Wirtschaft | auf nach Gröden?

Drahtseilakt in den Dolomiten

In Villnöss scheidet eine Seilbahnverbindung auf die Grödner Seceda die Geister. Jetzt ist erstmals der Gemeinderat am Zug.
St. Magdalena in Villnöss
Foto: Othmar Seehauser

Es ist verzwickt in Villnöss. Das Dolomitental, eingebettet zwischen Brixen und Klausen, hat eigentlich alles: eine atemberaubende Kulisse, eine großartige Naturlandschaft, findige Einwohner, die sich um ihre Heimat Gedanken machen. Und doch liegt ein Schatten über dem beschaulichen Tal – geworfen von einem Projekt, das seit über drei Jahrzehnten umherschwirrt und heute, 2020, so konkret wie noch nie auf dem Tisch liegt: eine Seilbahnverbindung nach Gröden.

Am Freitag Abend wird sich der Gemeinderat von Villnöss erstmals mit einer Machbarkeitsstudie befassen, die das Tal maßgeblich verändern könnte. Im Gemeinderat ist nur eine Partei vertreten: Alle 15 Räte gehören der SVP an. Der Ausgang der Abstimmung ist jedoch alles andere als klar. Denn die Meinungen über die Seilbahnverbindung auf die Seceda gehen innerhalb der SVP weit auseinander. Wie im Tal selbst auch.

 

Die Befürworter

 

Hinter dem aktuellen Plan, das Villnöss- an das Grödnertal seilbahntechnisch anzuschließen, steht ein Verein. “Zukunft Vilnöss” wurde 2016 gegründet, auf Betreiben des lokalen Tourismusvereins. An die 650 Mitglieder zähle der Verein heute, sagt Obmann Florian Profanter, davon seien rund 95 Prozent Wirtschafts- und Tourismustreibende aus Villnöss. 650 Mitglieder – das wäre fast ein Drittel der knapp 2.000 Wahlberechtigten in der Gemeinde. Dass durchaus auch Auswärtige Interesse an der Seilbahnverbindung haben, zeigt etwa die Tatsache, dass mit dem SVP-Landtagsabgeordneten und HGV-Vizepräsidenten Helmut Tauber ein Hotelier aus dem benachbarten Feldthurns im Vorstand von “Zukunft Villnöss” sitzt. Auch vier Gemeinderäte sind Vorstandsmitglieder, darunter Manfred Obexer, Vizepräsident des Villnösser Tourismusvereins und Förster im Landesdienst. Ebenso Präsident und Geschäftsführer des Tourismusvereins.

“Unser Auftrag, den wir vom Tourismusverein bekommen haben, ist es, den Wintertourismus in Villnöss anzukurbeln und dem Tal das wirtschaftliche Überleben zu sichern – den wollen wir erfüllen”, erklärt Vereinsobmann Profanter. Von der Seilbahnverbindung – die soll die Skigäste über eine Kabinenbahn mit einer Förderkapazität von 1.200 bis 1.800 Personen pro Stunde, eine Abfahrtspiste und eine Pendelbahn von St. Magdalena auf die Seceda und damit ins “Dolomiti Superski”-Gebiet bringen –, erwarten sich die Befürworter eine bessere Bettenauslastung im Winter und einen Aufschwung fürs Tal. Knapp 40 Millionen Euro soll das Projekt kosten.

Wir wollen kein zweites Gröden werden
(Florian Profanter, Zukunft Villnöss)

Dass die Trasse der geplanten Bahn in kleinen Abschnitten – die Rede ist von 1,5 bis 2 Prozent – durch den Naturpark Puez-Geisler, durch ein Natura-2000-Gebiet und das UNESCO-Weltnaturerbe Dolomiten führen soll, sieht Profanter als “großes Hindernis”, das aber nicht unüberwindbar sei. “Zum einen würde nur ein winziger Prozentsatz des Gesamtprojekts diese Schutzzonen betreffen, in denen auch keine baulichen Maßnahmen wie Stützen vorgesehen sind, sondern einzig ein Seil, das in über 100 Metern Höhe darüber gespannt wird. Zum anderen gibt es genügend Beispiele, wo bereits in Naturparks gebaut wurde, etwa im Monte Rosa im Piemont, oder Naturparkgrenzen, die ja vom Menschen festgelegt werden, verschoben wurden.”

 

Die Machbarkeitsstudie, über die der Gemeinderat am Freitag Abend abstimmt, hat der Verein “Zukunft Villnöss” in Auftrag gegeben. 85.000 Euro habe sie gekostet und sei zur Gänze mit privaten Gelder finanziert worden, so Profanter. Im Dokument, das auf der Webseite des Vereins einsehbar ist, scheint allerdings ein Verweis auf den Tourismusverein Villnöss auf, der sehr wohl öffentliche Beiträge erhält. Profanter winkt ab: “Da hat das Ingenieurstudio einen Fehler gemacht, hinter der Studie steht ‘Zukunft Villnöss’.” Und dort habe man sich zum Ziel gesetzt, über die Ankurbelung des schwächelnden Wintertourismus Arbeitsplätze zu schaffen, auch den Jungen im Tal eine Perspektive zu bieten und Abwanderung entgegenzuwirken.

 

Die Gegner

 

Villnöss soll zu keinem Parkplatz für Gröden werden, auswärtige Investoren und noch mehr Verkehr anlocken. Außerdem gebe es im Tal kein Betriebesterben, wie von den Befürwortern behauptet werde – und daher keinerlei Notwendigkeit, mit massiven Eingriffen das Landschaftsbild zu verschandeln. Das sind die Hauptargumente, die fallen, wenn man mit den Kritikern der Seilbahnverbindung auf die Seceda spricht. “Das ganze Tal würde dadurch umgewälzt, während die erhoffte wirtschaftliche Entwicklung nur in unmittelbarer Nähe zu den Aufstiegsanlagen stattfinden würde – auf Kosten der kleinen, familiär geführten Betrieben im restlichen Tal”, sagt ein Villnösser Touristiker.

Schon heute leidet unser Tal zu Spitzenzeiten unter einem sehr hohen Verkehrsaufkommen durch Tagesgäste
(Robert Messner, Naturpark Puez-Geisler, Ex-Bürgermeister)

Auch Bürgermeister Peter Pernthaler – vor den Gemeinderatswahlen 2015 noch dafür – zählt inzwischen zu den Seilbahn-Gegnern. Die Zukunft seines Tals sieht er im sanften Tourismus. Ebenso wie Gemeindereferentin Martina Mantinger. “Die Gegebenheiten des Tals sollten in ihrer Einzigartigkeit geschätzt und bewahrt werden, denn wenn die Einheimischen dies tun, dann wüssten das auch die Urlauber zu würdigen, zumindest eine bestimmte Gästeschicht”, schreibt sie in einer langen Stellungnahme in der Dezemberausgabe der Villnösser Gemeindezeitung.

Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie der EURAC, die Bürgermeister Pernthaler in Auftrag gegeben hat. Nach Informationen von salto.bz hat sie 28.000 Euro gekostet. “Nachhaltige Lebensraum- und Destinationsentwicklung in Villnöss” – seit Ende vergangenen Jahres liegt der 90 Seiten starke Projektbericht vor.

“Wintersportangebot maßvoll erweitern” ist eine der Empfehlungen des EURAC-Projektteams unter der Leitung von Harald Pechlaner. Als mögliche Maßnahmen werden die Belebung der Almen im Winter für naturnahe Aktivitäten wie Wandern, die Förderung sanfter Wintersportarten wie Schneeschuhwandern, Rodeln, und Langlaufen oder der Ausbau des bestehenden Skilifts St. Magdalena “mit einem attraktiven Angebot für Anfänger, Familien und zu Trainingszwecken” aufgelistet.

 

Außerdem wird in dem Bericht darauf verwiesen, dass auch die IDM Villnöss wegen seiner Unberührtheit und seiner intakten Landschaft als Rückzugstal in den Dolomiten bewirbt. Und das soll so bleiben, meint auch der berühmteste Villnösser. In einem Anfang Februar in der “Gazzetta dello Sport” erschienen Gastkommentar bezieht Reinhold Messner klar gegen die Seilbahnverbindung Stellung. Das Projekt sei sowohl aus ökonomischer als auch ökologischer Sicht falsch, meint der Extrembergsteiger und Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde. “Ich weiß, dass auch die Landesregierung dagegen ist”, behauptete Messner bereits 2017 in einem Tageszeitung-Interview.

 

Der Streit

 

“Ich weiß nicht, warum er sich überall einmischen muss”, sagt Florian Profanter über Reinhold Messner. Aber den Befürwortern der Seilbahnverbindung schlage prinzipiell “recht viel Gegenwind” entgegen, meint der Obmann des Vereins “Zukunft Villnöss”. “Es ist eher umgekehrt”, kontern die Gegner. Von denen wollen einige anonym bleiben. Auch, weil es laut übereinstimmenden Berichten “massiven Druck” vonseiten der Projektbetreiber gebe.

Manche wünschen sich, dass das Land ein Machtwort spricht. Mitte Dezember war Landeshauptmann Arno Kompatscher bei einer Bürgerversammlung in Villnöss zu Gast – und verhielt sich diplomatisch. Kompatscher bestätigte, dass es für den Bau einer Bahn im Falle einer positiven Begutachtung vom Land eine Mitfinanzierung gebe. Zugleich merkte er an, dass Villnöss den Vorteil habe, dass es auch Alternativen gebe und das Land bereit wäre, auch für ein anderes, innovatives Konzept eine Finanzierung zu gewähren. Doch zugleich betonte der Landeshauptmann, dass er die Entscheidungsfindung nicht beeinflussen wolle – es liege an der Gemeinde, den Weg, den Villnöss einschlagen will, zu entscheiden.

 

Ein erster Schritt wird am heutigen Freitag Abend getan. Auf Antrag von sechs Gemeinderäten befasst sich der Gemeinderat mit der Machbarkeitsstudie für die Seilbahnverbindung Villnöss-Seceda. Er hoffe, dass sie angenommen und nach Bozen an die zuständigen Landesstellen gehe, die dann mit der Begutachtung beginnen könnten, sagt Florian Profanter. Die EURAC-Studie, bei der “Zukunft Villnöss” miteinbezogen wurde, findet er “eine Augenauswischerei”, dem sanften Tourismus kann er nicht viel abgewinnen: “Der Tourismus in Villnöss ist in den letzten 30, 40 Jahren sowieso immer sanfter geworden.” Die Angst der Kritiker vor einem Run auswärtiger Investoren auf Villnöss oder einem Bauboom teilt Profanter nicht: “Natürlich werden ein, zwei Grödner Liftgesellschaften ins Projekt mitinvestieren, denn alleine werden wir es nicht stemmen können. Aktuell haben wir 1.400 Gästebetten und dürfen ohnehin nur auf 2.000 aufstocken. Unser Ziel ist eine gute Auslastung, dazu brauchen wir keine großen Hotels. Vielleicht einen 4S- oder 5-Sterne-Betrieb –, denn wir wollen kein zweites Gröden werden.”

Eine Bahn bringt mehr Leute und daher mehr Geld – so einfach sei die Rechnung nicht, denn es gelte, die Aus- und Nebenwirkungen einer solchen Seilbahnverbindung zu bedenken, entgegen die Gegner. Dazu zählt auch Robert Messner, langjähriger Präsident des Führungsausschusses Naturpark Puez-Geisler und von 2000 bis 2015 SVP-Bürgermeister von Villnöss. Er meint: “Schon heute leidet unser Tal zu Spitzenzeiten unter einem sehr hohen Verkehrsaufkommen durch Tagesgäste. Die Liftverbindung würde dieses Problem potenzieren. Muss nicht vielmehr die Frage gestellt werden, ob man tatsächlich will, dass durch die Liftverbindung zwar drei Monate Wintertourismus gepusht wird, dass aber andererseits das Wanderparadies-Image und damit fünf Monate gut funktionierender Sommertourismus – plus der sanfte Wintertourismus – gefährdet werden?”

 

Noch eine Abstimmung?

 

Mit Spannung blicken nicht nur viele Villnösser Bürger, sondern auch Gemeinderatsmitglieder selbst auf die Abstimmung im Gemeinderat. Wird die Machbarkeitsstudie abgesegnet, geht sie ans Land über. Damit sei das Projekt noch lange nicht genehmigt, versuchen die einen zu beschwichtigen. Doch zugleich gebe das Tal sein Schicksal aus der Hand, befürchten die anderen. Am Beispiel Langtaufers habe man gesehen, welche Folgen das haben kann: Der Gemeinderat von Graun hat 2016 die Machbarkeitsstudie für die Verbindung Langtaufers-Kaunertal gutgeheißen. Heute würde es wohl keine Mehrheit mehr geben. Doch entscheiden wird die Landesregierung.

Dass das Projekt so kurz vor den Gemeinderatswahlen zur Abstimmung kommt, sehen die Skeptiker in Villnöss kritisch. Denn nach dem 3. Mai könnte das Verhältnis zwischen Gegnern und Befürworter im Rathaus ganz anders aussehen. Bei der heutigen Abstimmung im 15-köpfigen Gemeinderat wird mit einem knappen Ergebnis gerechnet. Bereits jetzt zirkuliert die Idee einer Volksabstimmung. Dann wären die Bürger an der Reihe. Und es würde sich zeigen, wie groß die Zustimmung zu einer Seilbahnverbindung nach Gröden in Villnöss tatsächlich ist.