Politica | Maskenskandal

Dichtung und Wahrheit

Bei der Vorstellung der Abschlussberichte des Untersuchungsausschusses prallen zwei Welten aufeinander. Die heile SVP-Welt und die Rücktrittsforderungen der Opposition.
Rita Mattei legt bereits in der ersten Wortmeldung unmissverständlich die Gangart fest. Die Landtagspräsidentin erklärt, dass die beiden Abschlussberichte der Untersuchungskommission zur persönlichen Schutzausrüstung im Landtag verlesen werden. Jeder Abgeordnete könne sich – laut Geschäftsordnung – einmal zu Wort melden. Es sei weder eine Diskussion noch eine Abstimmung vorgesehen. Das Wort wurde dann dem Präsidenten des Untersuchungsausschusses Franz Ploner übergeben. Er sollte den technischen Teil des Berichtes verlesen.
Als Ploner einleitend ein paar persönliche Wort sagen wollte, packte die Landtagspräsidentin sofort den strengen Stahlbesen aus und unterbrach dem Team K-Abgeordneten. Mattei erklärt kurzerhand, dass das nicht erlaubt sei. Er könne nur den Bericht verlesen oder es bleiben lassen.
Spätestens damit war das Regiebuch an diesem Tag offengelegt. Die SVP-Lega-Mehrheit will das Kapitel „Maskenskandal“ und Untersuchungsausschuss so schnell und unspektakulär im Landtag abdrehen, wie es nur geht. Ein heißer Tag Ende Juni ist dafür ein ausgezeichneter Termin.
 

Zwei Abschlussberichte

 
Es ist dann Franz Locher, der dem vorbestimmten, politischen Regiebuch folgend, den offiziellen „politischen Abschlussbericht“ des Untersuchungsausschusses im Landtag verliest. Der Bericht wurde im zehnköpfigen Ausschuss, ausschließlich mit den Stimmen der zwei Regierungsmitgliedern Franz Locher (SVP) und Rita Mattei (Lega), sowie vom Mehrheitsmitglied Carlo Vettori (Forza Italia) genehmigt. Weil das gewichtete Stimmrecht gilt, zählen diese drei Abgeordneten 19 Stimmen.
Damit kam ein Abschlussbericht heraus (Salto.bz hat mehrmals darüber berichtet), der eine einzige Verteidigungsschrift für die Spitze des Südtiroler Sanitätsbetriebes und die Landesregierung ist. Das Resümee: Es gab zwar einige Schwierigkeiten, aber die zuständigen Beamten und Politiker hätten alles richtiggemacht. „Es muss dem Sanitätsbetrieb ein positives Zeugnis ausgestellt werden“, liest Franz Locher im Landtag wörtlich vor.
 
 
Unmittelbar nach dem Sarner SVP-Abgeordneten, stellt Franz Ploner den gemeinsamen Abschlussbericht der politischen Minderheiten vor. Wer ihm zuhört, der muss zum Schluss kommen, dass Ploner und alle jene, die diesen Bericht unterzeichnet haben, ein Jahr lang in einem anderen Film saßen. Ploners Bericht beschreibt die Vorgänge und Machenschaften rund um zwei Bestellungen von Schutzmaterialien bei dem Südtiroler Unternehmen Operalp AG im Gesamtwert von mehr als 35 Millionen Euro völlig anders. Es ist eine Rekonstruktion eines Skandals, die ein stümperhaftes und fahrlässiges Verhalten der Sanitätsspitze in einer außerordentlichen Krisensituation schonungslos offenlegt.
 

Groß aufgeblasene Sache

 
Es folgen zwei Frauen, die im Landtag Klartext reden.
 „Wir haben in diesem Jahr einen tiefen Einblick in das System der Südtiroler Sanität erhalten“, sagt Brigitte Foppa einleitend. Die grüne Politikerin, die Schriftführerin im Untersuchungsausschuss war, verweist auf ein gemeinsames „Wording“ in vielen Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss, das ihr aufgefallen ist. „Es war Widmanns Satz von den Müllsäcken“, sagt Foppa.
Sanitätslandesrat Thomas Widmann hat diesen Sager („Hätten wir die Leute in Müllsäcken an die Front schicken sollen?“) von Anfang an gebraucht, um jede kritische Nachfrage im Keim zu ersticken. Es ist die Argumentation, die viele in den Anhörungen nachgeplappert haben. Genau das prangern später auch der 5-Sterne-Abgeordnete Diego Nicolini und der Freiheitliche Andreas Leiter-Reber in ihren Reden im Landtag an.
 

Es geht nicht darum was verteilt wurde“, bricht Brigitte Foppa den sogenannten Maskenskandal auf einen Punkt herab, „sondern darum was man verschwiegen hat“. Die Untersuchungen hätten ergeben, dass man die negativen Gutachten bewusst unterschlagen habe. Die Frage sei warum? Die grüne Landtagsabgeordnete wagt hier eine Hypothese, die nahe an die Wahrheit kommen dürfte. „Man hatte diese Maskenlieferung über Wien, mit Kurz und den Südtiroler Sonderweg politisch so groß aufgeblasen, dass man einfach nicht mehr zurückkonnte“, meint Foppa.
 

Umbildung der Landesregierung

 
Noch schärfer fährt dann Maria Elisabeth Rieder drein. Die Ahrntaler Team K-Abgeordnete ist von Beruf Bedienstete des Südtiroler Sanitätsbetriebes und sie kennt damit das interne Machgefüge und die Zustände im Gesundheitswesen aus erster Hand. Für Rieder ist es klar, dass man sich im März 2020 in einer Ausnahmesituation befunden hat. „Ein Notstand darf und kann nicht alles rechtfertigen“, so Rieder. Sie stellt dann die Frage, warum ausgerechnet das Unternehmen Oberalp den „größten Einzelauftrag in der Geschichte der Südtiroler Sanität erhalten habe“. Dazu noch „mündlich und per E-Mail“. Man habe zudem die zuständigen Einkaufabteilungen im Sanitätsbetrieb bewusst ausgeschaltet. „Der Mehrheitsbericht spart alle diese Tatsache aus“, meint die oppositionelle Abgeordnete in Richtung Franz Locher.
Rieder erinnert dann Arno Kompatscher daran, dass man sich vor wenigen Jahren von einem Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes wegen weit geringeren mutmaßlicher Verfehlungen getrennt habe. Der Vergleich mit Thomas Schael ist ein Wink mit dem Vorschlaghammer in Richtung Florian Zerzer.
 
 
Die Team-K-Politikerin wird aber noch deutlicher: „Herr Landesrat Widmann übernehmen Sie die politische Verantwortung und treten sie zurück“. Gleichzeitig ersucht Rieder den Landeshauptmann, um die Umbildung der Landesregierung.
Florian Zerzer ist nicht mehr tragbar“, schließt sich wenig später auch Sven Knoll in seiner Rede dieser Rücktrittsforderungen an. Ebenso der Enzian-Abgeordnete Josef Unterholzner.
 

Keine Fehlerkultur

 
Es sind immer noch viele Punkte ungeklärt“, sagt Diego Nicolini. Der 5-Sterne-Abgeordnete verweist darauf, dass die einzige Person, für die diese Affäre negative Folgen hatte, jene zuständige Juristin sei, die der Sanitätsspitze von Anfang an erklärt hatte, dass man den Ankauf bei Oberalp in dieser Form nicht machen könnte.
 
 
 
Sandro Repetto zitierte lange aus einem Salto.bz-Interview mit Heiner Oberrauch. Für den PD-Politiker ist die entscheidenden Frage, was passiert mit der 25-Millionen-Lieferung, die heute noch in China liegt.
Andreas Leiter-Reber hält eine sehr emotionale Rede. Der Freiheitliche watscht Locher & Co verbal ab. „Ihr habt alles unter den Tisch kehren wollen“, sagt Leiter-Reber, „und erst als ein einziges, kritisches Medium darüber berichtet hat, wurdet ihr aktiv“.
Das Resümee des Freiheitlichen klingt fast schon resigniert. „Es gibt keine Fehlerkultur und keine Rücktrittskultur in diesem Land“, sagt Andreas Leiter-Reber. Und fügt dann hinzu: „Das Schlimmste aber ist, dass ihr damit auch diesmal durchkommen werdet“.
 

Chefankläger der Opposition


Es sind die üblichen Verdächtigen, die im Landtag antreten müssen, um für die politische Mehrheit im Landtag, die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Franz Locher redet lange, sagte aber nichts. Magdalena Amhof echauffiert sich darüber, dass man gerade jetzt, wo der Ausbruch der Delta-Variante drohe, Rücktrittsforderungen stelle. „Das ist verantwortungslos“, meint die SVP-Arbeitnehmervertreterin im vollen Ernst. Carlo Vettori, der aus seinem mit „Forza Italia“-Fahnen ausdrapierten Büro online zugeschaltet ist, tut das Ganze als „braccio di ferro“ zwischen Mehrheit und Opposition ab.
 
 
Auch für Gert Lanz ist der gesamte Untersuchungsausschuss „nur von der Opposition inszeniert worden“. Der SVP-Fraktionssprecher spart dabei wie seine Parteikollegen Locher und Amhof keineswegs mit persönlichen Angriffen auf die oppositionellen Kollegen. Selbst der Schreiber diese Zeilen bekommt als „Chefankläger der Opposition“ dabei sein Fett ab.
Nur Arnold Schuler fällt an diesem Tag angenehm aus dieser SVP-Reihe.
Nur Arnold Schuler fällt an diesem Tag angenehm aus dieser SVP-Reihe. Als Landesrat für Zivilschutz bringt er eine Klarstellung ein, die absolut sachlich und ohne einen einzigen, polemischen Unterton daherkommt.
 

Schlawiner Widmann

 
Unmittelbar danach erlebt man im Landtag aus den Reihen der Landesregierung genau das Gegenteil. Es ist Thomas Widmann, der sich seine Wortmeldung im Landtag taktisch aufgespart hat, um als Letzter zu reden. Der Landesrat liefert dann ganz großes Theater ab. Abteilung: Schmierenkomödie.
Widmann, als SVP-Landessekretär und Politiker bereits mehrfach Skandal erprobt, macht im Landtag einen Spagat zwischen absoluter Präpotenz und den Eigenschaften eines echten Wiener Schlawiners.
 
 
Zuerst greift er Franz Ploner und Maria Elisabeth Rieder frontal an. Das Argument: Als Sanitätsbedienstete würden sie in den Teller spucken, aus dem sie lange gegessen haben. Gleichzeitig vollzieht der Gesundheitslandesrat eine beeindruckende Pirouette. Der Ankauf der Schutzkleidung sei vor allem eine technische Entscheidung der zuständigen Primare gewesen. Widmann zählt dann von Marc Kaufmann bis Elke Maria Erne alle auf. „Kaufmann war ja ihr Schüler“, frotzelt der Landesrat in Richtung des Ausschussvorsitzenden Franz Ploner, „dass sie ihre Kollegen jetzt in die Pfanne hauen, ist nicht fair“.
Dann stellt sich der Gesundheitslandesrat mit geballter Brust hinter die Spitze des Südtiroler Sanitätsbetriebes. „Ich bin stolz auf diese Leute und was sie geleistet haben“. Die Wörter „Selbstkritik“ oder „Fehler“ kommen im Wortschatz des Landesrats anscheinend nicht vor.
Thomas Widmann geht mit keinem Wort auf nur irgendeinen Vorwurf ein, der im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses dokumentiert ist, sondern er macht die Arbeit des Gremiums lächerlich. Das einzige Ergebnis des Untersuchungsausschusses sei es, dass herausgekommen sei, dass der Sanitätsbetrieb eine Warnmail an die Bediensteten 24 Stunden nach Eintreffen der negativen Gutachten verschickt habe.
Widmann macht im Landtag einen Spagat zwischen absoluter Präpotenz und den Eigenschaften eines echten Wiener Schlawiners.
Wer Widmann zuhört, der meint hier gehe es um ein politisches Gesellschaftsspiel und nicht um eine Bestellung um 25 Millionen Euro von der er als zuständiger Landesrat anscheinend nichts weiß.
Bevor Landtagspräsidentin Rita Mattei die Debatte im Landtag schließt, sagt der Gesundheitslandesrat in Richtung der Oppositionsbänke noch einen eindringlichen Satz: „Führen Sie die Öffentlichkeit bitte nicht in die Irre“.
Widmanns Glück: Im Landtag gibt es weder einen Spiegel noch ein Echo.
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Salto User
Günther Alois … Gio, 07/01/2021 - 07:50

Widmann-Lanz-Locher-Zerzer-SOFORT NACH HAUSE!!!! Wer keine MAMMUTHFEHLER zugibt ,der ist für die Öffentlichkeit nicht mehr tragbar! Ihre hochmütige Arroganz gegenüber den Opositionen können sie sich übrigens sparen,Herr Widmann-es glaubt ihnen sowieso niemand mehr,gilt auch für den Rest dieser Herren!!

Gio, 07/01/2021 - 07:50 Collegamento permanente
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S. Bernhard Gio, 07/01/2021 - 08:55

Pinocchio! Ich glaube es täuscht nicht, dass seine Nase innerhalb dieses Jahres um einiges gewachsen ist. Er sollte sich bei der französischen Nationalmannschaft bewerben, Arroganz pur!

Gio, 07/01/2021 - 08:55 Collegamento permanente
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G. P. Gio, 07/01/2021 - 10:11

"Magdalena Amhof echauffiert sich darüber, dass man gerade jetzt, wo der Ausbruch der Delta-Variante drohe, Rücktrittsforderungen stelle."
Der Delta-Variante wird es ziemlich "Wurscht" sein, wer auf dem Landesratssessel sitzt ...

Gio, 07/01/2021 - 10:11 Collegamento permanente
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Josef Ruffa Gio, 07/01/2021 - 14:22

Fast könnte man sagen "außer Spesen nichts gewesen".
Nun der Wähler hat nun alle Informationen.
Er kann diese nun bewerten und wenn er will, kann er in der Urne sein politisches Urteil daraus ziehen und die notwendigen Maßnahmen treffen.

Gio, 07/01/2021 - 14:22 Collegamento permanente