Politica | SVP

Die Stasi-Methode

Waltraud Deeg hat heimlich ein Gespräch mit Jasmin Ladurner und Gerd Lanz aufgenommen und will es veröffentlichen. Eine Affäre, die das Klima in der SVP offenlegt.
Tonband
Foto: upi
Der Anruf der Vizelandeshauptfrau beim Schreiber dieser Zeilen kam am vergangenen Freitag um 13.20 Uhr und dauerte 7 Minuten. Genau 20 Minuten zuvor war auf Salto.bz der Artikel „Verdorbene Mahlzeit“ erschienen. In dem Artikel wird darüber berichtet, wie ein Beschlussantrag  innerhalb der SVP-Fraktion fast zur Zerreißprobe führte.
Es geht dabei um einen Beschlussantrag der SVP-Landtagsabgeordneten Jasmin Ladurner zur Lebensmittelverschwendung. Ladurner hatte den Antrag vor seiner Einreichung - wie es die Spielregeln unterm Edelweiß vorschreiben - in der SVP-Fraktion vorgestellt und mit der zuständigen Landesrätin Waltraud Deeg abgesprochen. Keine drei Wochen später leitet Deeg dann mit einer Pressekonferenz eine große Kampagne genau zu diesem Thema ein.
Es bricht damit eine Art Hennenkampf (weibliche Form des Hahnenkampfes) unterm Edelweiß aus, der schließlich mit einem Kompromiss und einem Abänderungsantrag von SVP-Fraktionssprecher Gert Lanz am vergangenen Freitag im Landtag sein Ende nehmen sollte.
Dass die Polemik aber damit keineswegs beendet ist, sondern sich zum veritablen Politskandal ausweitet, liegt an Waltraud Deeg und dem Inhalt ihres Anrufs am Freitag.
 

Aufgezeichnetes Gespräch

 
Waltraud Deeg fühlt sich in der Berichterstattung von Salto.bz falsch dargestellt und zu Unrecht angegriffen. Die Landesrätin will sich keineswegs in diesem Konflikt den Schwarzen Peter zuschieben lassen. Laut ihrer Darstellung arbeiten sie und ihre Ämter seit zwei Jahren an dieser Kampagne und Jasmin Ladurner sei erst im allerletzten Moment auf den fahrenden Zug aufgesprungen, um daraus politisches Kapital zu schlagen. „Dieser Beschlussantrag wurde nie mit mir abgesprochen“, behauptet Deeg.
 
 
 
All das liegt im absolut geordneten Rahmen, in dem eine Akteurin, über die berichtet wird, beim Journalisten - berechtigt oder nicht - die Wiedergabe ihrer Position einfordert. Doch Waltraud Deeg erklärt gleichzeitig etwas, was einem Skandal gleichkommt.
Die Landeshauptmann-Stellvertreterin eröffnet das Gespräch mit einer Ankündigung: Sie werde das Gespräch mit Jasmin Ladurner auf ihrer Facebook-Seite veröffentlichen. „Ich habe etwas getan, was ich bisher in meinen Leben noch nie gemacht habe“, sagt Deeg, „ich habe das Gespräch aufgenommen“. Wie die Landesrätin meint: „Zu meiner Absicherung“.
Deeg erklärt dann, dass sie die Aufzeichnung veröffentlichen werde, „damit ganz Südtirol hört, was wirklich geschehen ist und welches Spiel her gespielt wird“. Auf Nachfrage, wann die Aufnahme veröffentlicht werde, meint die SVP-Politikerin, dass sie das Ganze nur noch mit ihren Anwälten abklären müsse.
Um die ganze Tragweite dieser indirekten Drohung zu verstehen, bedarf es einer kurzen Rückblende.
 

Die Aussprache

 
Am vergangenen Mittwoch trifft sich die SVP-Fraktion zu ihrer traditionellen Sitzung, um zu Beginn der September-Sitzungswoche die anstehenden Tagesordnungspunkte zu besprechen. Bereits auf dieser morgendlichen Sitzung geht es zum Ladurner-Beschlussantrag hoch her. Waltraud Deeg wird - nach der Darstellung mehrerer Teilnehmer -  laut und verlässt schließlich den Sitzungssaal.
Spätestens jetzt wird klar, dass SVP-Fraktionssprecher Gert Lanz hier Feuerwehrmann spielen muss. Gegen Donnerstagmittag gehen Gert Lanz und Jasmin Ladurner während der laufenden Landtagssitzung zur Regierungsbank und ersuchen Waltraud Deeg um eine Aussprache in dieser Sache. Die Reaktion der Kompatscher-Stellvertreterin: „Wenn ihr zu zweit seid, will ich, dass auch Philipp Achammer dabei ist“.
 
 
Die Aussprache findet dann wenig später während einer Sitzungsunterbrechung in einem Besprechungsraum im Landtag statt. SVP-Obmann Philipp Achammer ist verhindert und kommt nicht. Dafür zeichnet - wie sich jetzt herausstellt - Waltraud Deeg das Gespräch mit Lanz und Ladurner heimlich auf ihrem Handy auf. Wie sie später meint: „Zu meiner Absicherung“.


Der Tabu-Bruch

 
Man muss sich vorstellen: Die Landeshauptmann-Stellvertreterin zeichnet ein internes Gespräch mit ihrem Fraktionssprecher und einer Fraktions- und Abgeordnetenkollegin heimlich auf, ohne dies den beiden offen zu sagen.
Die DDR und die Stasi sind hier nicht mehr weit.
 
 
Salto.bz hat sowohl Jasmin Ladurner als auch Gert Lanz mit dieser Tatsache konfrontiert. Beide sind entrüstet und sagen unisono: „Davon wussten wir nichts“. Sowohl Ladurner als auch Lanz verstehen nicht, was in dem Gespräch enthalten sein soll, das die bisherige Darstellung grundsätzlich ändern würde.
Dass Waltraud Deeg später einem Journalisten ankündigt, das aufgenommene Gespräch zu veröffentlichen, zeugt weniger von persönlicher Skrupellosigkeit als von politischer Dummheit. Denn die Pusterer SVP-Politikern macht damit öffentlich, welches Klima innerhalb der Regierungspartei herrscht. Heimlich werden Aufnahmen von Parteikollegen gemacht, um sich „abzusichern“.  Das Konrad-Adenauer-Zitat vom „Freund, Feind, Parteifreund“ dürfte kaum einmal besser gepasst haben, als bei dieser SVP-internen Affäre.
Die Landeshauptmann-Stellvertreterin zeichnet ein internes Gespräch mit ihrem Fraktionssprecher und einer Fraktions- und Abgeordnetenkollegin heimlich auf, ohne dies den beiden offen zu sagen.
Die DDR und die Stasi sind hier nicht mehr weit.
Vor allem aber steht die SVP jetzt vor einem ernsthaften Problem: Jasmin Ladurner hat man wegen eines Likes auf Facebook unter einem ironisch-kritischen Kommentar der Salto.bz-Kolumnistin Alexandra Kienzl zu Landesrat Thomas Widmann in der Parteileitung abgekanzelt und verwarnt.
Was tut man jetzt mit Waltraud Deeg?
Die Landesrätin hat die Aufnahme bisher nicht veröffentlicht. Den Grund dafür kann man erahnen. Deegs Anwälte dürften ihre Klientin darauf hingewiesen haben, dass sowohl die Aufnahme als auch die Veröffentlichung eine klare illegale Handlung und ein Gesetzesverstoß sind.
Bild
Profile picture for user Martin Sitzmann
Martin Sitzmann Lun, 09/20/2021 - 14:42

Wenn sowas im Fernsehen als "Politthriller" vermarktet würde, wäre ich nach 1 min vor der Glotze eingeschlafen.
Falls das, wie von Herrn Franceschini recherchiert, wirklich in Südtirol passiert ist - und das von Seiten einer Landeshauptmann-Stellvertreterin, die Rechtswissenschaften studiert hat und selbst Anwältin ist... ja dann reißt's mich doch glatt vom Sofa hoch! ;-) Manchmal ist die Realität glatt spannender als die Fiktion!
In meinem Rechtsverständnis gibt es diesen Fakt allerdings erst, wenn er bewiesen ist, entweder durch Veröffentlichung durch Frau Deeg oder durch entsprechende polizeiliche Erhebungen (Handy beschlagnahmen, gelöschte Daten von Spezialisten wiederherstellen lassen, usw.). Glaube kaum, dass im heiligen Land Tirol so ein Aufwand betrieben werden wird.

Lun, 09/20/2021 - 14:42 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Martin Sitzmann
Martin Sitzmann Lun, 09/20/2021 - 14:45

Herr Freud,
der war gut: Tonbandaufnahme... im Jahr 2021... da sieht man mal wieder, dass Bilder mächtiger sind als Worte, denn im Artikel ist - im Gegensatz zum Aufmacherfoto - von einer Handyaufnahme die Rede. Hätte mich auch gewundert, wenn Frau Deeg bei ihrem Gehalt mit einem Walkman aus den 80er-Jahren herumlaufen würde. ;-)

Lun, 09/20/2021 - 14:45 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Hartmuth Staffler
Hartmuth Staffler Lun, 09/20/2021 - 15:14

Aus der Vizelandeshauptfrau ist längst eine Witzelandeshauptfrau geworden. Sie stellt damit ein ernstes Problem für die SVP dar, das dringend gelöst werden muss, wenn die Partei sich nicht selbst demontieren will.

Lun, 09/20/2021 - 15:14 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user △rtim post
△rtim post Lun, 09/20/2021 - 20:24

Das ist doch alles Quatsch mit Soße...
Auch der Stasi-Vergleich.
Ich jedenfalls bewundere jetzt auch die perfekte Gedächtnisleistung bzw. die händische
Aufzeichnungsgabe des Journalisten bei einem Telefonanruf, um sofort den Inhalt eines Telefonats später im Artikel wörtlich genau 1:1 wiedergegeben zu können.

Lun, 09/20/2021 - 20:24 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Stereo Typ
Stereo Typ Mar, 09/21/2021 - 10:17

Haben Politiker*innen denn nicht Berater*innen? Ein Gespräch heimlich aufzuzeichnen ist ein No-Go. Wie werden künftig die Gespräche bei der SVP ablaufen? Werden zuerst die Taschen der Beteiligten durchsucht?

Mar, 09/21/2021 - 10:17 Collegamento permanente