Economia | EU-Wirtschaftpolitik

Von der Affaire Weidmann und dem langen Weg zur Bankenunion

Vor einigen Tagen wurden die ersten operativen Schritte in Richtung EU-Bankenunion getan. Aus der Not im Zuge der Bankenkrise letztes Jahr lanciert, zielt dieses neue Groß-Projekt der Union darauf ab, einem der Kernbereiche jeder Volkswirtschaft – eben dem traditionell immer stark von politischer Einflussnahme gepeinigten Sektor der Finanzintermediation – eine neue, kontinentale Grundlage zu geben. Diese notwendige Vereinheitlichung ist ein nobles Ziel, der Weg dahin wird aber wegen vielschichtiger, nationaler Interessenkonflikte lang und dornig sein.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Es war fast als ob man ein kollektives Schmunzeln aus dem nagelneuen Glastürmen der UniCredit-Zentrale am Mailänder Bahnhof Garibaldi hörte, als Mitte November eine kleine, aber bezeichnende Affaire um den Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann bekannt wurde. Aber was war es, was die Leute im höchsten Gebäude Italiens – vom argentinischen Hochhausarchitekten César Pelli übrigens kongenial entworfen – derart bewegte?

Wie die Financial Times am Donnerstag, den 14. November berichtete, könnte es der italienischen Großbank erlaubt werden, bis zu 7 Milliarden € ihres Kapitals aus Deutschland abzuziehen (und zur Verlängerung der Bilanzsumme in andere Länder umzuleiten), wenn Ende 2014 im Zuge der ersten Phase der Bankenunion die Bankenaufsicht bei neuen, vereinheitlichten Regeln (z.B. zu Kapital, faulen Krediten, Abschreibungen etc.) von den nationalen Notenbanken auf die Europäische Zentralbank (EZB) übergeht. Dem englischen Wirtschaftsblatt zufolge habe ein hoher Funktionär der Bank auf einem Londoner Außenpolitikforum Weidmann mit folgenden Worten zitiert:“ … (Weidmann) hat mir bestätigt, dass der einzige Grund dafür, dass die Aufsichtsbehörde BaFin die deutsche Tochter des Konzerns (die frühere HypoVereinsbank, heute UniCredit Bank AG) dazu zwingt, überproportional viel Kapital zu halten, liegt darin, dass wir Italien nicht trauen!“ Dies würde bedeuten, dass dieses Kapital nach einem etwaigen Transfer nach Süden die darniederliegende Volkswirtschaft des Belpaese mit zusätzlichen Krediten – in der Höhe von etwa 40 Milliarden € – fördern könnte.

Den Beobachtern der Szene war naturgemäß die Tragweite dieses Fauxpas‘ umgehend klar, da es niemals Politik einer nationalen Notenbank des Euro-Gebiets sein kann, geografische Diskrimination zu betreiben. Das Dementi, das tags darauf in derselben Zeitung zu lesen war, kam deshalb nicht überraschend: Die Bank entschuldige sich in aller Form bei Herrn Weidmann und seiner Institution für dieses unglückliche Missverständnis. Das Zitat sei völlig irreführend und entbehre jeglicher Grundlage.

Hintergrund dieses verwirrenden Geplänkels ist eben die Diskussion um die Errichtung der sogenannten europäischen Bankenunion. Dieses neue EU-Groß-Projekt – letztes Jahr aus der Not der spanischen Bankenkrise geboren, aber von seiner Tragweite her mit den großen Errungenschaften der Union (Gemeinsamer Markt 1992, Schengen 1995, Euro 2002) durchaus zu vergleichen – soll in einigen Jahren dazu führen, dass alle Banken mit einheitlichen Rahmenbedingungen und Regeln dereinst «am freien Markt» um Kunden kämpfen sollen. Beobachter umschreiben diesen Sachverhalt gern mit dem englischen Schlagwort vom ebenen – für alle gleichen – Spielfeld («level playing field»). Erster Kardinalpunkt der Bankenunion ist der bereits beschlossene Übergang der Bankenaufsicht von nationalen Organen auf eine kontinentale Behörde, die der EZB unterstellt und von der französischen Aufsichtsexpertin Daniéle Nouy geleitet werden soll. Diese neue Behörde – im Fachjargon nur SSM genannt («single supervisory mechanism») – soll im November nächsten Jahres in Aktion treten: ihre Hauptfunktion wird die direkte Ausübung der Aufsicht über die 130 größten Banken der Union sein (die kleineren werden weiterhin von den nationalen Organen betreut). Die kommenden zwölf Monate stellen deshalb eine entscheidende Übergangsphase dar, da der SSM in dieser Phase in drei Schritten dafür sorgen will, dass in diesem Zeitfenster nichts anbrennt: Seit einigen Tagen läuft bereits die einführende allgemeine Risiko-Einstufung der einzelnen Banken, in den Monaten März bis Mai 2014 soll dann das am meisten gefürchtete Herzstück dieses Prozesses folgen, die Prüfung der Aktivseite der Bankbilanzen (auch «Asset Quality Review» genannt). Endlich soll es im September/Oktober zu den abschließenden Stresstests kommen, die den allenfalls notwendigen Kapitalbedarf der Banken angeben sollte. Soweit der Schlachtplan für das Jahr 2014, auf den man sich bisher einigen konnte.

Schon jetzt steht außer Zweifel, dass das bisher bereits Erreichte einen großen Fortschritt in der Geschichte der europäischen Banken darstellt, führte doch die Präsenz von siebzehn verschiedenen Aufsichtsbehörden in den einzelnen Staaten des Euro-Gebiets zu teilweise erheblichen Wettbewerbsverzerrungen. Als Beispiel sei nur der Teilbereich der sogenannten operationellen Risiken genannt, wo zur Zeit unterschiedliche Bewertungskriterien der Aktiva unweigerlich und trotz ähnlicher Bilanzsituationen zu uneinheitlichen Kapitalbedürfnissen und also je nach Land zu sehr verschiedenen Hebelwirkungen des Kapital führt (leverage ratio: die Beziehung zwischen Bankeigenkapital und -aktiva). In diesem Zusammenhang wir auch oft darauf hingewiesen, dass etwa Deutschland seine Banken in viel höherem Masse unterstützt hat als andere Länder: Man spricht etwa davon, dass die deutsche Bundesregierung in der Bankenkrise bisher Finanzspritzen in der Höhe von 11% des BSP verabreicht habe, gegenüber nur etwa 5% im Fall des spanischen Staates. Schon jetzt lässt sich also sagen, dass der Weg zum gemeinsamen Ziel noch lang und dorning sein wird, das zeigt bereits die eingangs beschriebene deutsch-italienische Episode: ähnliche Scharmützel dürfte es im Jahr 2014 noch zuhauf geben!

Vieles ist nämlich noch nicht klar festgesetzt und er Teufel sitzt bekanntermaßen immer im Detail. Aber fast täglich wissen die Wirtschaftsgazetten von größeren oder kleineren Kompromissen zu berichten. So wurde etwa schon im Sommer ausgehandelt, dass bei notleidenden Krediten («non performing loans» NPLs) die striktere Definition zur kontinentalen Regel wird, nach der von NPLs gesprochen wird, sobald bei einer Zinszahlung über neunzig Tage (und nicht länger) gesäumt wurde. Außerdem hört man gerade in diesen Tagen von einem möglichen Kompromiss in einem weiteren heißen Streitpunkt, der Frage nämlich, ob nationale oder europäische Gelder verwendet werden sollen, wenn es trotz aller Vorkehrungen doch wieder zu einer Bankeninsolvenz kommen sollte. Der deutsche Finanzminister Schäuble war bisher strikt gegen eine Verwendung von EU-Mitteln für den gemeinsamen Bankkrisenfonds (auch «single resolution mechanism»), scheint aber gerade in den letzten Tagen mehr Entgegenkommen in dieser Frage zu signalisieren. Zu den offen Punkten gehört hingegen weiterhin die Frage nach der Bewertung der Staatspapiere in den Bilanzen, jene nach der Handhabung der Stresstests, jene nach der Beteiligung der Privaten an Bankpleiten (der sogenannte «bail in», der von der deutschen Regierung besonders befürwortet wird) oder aber auch praktische Fragen, wie etwa jene wer konkret diese Prüfungen und Tests in der Übergangsphase durchführen soll, wo ja der SSM bis zum November 2014 noch gar nicht existiert. Auch beklagen einige Staaten – zumal jene im gebeutelten Süden – dass der Zeitpunkt der Durchführung der Bilanzprüfungen nach langen Jahren der Rezession ebenfalls wettbewerbsverzerrend wirke, etwa im Vergleich zu kontinuierlich expandierenden Volkswirtschaften wie der deutschen oder der holländischen.

Trotz all dieser Bedenken und offenen Problematiken bleibt das Urteil der meisten Ökonomen zum Projekt der Bankenunion aber weitgehend positiv. Es sei durchaus zu begrüßen – so in etwa der Ton in der Londoner City – dass endlich auf kontinentaler Ebene die Bilanzen der Banken durchleuchtet würden, um etwaige Leichen im Keller endlich ans Licht zu bringen. In diesem Zusammenhang wird oft auf die möglichen toxischen (Derivat-)Aktiva in deutschen Bankbilanzen oder auf die letzthin stark angestiegenen faulen Kredite in den italienischen hingewiesen. Dies könne einerseits den lange anhaltenden Vorbehalten des Marktes dem Sektor gegenüber endlich den Boden entziehen aber anderseits auch die Nachzügler unter den Großbanken dazu zwingen, endlich ihre eigene Kapitalbasis zu stärken. Ein derart gestärkter Sektor könne dann auch wieder seiner eigentlichen Doppelfunktion nachgehen, nämlich der, einerseits die Vergabe von Krediten wieder anwachsen zu lassen und eine wohlfundierte Selektion von Investitionsprojekten durchzuführen, und andrerseits den Sparern sichere Anlagemöglichkeiten zu bieten. Nur ein solcherart funktionierende Finanzintermediation sei dann in der Lage, der Ökonomie aufs Neue den Rücken zu stärken.

Nach vielen Jahren, in denen die Banken die Kreditausgabe drosselten – teils weil sie von den Behörden zu immer höheren Kapitalquoten gezwungen wurden, teils weil die Kreditnachfrage selbst zurückgegangen war aber auch weil sie selbst nach vielen negativen Schocks zu risikoscheu geworden waren – wäre dies tatsächlich eine willkommene Wende!

11. Dezember 2013

Zitate aus: FT, 14-11-2013 „UniCredit German unit chips in € 7 bn“; 15-11-2014 „UniCredit apologizes to Bundesbank over «trapped» capital claim