Andreas Hofer
Foto: Othmar Seehauser
Società | fritto misto

Der Grint, der Grint

Dass zurzeit nicht mehr geimpft wird, liegt nicht an fehlender Aufklärung, nein. It’s the genes, stupid!

Soso, die Impfungen gehen in Südtirol also nur schleppend voran, obwohl Delta lauert und auch der nächste Herbst bestimmt kommt, und da frage ich mich: Woran liegt‘s? Ist die Alu-Hut-Fraktion in der Bevölkerung derart stark vertreten, dass wir impftechnisch nicht mehr vom Fleck kommen? Nein, Verschwörungstheoretiker*innen stellen eine Minderheit, und denen ist sowieso nicht beizukommen. Sind es also die Zaghaften, Ängstlichen, die noch abwarten wollen, trotz des Risikos, das sie mit dem Gezauder eingehen? Nein, die werden nach und nach bekehrt durch immer mehr Informationen und Aufklärung und nicht zuletzt den Nachahmungseffekt: Keine*r will der*die Erste sein, aber wenn sich jetzt sogar die Tante Hilde mit ihrem Rheuma impfen lässt, dann kann’s so schlimm nicht sein. Auch die Terminmuffel, und derer scheint es weit mehr zu geben als vermutet, haben keine Ausreden mehr, seit die zwei Impfbusse emsig durchs Land kurven und immunisieren, wofür man sonst, welche Zumutung, „oagens in die Stodt“ kommen müsste.

Nachdem bereits Vergleiche mit der Option angestellt wurden, könnte man diesen Spin vom aufgezwungenen Leid weiterführen und in der Impfung aus dem Hinterhalt kulminieren lassen

Unser Problem liegt anderswo, nämlich im berüchtigten Tiroler Grint: Wenn ich bereits vollmundig vor Nachbar*innen, Freund*innen, Arbeitskolleg*innen verkündet habe, dass ich mir „dieses Gift“ ganz gewiss nicht spritzen lassen werde, wie komme ich wieder raus aus der Nummer, wenn ich jetzt doch nicht mehr so abgeneigt bin? Was, wenn mich Krankheitsfälle im Bekanntenkreis, das überraschend ausbleibende Massensterben der Geimpften, drohende Lockdowns im Herbst dazu bewogen haben, meine Meinung doch zu ändern, ich das aber unter keinen Umständen zugeben kann? Schließlich ist ein echter Tiroler ja kein Fahndl im Wind, und Dickköpfigkeit wird hierzulande immer noch gern mit Standhaftigkeit verwechselt. Es ist ein echtes Dilemma, denn kaum etwas fürchten Tiroler*innen so sehr wie den Gesichtsverlust durch unterstellten Wankelmut. Dabei wusste schon Oscar Wilde, dass Beständigkeit die letzte Zuflucht der Fantasielosen ist, aber „noi gente di montagna“ (Zitat Jannik Sinner) haben es ja weder besonders mit flamboyanten Homosexuellen noch mit Fantasie. Was tun also?

 

Eine Möglichkeit, die ich gern zur Verfügung stelle und dafür auch auf keine Urheberrechte beharre, besteht darin, den Sturschädeln die Flucht in die Opferrolle zu ermöglichen. Nachdem auf Facebook bereits Vergleiche mit der Option angestellt wurden („gespaltene Gesellschaft“, „verraten und verlassen“), könnte man diesen Spin vom aufgezwungenen Leid weiterführen und in der Impfung aus dem Hinterhalt kulminieren lassen. „I hon’s net gwellt, ober es isch passiert“ würde dem Grint erlauben, selbigen unversehrt zu lassen und doch Schutz vor Covid zu erlangen: The best of both worlds, sozusagen. Allerdings braucht es dazu ein paar Kniffe: Zum Einen muss die urban legend einer guerillaartigen Impf-Squad die Runde machen (dürfte auf einschlägigen Seiten in den sozialen Medien ein Leichtes sein), die ahnungslosen Bürger*innen in Apfelwiesen oder beim Wandern auflauert und den Impfstoff mittel Blasrohr flugs in den gluteus maximus pflanzt. „I hon gmuant a Brem‘, derweil wor’s a Hu**nsspritz!“ Alternativ könnte Kunde von nächtlichen camouflagierten Impf-Squads, die still und leise in Behausungen eindringen und unschuldig Schlummernde meuchelimpfen, verbreitet werden: „I bin in der Friah augwocht und hon auf uanmol des Pflasterle oben kopp!“ Da kann man dann die Zweitimpfung auch frisch machen. In Wahrheit meldet sich der insgeheim impfbereite Sturkopf natürlich bei einer eigens eingerichteten Hotline an, deren Nummer man bei der Sabes nur gegen das Codewort „Haspinger“ erfährt. Daraufhin erhält man diskreten Hausbesuch von als Zeuge Jehovas getarntem Impfpersonal, in der schwarzen Ledertasche befindet sich statt des „Wachtturms“ natürlich wahlweise Comirnaty, Vaxzevria, Janssen oder Moderna. Schnell, diskret, unauffällig, und den Nachbarn tischt man dann das Märchen vom Impf-Überfall auf.

Wie viele Sturköpfe könnte ein plötzlich fügsamer Josef Unterholzner bekehren, wenn er sich live in der „Tagesschau“ impfen ließe?

Wem dies zu umständlich ist, der lässt sich einfach regulär impfen, hofft, dass er oder sie dort nicht erkannt wird oder trägt dabei eine venezianische Maske, und verwendet nachher eine Ausrede, die die Sabes in einem eigens dafür kreiertem Büchlein zur Verfügung stellen könnte: „1001 Ausreden für geimpfte Grinter“. Besonders beliebt: „Die Kotz wor’s!“, „I bin beim Spazieren in a Spritz innigstolpert“, „die Frau hot’s heimlich in die Knedl innigetun“ oder, bei Männern eines bestimmten Alters: „Wegen dem Corona war mir gleich, ober des soll guat für die Potenz sein.“ Zur Inspiration einfach bei Schüler*innen nachfragen, Stichwort: „Hausaufgabe vergessen“, oder online recherchieren, welche Erklärungen in Krankenhäusern für untenrum zweckentfremdet eingeführte Gegenstände geliefert wurden.  

Last, but not least böte sich noch die medienwirksame Impfung eines bis dato exemplarischen VIP-Grints an, die anderen Grintern den Weg ebnen könnte. Wer „geat net, gib’s net“ zu seinem Lebensmotto erkoren hat, dem sollte es eigentlich ein Leichtes sein, auch einstellungstechnisch eine Wende um 180 Grad hinzulegen und vom spritzenfürchtigen Saulus zum impfwilligen Paulus zu werden. Wie viele Sturköpfe könnte ein plötzlich fügsamer Josef Unterholzner, seines Zeichens „Enzian“-Landtagsabgeordneter, bekehren, wenn er sich live in der „Tagesschau“ impfen ließe und dazu seinen Wahlspruch in die Kamera schreien würde, inklusive Daumen hoch? „Geat net, gib’s net“ würden seine Anhänger*innen achselzuckend mantramäßig murmeln und sich prompt einen Impftermin besorgen. Versüßen könnte man Unterholzner sein Umdenken mit der Aussicht darauf, einen Tag lang LH im Landtag spielen zu dürfen. Er dürfte auf dem LH-Sessel sitzen, LH-Reden halten, vielleicht sogar eine Pressekonferenz, die live auf Rai Südtirol übertragen wird, ein paar Verordnungen erlassen, die tags darauf wieder annulliert würden, und die Kolleg*innen im Landtag würden seine Wortbeiträge sogar mit begeistertem Applaus statt mit facepalm und Augenrollen quittieren. Einen läppischen Pieks gegen einen Tag Ruhm, einen Versuch wäre es wert. Man kann mir nicht vorwerfen, ich hätte mir keine Gedanken gemacht, über die Grinter unter uns.