Ambiente | vor ort

Im Griff des Namenlosen

La Palma und sein Vulkan bescheren mir ein Wechselbad der Gefühle: betroffen von der Zerstörung, beeindruckt von der Naturgewalt sowie der Schönheit der Insel.
Vulkan auf La Palma
Foto: lmg

Ununterbrochenes Grummeln. Ein Grollen wie das eines nahenden Gewitters. Fern und doch deutlich hörbar. Seit zwei Tagen begleitet mich dieses Geräusch, vor allem abends. Als ich die ersten Zeilen dieses Textes schreibe, ist es 9 Uhr morgens, Dienstag auf La Palma. Und der Vulkan will nicht verstummen.

La Palma ist die drittkleinste der Kanarischen Inseln und mein neues Zuhause für einige Zeit. Zum Wandern und Ausspannen, zum Zur-Ruhe-Kommen und Inspirieren-Lassen bin ich nach meinem Abschied nach sieben Jahren bei salto.bz hierher gekommen. Einige Tage vor der geplanten Abreise sitze ich mit Freunden im grauen, kalten Wien und schwärme von der “Isla Bonita”, der schönen Insel, wie La Palma genannt wird, auf der immer Frühling herrscht und das Ozean-Wasser im Oktober am wärmsten ist. Es ist ein Sonntag Nachmittag, der 19. September. Da erfahre ich, dass das eingetreten ist, worauf Experten seit Tagen hingewiesen haben: Auf La Palma hat es einen Vulkanausbruch gegeben.

Namen hat der Vulkan (noch) keinen. Er ist Teil der Bergkette Cumbre Vieja, die sich durch den Süden der Insel zieht. Zuletzt ist dort 1971 ein Vulkan ausgebrochen. Vor 50 Jahren. Und nun erneut – genau jetzt, kurz bevor ich mich dorthin aufmache. Ich bin nicht abergläubisch. Dennoch wäge ich gut ab, ob ich die Reise antreten will. Wie es aussieht, ist vor allem der weniger dicht besiedelte Süd-Westen der Insel von den Erdbeben, der Lava, der Asche und dem Rauch, den der Namenlose über Tage ausstößt, betroffen. Ganze Dörfer werden geleert, immer mehr Menschen evakuiert. Über 7.000 der rund 85.000 Inselbewohner müssen bei Verwandten, Bekannten oder in Notunterkünften unterkommen. Die meisten von ihnen werden kein Zuhause mehr haben, in das sie zurückkehren können. Die 1.100 Grad Celsius heißen Lavaströme setzen alles in Brand, was sich ihnen auf ihrem Weg entgegenstellt.

Auch Touristen werden von der Insel gebracht. Doch der Flughafen nahe der Hauptstadt Santa Cruz im Süd-Osten La Palmas bleibt offen. Meine Unterkunft liegt im Nord-Westen. Die Vermieterin – eine Deutsche, die selbst vor Ort wohnt – schreibt mir: Sie habe den Vulkanausbruch im Internet verfolgt. Die Gegend, in die ich will, ist nicht betroffen. Die Straße, über der ich anreisen wollte, wird zwar gesperrt. Doch ich kann über die Nord-Route fahren. Am Ende steht für mich fest: Ich mache mich auf nach La Palma. So einfach ist das inzwischen allerdings nicht mehr.


Am Mittwoch teilt mir die Fluglinie mit: Einer meiner Flüge, die ich für Freitag gebucht habe, fällt aus. Es ist jedoch, anders als erwartet, nicht der Anschlussflug nach La Palma. Sondern jener von Mailand nach Madrid. Er fällt wegen eines Streiks in Italien aus. Ich kriege eine Alternative einen Tag später, am Samstag. Freitag Abend dann die nächste Mitteilung: Mein Flug von Madrid nach La Palma am Samstag ist gestrichen. Wegen der anhaltenden vulkanischen Eruptionen, der Rauchwolke und des Ascheregens fliegt keine Fluglinie mehr La Palma an. Alternative wird mir dieses Mal keine geboten. Am Ende werde ich eine Nacht in Madrid verbringen, am Sonntag nach Teneriffa fliegen und von dort mit der Fähre nach La Palma übersetzen. Wie es tausende andere auch tun. Kurz vor der Ankunft wird es finster. Der Himmel färbt sich dunkelgrau, viele Passagiere zieht es aufs Deck, das inzwischen von schwarzen Sandkörnern bedeckt ist. Der Willkommensgruß des Vulkans.
 


Der Hafen in Santa Cruz sei wegen der Menschenmassen, die von der und auf die Insel wollen, am Samstag zwischenzeitlich lahmgelegt gewesen, erfahre ich nach meiner Ankunft. Am Sonntag herrscht zwar Hochbetrieb, doch die Behörden vor Ort und die Reedereien fertigen die Abreisenden und Ankommenden professionell und effizient ab. Darunter sind – neben Journalisten und Kameraleuten – auch Feuerwehrleute anderer Kanareninseln. Das vulkanische Überwachungs- und Warnsystem, genauso wie der Zivilschutz funktionieren hervorragend. So zumindest mein Eindruck. Auf den Straßen, in den Orten, über Radio (Fernseher habe ich bisher keinen gesehen) und die sozialen Medien werden die Menschen über aktuelle Ereignisse und Maßnahmen informiert. Von Verletzten oder gar Toten ist bisher nichts bekannt. Meine Gedanken kreisen um all die Wanderungen und Ausflüge im Süden von La Palma, die ich so schnell wohl nicht bzw. überhaupt nicht mehr machen kann. Das Gebiet rund um den Vulkanausbruch ist großräumig abgesperrt, auch der Strand am beliebten Badeort Tazacorte ist geschlossen. 

Und dann schäme ich mich etwas. Nicht weit von hier stehen tausende Menschen vor dem Nichts. Wie Angehörige des Mitarbeiters meiner Autovermietung, der mich am Hafen von La Palma abholt. Zwanzig Minuten hätten seine Schwiegereltern gehabt, um Habseligkeiten aus ihrem Haus zu holen. Dann mussten sie raus aus dem Dorf. Jetzt seien sie bei ihm untergebracht, berichtet der Mann. Aber man weiß nicht, wie lange. Er lebt mit seiner Familie selbst am Rande der Gefahrenzone.
 


Ich fahre los Richtung Norden. Die Straßen von Santa Cruz säumen bunte Häuser. Vor vielen Lokalen sitzen wenige Menschen. Die meisten mit einer FFP2-Maske im Gesicht – dazu haben die spanischen Behörden geraten. Zum Schutz vor Rauch- und Aschepartikeln. Eine Frau wartet auf den Bus, unter einem Regenschirm. Auf einmal ein Geräusch: Schwarzer Lavasand rieselt auf mein Auto. Der Sand ist nicht giftig, kann aber Lungen und Augen irritieren, bringe ich später in Erfahrung. Nach rund einer Stunde Fahrt wird es heller. Bis in den Norden ist die Vulkan-Wolke nicht gekommen.


Jetzt fahre ich nach Westen und dann wieder ein Stück nach Süden. Als ich um eine der letzten Kurven vor meiner Unterkunft biege, sehe ich ihn plötzlich zum ersten Mal: den Namenlosen.


Am Montag sieht es für einige Stunden so aus, als ob der Vulkan zur Ruhe gekommen sei. Aber er spuckt weiter Magma, Gestein, Asche und Rauch aus. Der bisher letzte Ausbruch findet gegen 20 Uhr statt. Inzwischen türmt sich die Lava in einigen Gebieten bis zu 15 Meter hoch auf. Weil sie sich immer langsamer Richtung Küste bewegt, fließt sie auch mehr in die Breite. In einigen Orten sind die Menschen aufgerufen, das Haus nicht zu verlassen und die Fenster geschlossen zu halten. Kommt die Lava mit dem Ozeanwasser in Kontakt, droht beim Verdampfen eine giftige Schwefelwolke zu entstehen.
 


Am Dienstag wird ganz La Palma zum Katastrophengebiet erklärt. Ein Journalistenkollege aus Österreich informiert mich darüber. Selbst habe ich bei meinem Ausflug in den rauen und windigen Norden nichts mitbekommen. Der Vulkan scheint hier nicht zu existieren.


Fast 600 zerstörte Häuser, 260 Hektar Land verloren Das ist die bisherige Bilanz des aktuellen Vulkanausbruchs auf La Palma. Ich bin hin- und hergerissen, betroffen von der Zerstörung, beeindruckt von der Naturgewalt sowie der Schönheit der Insel, die ich im Norden und Osten erkunde. Wie soll ich mich verhalten, frage ich mich. Ich habe noch den entsetzt-tadelnden Blick des Taxifahrers im Kopf, der mich vom Flughafen zum Hafen im Süden von Teneriffa gefahren hat, als ich ihm erzählt habe, dass ich nach La Palma will. Kein Wort hat er danach mehr mit mir gewechselt. Eine mögliche Erklärung dafür finde ich später auf der Fähre nach Santa Cruz und in den lokalen Medien: Zig Schaulustige setzen nur wegen des Vulkans nach La Palma über.
 


Vulkan-Gaffer sind das letzte, was die Insel jetzt braucht. Nicht zuletzt, weil Hotelbetten und andere Unterkünfte für betroffene Einheimische benötigt werden. Die Frage stellt sich mir unausweichlich: Wie wird Kurzurlaubern und Langzeitouristen, wie ich es bin, auf der Insel derzeit begegnet? “Das kommt darauf an, wie sie sich verhalten”, so die kurze, aber vielsagende Antwort des Mitarbeiters der Autovermietung. Tags zuvor hat er ein Auto an zwei Touristen vermietet, die ihn mit fehlgeleiteten Phrasen wie “Hier riecht es ja gar nicht verbrannt!” oder “Warum wackelt hier nichts, wo sind die Erdbeben?” in Rage versetzt haben. “Ich habe ihnen gesagt, sie sollen nach El Paso fahren, wo auf einem Fußballfeld Notunterkünfte eingerichtet worden sind, und vor den Menschen dort diese Sprüche noch einmal klopfen.”

 

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Kurt Resch Mer, 09/29/2021 - 15:34

Mit Freunden war ich öfters auf La Plama zum Freeriden, eine wirklich traumhafte Insel mit vielen technisch schwierigen Wegen.
Untergebracht waren wir in Puerto Naos das jetzt nur noch über den Süden erreichbar ist. Keine Straße, kein Strom, kein Wasser...
Mit dem Reisveranstalter habe ich immer noch Kontakt, sie haben Unterschlupf in einem leeren Ferienhaus gefunden. Zuerst Corona, dann der Vulkan... die Menschen dort tun mir sehr leid und ich hoffe, dass ihnen bald geholfen wird.
Genieße deinen Aufenthalt, die Insel ist unglaublich abwechslungsreich und schön.

Mer, 09/29/2021 - 15:34 Collegamento permanente