Società | ISEK für Bozen

Die Zukunft einer Stadt bewusst gestalten

Wie eine Stadt eine ganzheitliche, konsensfähige und zukunftsorientierte Stadtentwicklung anschieben kann
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Das Ergebnis der Abstimmung im Gemeinderat Bozen zur Neugestaltung des Busbahnhofes wird wohl in den Geschichtsbüchern der Stadt einen eigenen Eintrag bekommen. Noch nie, und das ist das bemerkenswerte an diesem Projekt, wurde derart ausführlich und lang über eine Umgestaltung und Neuordnung eines Areals in der Stadt gesprochen. Alleine das ist ein Fortschritt für eine Stadt, die sich sonst viel zu selten mit ihrer gebauten Umwelt befasst. Was in anderen Städten und Gemeinden Europas durchaus üblich ist, nahm in Bozen seinen Anfang mit einem Geschäftsmann, der durch seine Vorgeschichte, seine Gegenwart und seine zukünftigen Pläne in Bozen für Aufruhr gesorgt hat. 

Nun, dieser Mann wird nicht so einfach die Flinte ins Korn werfen, auch wenn man ihm mit diesem Ergebnis durchaus eine sprichwörtliche Watschn erteilt hat. Eine Ohrfeige wird bei diesem aber Mann nicht den Rückzug bzw. ein Umdenken hervorrufen, dafür wurde bereits zu viel Geld in die Hand genommen, zu viele Fakten geschaffen, zu viele Leute mit ein bezogen, die jetzt natürlich ein klein wenig sauer sein werden.

Was ist also zu tun? Wie kann man diese politische Entscheidung in einen gesamtgesellschaftlichen Konsens verwandeln, mit dem sich alle Bozner in der einen oder anderen Weise identifizieren können? Und wie kann man im Vorfeld bereits Investoren zeigen, wo es lang geht und nicht umgekehrt? Natürlich kann man nie jeden Einzelnen zufrieden stellen, das wäre eine Illusion. Der ein oder andere in der Stadt wird nie zufrieden sein, egal wie es am Ende weiter geht mit der Stadt. Aber wirtschaftliche Einzelinteressen, persönliche Befindlichkeiten und politische Grabenkämpfe sind die Faktoren, die eine sachliche Diskussion immer und immer wieder zunichtemachen den Stillstand für eine Stadt bedeuten, in manchen Fällen sogar einen Rückschritt hervorrufen.

Wie kann man also gewährleisten, dass es eine sachliche Diskussion über die Zukunft der Stadt geführt wird, ohne dass sich dadurch der Großteil der Bevölkerung benachteiligt fühlt? Diese Frage wird in anderen Ländern durchaus auch gestellt. Ein Weg, der in vielen Städten zu einer erfolgreichen und kontinuierlichen Stadtentwicklung geführt hat, ist das integrierte städtebauliche Entwicklungskonzept, kurz ISEK. In einem solchen Konzept sollen die langfristigen Entwicklungsziele und Handlungsschwerpunkte für die Stadt definiert werden. Es werden Defizite und Probleme, aber auch Potenziale und Vorzüge einer Stadt ganzheitlich betrachtet. Dabei werden in Zusammenarbeit mit ortsansässigen Fachleuten aus allen Bereichen und den Bürgern zusammen Schwerpunktbereiche angesprochen und diskutiert, untersucht und ausgewertet. Aus dieser Bewertung werden ganz konkrete, stadtplanerische und städtebauliche Maßnahmen entwickelt. 

Einen beispielhaften Ablauf kann man sich zusammengefasst wie folgt vorstellen:

  • Eine Bestandsaufnahme in den Bereichen Wirtschaft, Einzelhandel, Soziales, Bildung, Wohnen, Arbeiten, Tourismus, Verkehr, Energie, Siedlung und Landschaft, Stadtplanung, Architektur, und vieles mehr.
  • Es werden mehrere Sitzungen in sogenannten Lenkungsgruppen abgehalten, die aus den Fachplanern, Vertretern der Ämter und des Stadtrates sowie des Bürgermeisters, Vertreter aus Wirtschaft, Kultur, Einzelhandel und anderen Interessensvertretern bestehen. In diesen Sitzungen wird die Analyse vorgestellt und besprochen und es werden Ziele, Visionen und Strategien erarbeitet, die für die Zukunft des Ortes als wichtig erachtet werden. Die Themen sind vielfältig und oft unterschiedlich und müssen in so einem Prozess aber integrativ behandelt werden, d.h. die Zusammenhänge müssen klar werden.
  • In den einzelnen, oben genannten Teilbereichen werden so genannte Fachgespräche geführt. Die unterschiedlichen Vertreter eines Bereiches werden in einer intensiven Diskussionsrunde zusammen geführt und es wird offen über Ziele und Vorstellungen, Chancen und Schwachstellen der Entwicklung geredet.
  • Darauf folgend wird eine erste Informationsveranstaltung von den Fachplanern organisiert, bei der die Bürger darüber informiert werden, worum es bei einem ISEK geht und wie der Prozess abläuft. Es ist die erste Gelegenheit der BürgerInnen, etwas über ihren Ort zu erfahren und sich selbst einzubringen.
  • In vielen Städten hat es sich eingebürgert, Stadtrundfahrten und Stadtspaziergänge mit interessierten Bürgern und der Lenkungsgruppe zu veranstalten. Diese Formen der Beteiligung haben große Vorteile, denn die Bürger können vor Ort und auf Augenhöhe mit den politischen Vertretern und Fachplanern über Probleme, Wünsche, Vorstellungen diskutieren. Eine äußerst effiziente Methode.
  • Nur wenige Wochen später findet ein Workshop statt: Die ausgewählten Themenfelder werden aufgrund der vorangegangen Analyse mit ihren Stärken und Schwächen auf Plakaten dargestellt. Die BürgerInnen und geladenen Gäste werden in Arbeitskreise zu festgelegten Themen aufgeteilt und von jeweiligen FachplanerInnen moderiert. In den einzelnen Arbeitskreisen werden die aufgelisteten Themen diskutiert und ausnahmslos jede und jeder kann individuell, beispielsweise anhand eines Punktesystems, zeigen, was ihr oder ihm am Wichtigsten erscheint. 
  • In der Nachbearbeitung werden nun Prioritäten gesetzt und es kommt zu konkreten Handlungsvorschlägen, die wiederum in der Lenkungsgruppe besprochen werden. Aus diesen Handlungsvorschlägen wird am Ende ein sogenannter Rahmenplan erstellt, in dem alle Maßnahmen lokalisiert und beschrieben werden. 

ISEKs können die Lebensqualität von Gemeinden und Städten über einen langfristigen Zeitraum konsolidieren und/oder spürbar verbessern. Dabei bleibt der Fokus auf der ganzheitlichen Betrachtung mit der zentralen Frage: Wie und wohin will die Stadt sich entwickeln? Was sind die Leitbilder einer Stadt, die im Alpenraum als eine der großen Agglomerationen eingestuft wird?

Dieser beschrieben Prozess ist mitnichten einfach und schnell, er erfordert Offenheit und Transparenz, Gestaltungswillen der Persönlichkeiten, die dort involviert sind und Steuerungsvermögen derer, die die Verantwortung tragen für diesen Prozess. Es wäre für Bozen eine gänzlich neue Erfahrung, sowohl für die Bewohner als auch für die politischen Vertreter. Anstatt sich auf die eigene, teils eben nicht vorhandene Kompetenz zu verlassen, begibt man sich die Betreuung von Fachleuten, die sich in den jeweiligen Teilgebieten ein umfassendes Wissen und die Erfahrung mitbringen, solche Prozesse zu begleiten.

Ein überaus ansehnliches und aus stadtplanerischer Sicht durchaus erfolgreiches ISEK entstand in einer kleineren Stadt in Baden Württemberg, in Nürtingen. Eine umfassende Dokumentation des Prozesses wurde auf der Homepage der Stadt veröffentlicht: https://www.nuertingen.de/nuertingen-fuer-alle/rathaus-buergerservice/stadtverwaltung/staedtische-aemter-einrichtungen/planungsamt/dokumentation/

 

Am Ende hat die Stadt einen nachvollziehbaren und vor allem konsensfähigen, mit allen Beteiligten abgesprochenen Leitfaden in der Hand, mit dem Stadtentwicklung gezielt und ganzheitliche betrieben werden kann. Der Masterplan 2010 ist in der Hinsicht schlicht zu einseitig und kaum bekannt. Durch ein ISEK würde sich dies grundlegend ändern.

Wenn es nun konkret zur Entwicklung und Neuordnung eines Areals in der Stadt kommt, wird dieser Bericht nicht nur aussagen, dass es sich um ein potentielles Gebiet handelt, sondern bereits konkret aussagen können, was sich dort entwickeln soll. Das ISEK kann für einige Gebiete bereits Handlungsvorschläge bereit halten. Viel wichtiger jedoch sind die darin enthaltenen Leitbilder und Leitlinien, die darüber Auskunft geben, was die Stadt für die nächsten 10-20 Jahre will. Dies verhindert, dass die Einzelinteressen von Investoren über den Interessen der Stadt stehen. 

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Lorenz Brugger Dom, 07/26/2015 - 15:00

In risposta a di Christian Mair

Richtig, obwohl ihr Kommentar impliziert, dass das Kaufhaus bei Integration in ein Gesamtkonzept in jedem Fall auf Zustimmung treffen würde, verstehe ich das richtig?
Ob ja oder nein, muss die Stadt gemeinsam mit den Bürgern für sich selbst zuerst grundsätzlich beantworten, dann erst orts-spezifisch, falls man sich dafür entscheidet und dann städtebaulich und architektonisch, um mögliche Nachteile z.B. in Vorteile umzuwandeln.

Dom, 07/26/2015 - 15:00 Collegamento permanente