salto.music | Alex Shylow

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Der 24jährige Singer/Songwriter Alex Shylow aus Riffian lebt in Berlin, kam aber zur Aufnahme seines neuen Albums zurück nach Südtirol. Heute spricht er über seine Songs.
Alex Shylow live im Ost West Club Meran
Foto: KARLHEINZ SOLLBAUER
Alex Shylow - Reflective Constitutions
Kann als direkte Weiterentwicklung der Debüt-EP ZOI8 gesehen werden: Shylow's Longplayer „Reflecitve Constitutions“ erschien am 10. September 2021. Grafik/Foto: Simon Hehl

Ein aufklärerischer Moment für mich, um mit den ganzen vorherigen Songs abzuschließen und sie als unreife Lüge zu erklären.

„Mein Album ‚Reflective Constitutions‘ kann insgesamt durchaus als eine direkte Weiterentwicklung von der ‚ZOI8‘ EP gelesen werden“, erzählt uns der Singer/Songwriter Alex Shylow. „Es sieht ganz danach aus, als wäre mein Verständnis von Tonträgern irgendwie mit der Idee von Fotoalben kongruent. Nämlich ein jährliches... oder so... Festhalten des momentanen Zustandes. Eine Art Zurückblicken, Bilanz ziehen, Einordnen und Abschließen“, so Alex „Shylow"” Favalli weiter.

Somit stellt jeder Album-Release für den Indie-Pop/Folk-Musiker auch eine Art Abschluss dar, der Raum für Neues schafft. „Konkret heißt das, es soll nur daran erinnert werden, dass sich bei ‚ZOI8‘ alles um die Desillusion gedreht hat. Es ging um Wachstum im negativen Sinne, Einsamkeit, Nostalgie, Anonymität, usw.“, sagt Favalli rückblickend. „Die EP endet allerdings mit einer positiven Note: ‚It Was All A Lie‘. Ein aufklärerischer Moment für mich, um mit den ganzen vorherigen Songs abzuschließen und sie als unreife Lüge zu erklären.“ Dennoch ergänzt der in Berlin lebende Singer/Songwriter: „Mittlerweile habe ich meinen Sinn für Humor gesteigert und habe gelernt, der ganzen Angelegenheit mit ein wenig Sarkasmus entgegenzutreten.“

Alex Shylow spielte sein neues Album „Reflective Constitutions“ mit Leonhardt Kinzel (u.a. NïghtØut, Redoors, Blue Folks) ein, der sich auch für Piano, Bass und Mix verantwortlich zeigt. Schlagzeug und Perkussionen stammen von Michael Stürz (ebenfalls NïghtØut); das Mastering hingegen von Claus Stecher (Since11, Average).

Auf salto.music findet ihr nun zu allen neun neuen Songs ein Statement von Alex Favalli, dem Musiker hinter dem ambitionierten Singer/Songwriter mit dem Künstlernamen Alex Shylow. Here We Go!

 

1. She's Bigger Than Me

„Reflecitve Constitutions“ beginnt mit einem Manifest. Die Lüge wird endlich begriffen und es wird klar, dass es Dinge gibt, die größer sind als man selbst. Indem man diese Tatsache akzeptiert, ist man der Freiheit jedoch einen Schritt näher.

Wörtlich übersetzt heißt das, dass „sie“ vielleicht größer sein mag als ich, mich aber nicht mehr besiegen kann. Denn lebendig kommt sowieso keiner von uns durch und ein wirklich freies Leben kann nur dann gelebt werden, wenn auch die Angst vor dem Ende überwunden wird. Ansonsten dürfte man keinen Schritt außerhalb der sogenannten Comfort Zone mehr wagen. Schließlich könnte im ängstlichen Denken ja jeder Schritt ein fataler Schritt sein.

Die Idee zum Text bekam ich aber, als ich auf einen Gipfel steigen musste und von dieser Tätigkeit, die in Südtirol so beliebt ist, sehr irritiert war. Ich bin mir nicht sicher, ob die Berge eigentlich dazu da sind, bestiegen zu werden. Im Grunde spricht alles dagegen. Macht man es trotzdem und erreicht den Gipfel, dann ist das aber dennoch ein ziemlich starkes Gefühl. Ich denke, dass nur diese Herausforderung auch einen Reinhold Messner, sowie jeden anderen Künstler, der große Leistungen erbracht hat, zu seinen Leistungen gebracht hat.

Alex Shylow: Das Video zu „She's Bigger Than Me”

 

2. Never Asked For It

Der zweite Song soll einen gewissen Determinismus zum Vorschein bringen. Der Einfluss anderer Meinungen, das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, die Entscheidungen, die jemand trifft, ob bewusst oder nicht, können im Endeffekt nur bis zu einem gewissen Punkt durch reinen Willen determiniert sein. Irgendwie kommt früher oder später die Frage auf, ob man all das, was man hat und macht, eigentlich wirklich will, oder ob es doch irgendwie etwas höheres gibt, das uns in unseren Entscheidungen beeinflusst, obwohl man nie das Verlangen danach hatte.

 

3. Margareth

Dieser Song ist wesentlich weniger philosophisch. Margareth ist schlicht ein Pseudonym einer mittlerweile alten und ziemlich nervigen Chefin von mir, der meine Arbeitskollegen und ich diesen Spitznamen gaben, damit wir auch in ihrer Anwesenheit unsere Irritationen miteinander teilen konnten. Das Songwriting war im Prozess pure Frustration mit der Person und sollte eigentlich auch nicht veröffentlicht werden.

Im Nachhinein denke ich aber, dass wir alle eine oder mehrere Margarethen in unserem Leben haben. Im Idealfall soll der Track einen metaphorischen Effekt auf die HörerInnnen haben. An dieser Stelle aber auch eine aufrichtige Entschuldigung an alle, die mit Namen wirklich Margareth heißen. Die Wahl war wirklich willkürlich, ich finde den Namen eigentlich recht schön.

 

4. Reflective Constitutions (salto.music-Favorit)

Wie der Titel schon verrät, geht es bei diesem Track schlicht um Reflektion. Inhaltlich dreht sich die Geschichte um die Beziehung zwischen mir und einem Kastanienbaum. Wer die erste Seite von Narziß und Goldmund (Hermann Hesse) gelesen hat, wird diese Idee vielleicht ein bisschen besser nachvollziehen können, als andere.

In meiner jetzigen Wohnung in Berlin sind alle Fenster zum Innenhof gerichtet und dieser Innenhof ist nichts wirklich besonderes, wäre da nicht dieser eine, große, alte, imposante Kastanienbaum, der über die Dächer der Stadt hinauswächst. Im Laufe des Lockdowns habe ich mich selbst oft dabei erwischt, wie ich immer länger am Fenster stand und nur auf diesen Baum starrte und mir der ganzen Details dieses Riesen bewusst wurde.

War ich glücklich, so habe ich den Baum als einen glücklichen Baum wahrgenommen, war ich aber nicht so gut drauf, so nahm ich den Baum als ein einsames, sterbendes, ausgenutztes Wesen wahr. Vor allem aber die Veränderung über die Jahreszeiten täglich mitzubekommen, war beinahe schon eine spirituelle Erfahrung. Ich meine, ich war ja kein außenstehender Beobachter, sondern wusste natürlich, dass ich mit dem Baum älter werde und trotzdem haben wir beide unsere eigenen Rhythmen und Zeiten. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit wird er aber noch viel länger gerade stehen, als ich. Das finde ich schön.

 

5. Lionless Lioness

Dieser Track ist auf den ersten Blick nichts anderes als ein Liebeslied für eine verlorene Liebe, oder jemand vermisst jemand usw. ... ziemlicher Kitsch eigentlich. Ich habe mir auch schon Sorgen gemacht, dass der Text vielleicht als sexistisch missverstanden werden könnte.

Wie ich anfangs bereits sagte, habe ich an meiner humoristischen Seite gearbeitet und ich wollte mich einmal darin versuchen, Texte von Chart-Songs nachzuschreiben. Vielleicht könnte dies ja noch zu einer Karriere werden. Es soll auf jeden Fall eine Parodie eines ziemlich generischen Liebesliedes sein und trotzdem, glaube ich, würde man es mir abkaufen, wenn ich so tun würde, als wäre es ernst gemeint.

Löwin ohne Löwe: Alex Shylow und sein Song „Lionless Lioness”

 

6. Passerblick

Ein musikalischer Versuch diesem Fluss, an dessen Ufern ich so viel Zeit verbringen durfte, einen Dank auszusprechen. Mit mehr Worten kann ich diesen Track nicht beschreiben.

 

7. Naked In My Bed

Dieser Track ist einer der allerersten, die ich als Songwriter geschrieben habe. Ich habe ihn immer wieder weggelassen, wieder rausgeholt, umgeschrieben usw., bis ich jetzt endlich einen Schlussstrich ziehen konnte.

Leitend war für mich der Gedanke, dass Worte zwar das Beste sind, was wir haben, um uns zu verständigen, jedoch niemals gut genug sein werden, um ein Gefühl wirklich erklären zu können. Alles was da ist, ist da. Die Worte, die wir zur Beschreibung dieser Dinge benutzen, sind aber nur Laute, denen wir einen kollektiven Sinn geben. Dieser Gedanke macht mich wahnsinnig. Wie kann man z.B. jemanden, der von Geburt an blind ist, die Farbe grün erklären?

 

8. Spinning World

Wahrscheinlich mein Lieblingstrack auf dem Album. Ich hatte – zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt – das enorme Privileg, einigermaßen glücklich und sorglos so ziemlich alles umzusetzen, was ich mir vorgenommen hatte, und dies ohne große Komplikationen. In Berlin aber, wurde mir das Ausmaß der sogenannten „Mental Health Issues“, vor allem meiner Generation bewusst.

Dabei wurde klar, dass es eigentlich unmöglich ist, den „normalen“ Herausforderungen der 20er Jahre – Job, Beziehungen, Geld, Zukunft, usw. – gewachsen zu sein, wenn die Psyche nicht mitspielt. Zudem sind Menschen – teilweise zu Recht – vom gesellschaftspolitischen Zustand, mit Blick auf den Klimawandel, komplett paralysiert und ohnmächtig gegenüber dem bestehenden System.

 

9. Starting A Fire

„Starting A Fire” ist dann im Grunde die Fortsetzung von Spinning World. Ich möchte diesen Menschen, die Schwierigkeiten haben, seien diese nun materiell oder mental, sagen: Ihr seid nicht alleine. Und diejenigen denen es gut geht, die sollten dies zumindest nicht ignorieren, denn es geht letztendlich um die Gesundheit einer Gesellschaft.

Wer um sich herum nur Dunkelheit sieht, sieht sich selbst oft auch als alleinstehend und sieht sich nicht in der Lage, den Lichtschalter zu finden. Da will ich – vielleicht mit meiner Musik – sagen: Ich zünde für dich ein Feuer an, das dich wärmen soll. Der ehemalige Bundespräsident der BRD, Gustav Heinemann, hat einmal gesagt: „Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den schwächsten ihrer Glieder verfährt". 

 

Info: https://www.facebook.com/alexshylow

 

Alex Shylow live im Ost West Club Meran
Alex Shylow live im Ost West Club Meran: Der Singer/Songwriter Alex Favalli stellte dem hiesigen Publikum sein neues Album „Reflecitve Constitutions“ am 11. September 2021, auf der Bühne vor. Foto: Karlheinz Sollbauer