Società | Kultur

Verlorengehen. Und sich wiederfinden

Die Lichter waren verloschen, die Musik verklungen, die Party war vorbei. Ein bisschen so, als sei’s das letzte Abendmahl gewesen.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
maratona
Foto: free images

Doch wenn jetzt am Sonntag die raue Stimme von Tom Waits aus sämtlichen Lautsprechern von La Ila ertönt, wenn das erste Morgenlicht den Kreuzkofel aufleuchten lässt, dann wird die Atmosphäre wieder absolut magisch sein. Ich werde wieder eine Gänsehaut bekommen, ganz wie damals im fernen 2019, als die Maratona zum letzten Mal stattfand. Spätestens jetzt wird es mir wieder vorkommen, als eröffnete sich uns eine Welt, die wir erst noch entdecken dürfen. In all diesen vergangenen Monaten, in denen die Welt von einem Virus beherrscht wurde, das irgendwo entwichen war oder eigens geschaffen oder wenigstens gewollt oder auch ganz und gar natürlich, haben wir uns alle ein wenig wie Vagabunden durchs Leben bewegt. Wir navigierten auf Sicht, entwickelten eine gewisse Freude daran, kleine, ganze alltägliche Dinge neu zu entdecken. Die letzten eineinhalb Jahre waren alles andere als ein Fest des Lebens und für die meisten von uns eine dramatische Erfahrung. Einige wenige konnten sicher auch das Faszinierende daran genießen. Doch jetzt, am Sonntagmorgen, geht es endlich wieder los. Die Sonne geht wieder auf, die Welt ist schön, erst recht hier in unseren herrlichen Dolomiten. Viele Leute sind mit von der Partie. So muss es sein. Und es wird schön sein.

Allerdings wäre es wünschenswert, dass wir in einer besseren Welt aufwachten. Es wäre wünschenswert, dass uns bewusst würde, wie wir die Zeit wahrnehmen, die dahinrast wie verrückt, in der alles immer nur einen winzigen Augenblick währt, in der nichts mehr wirklich sicher ist, dafür aber alles erlaubt. Vergangene Jahrhunderte perlen an uns ab, als beträfe uns die Geschichte nicht, als hätte es vor unserer Existenz auf Erden nichts und niemanden gegeben. Doch wir sind nicht die Herren dieser Erde, und noch weniger sind wir die Herrscher über die Zeit, auch wenn wir davon insgeheim überzeugt sind. Was übrigens das Bild „Die weichen Uhren“ von Salvador Dalì erklären würde. Von der aristotelischen Poesie, die für zweckgebundenes Handeln steht, über Dante, der uns auf den richtigen Weg bringt, bis hin zu Dalì mit seiner Illusionsmalerei – das ist die Maratona 2021. Sie ist ganz der Kunst gewidmet. Damit die Kunst in all ihren Formen wieder zum Leben erwacht, damit sie die Museen vor Besuchern explodieren lässt und unsere Seelen formt, damit sie uns die Türen zu verborgenen Welten öffnet und auch das kleine Türchen, das in unser eigenes Inneres führt und durch das wir auf Forschungsreise zu uns selbst gehen können. Damit wir das Schöne und das Gute wiederfinden.

So soll es sein: Der Vorhang hebt sich, die Lichter gehen an, wir werden tanzen und singen. Es wird ein großes Fest sein. Und wir werden begreifen, dass der Zeitpunkt gekommen ist, endlich wieder zu Künstlern zu werden. Wie damals, als wir Kinder waren.

Michil Costa