür notwendige Umgestaltung des Gemeindeausschusses ist realitätsfremd und entspricht nicht den politischen Mehrheitsverhältnissen im Gemeinderat.

Die Entscheidung, eine italienische Mitbürgerin von außen in den Gemeindeausschuss zu wählen, fußt auf folgenden Grundlagen: die Sicherstellung und Einhaltung der Frauenquote im Gemeindeausschuss sowie eine Vertretung der italienischen MitbürgerInnen im Ausschuss.

Der Alleinvertretungsanspruch dieser Partei in Hinblick auf die italienische Bevölkerung ist an den Haaren herbeigezogen

Die derzeitige agitatorische und populistische Vorgangsweise der Partei ‘Fratelli d’Italia’ zeigt auf, warum eine Zusammenarbeit mit dieser Fraktion in der derzeitigen Situation nicht möglich ist und vor allem demokratiepolitisch nicht mehrheitsfähig ist. Auf propagandistischen Unterlagen der Partei wurde italienweit unsere Gemeinde Brenner als ‘anti-italienisch’ und mit folgenden Aussagen beschrieben: ‘Basta odio antitaliano!’ oder ‘Inammissibile discriminazione’. Dies entspricht schlichtweg nicht der Wahrheit und in keinerlei Art und Weise der politischen Einstellung der demokratisch gewählten Institutionen der Marktgemeinde Brenner. Selbst der Alleinvertretungsanspruch dieser Partei in Hinblick auf die italienische Bevölkerung ist an den Haaren herbeigezogen. Drei andere Parteien haben ebenso erhebliche Stimmenanteile aus der italienischen Bevölkerung erhalten, zwei italienische Kandidaten der ‘Freien Liste Brenner’ sogar erheblich mehr Vorzugsstimmen als der Kandidat Giuseppe Sabatelli, der nur aufgrund der Wahlarithmetik einen Sitz im Gemeinderat hat. Deshalb sind die Aussagen von ‘Fratelli d’Italia’ unqualifiziert und untergriffig.

Die Gemeinde Brenner ist nicht irgendeine Gemeinde

Ich darf abschließend zwei Dinge festhalten:

Es ist mir ein ehrliches Anliegen, eine angemessene Vertretung der Frauen im Gemeindeausschuss zu gewähren und ich finde es gut, wenn die beiden Frauen auch unterschiedlichen Sprachgruppen angehören.
Es ist mir zudem wichtig, unmissverständlich klar zu stellen, dass sich dieser Gemeindeausschuss mit allen Mitteln nicht nur für ein friedliches, sondern für ein gutes und konstruktives Zusammenleben der deutschen und italienischen Sprachgruppe einsetzt und einsetzen will. Die Gemeinde Brenner ist nicht irgendeine Gemeinde. Die Geschichte hat dem Namen ‘Brenner’ eine sehr starke Symbolkraft verliehen. Diese Symbolkraft muss nach den Jahrzehnten, in welchem der Begriff für die Trennung stand, für das Miteinander der Sprachgruppen und Völker in Europa stehen.”