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SPÖ: neuer Chef und viel Passion

Wochenlang gab es nur Schlagzeilen über Führungskrise, Grabenkämpfe und Selbstzerfleischung in der SPÖ. Der Sonderparteitag überraschte mit erfrischendem Kampfgeist.
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Foto: SPÖ
Außergewöhnlich war dieser Linzer Parteitag am Samstag in der wichtigsten Industriestadt Österreichs und roten Hochburg in vielfacher Hinsicht. Weil es erstmals seit 1967 wieder eine „Kampfabstimmung“ zwischen zwei Kandidaten für den Parteivorsitz gab. Damals siegte Bruno Kreisky gegen den Kandidaten der Gewerkschaften und der Wiener Partei Hans Czettel. Die 13jährige „Regentschaft“ des späteren „Sonnenkanzlers“ bescherte der SPÖ ihre Hochblüte und Österreich die Ankunft in der liberalen Moderne sowie großes Ansehen in der Welt.
Seither hat die SPÖ die Hälfte ihrer Wählerschaft verloren – wie die meisten sozialdemokratischen Parteien Europas – sie drückt im Parlament seit fünfeinhalb Jahren die Oppositionsbank und musste letzthin schmerzhafte Stimmenverluste bei drei Landtagswahlen hinnehmen.
 

Pamela Rendi-Wagner unter Dauerbeschuss und abgewählt

 
Obwohl die Ursachen für die Stagnation der SPÖ und den Vertrauensverlust der Wähler:innen komplex und vielschichtig sind, wurde die Verantwortung dafür sowohl innerparteilich als auch in der medialen Öffentlichkeit zunehmend bei der ersten Frau an der Spitze der Sozialdemokraten verortet. Die Medizinerin und Kurzzeit-Gesundheitsministerin hat vor viereinhalb Jahren als Quereinsteigerin in die Politik ihre Funktion in einem Moment der Krise angetreten – weil ihr ebenso quer eingestiegener Vorgänger Christian Kern alles hingeschmissen hatte und weit und breit keine anderen geeigneten Kandidaten oder Kandidatinnen in Sicht waren. Aber wie schon dem erfolgreichen ÖBB-Chef Kern vor ihr, gelang auch der „Pam“ der Umstieg ins Handwerk der Politik trotz Engagement und Standfestigkeit nicht wirklich.
 
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Ex-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner: Mangelnde Authentizität in der Außenkommunikation und fehlende Verankerung im Dickicht des Pateiapparats schwächten ihren Stand.
 
 
Mangelnde Authentizität in der Außenkommunikation und fehlende Verankerung im Dickicht des Pateiapparats schwächten ihren Stand. Zu den lautesten Kritikern Rendi-Wagners gehörte vom ersten Tag an Hans-Peter Doskozil. Zuerst durch Zurufe, „guten Rat“ und „Anregungen“ und dann immer deutlicher mit öffentlichen Querschüssen bis hin zum Rückzug aus den Bundesparteigremien. Jetzt muss der mit knappen 53 Prozent Gewählte zeigen, dass er es besser kann.
 

Doskozil – Polizist, Landeshauptmann, Kanzlerkandidat

 
Hans Peter Doskozil stammt aus der 268 Einwohner zählenden Ortschaft Kroisegg im südlichen Burgenland nahe der ungarischen Grenze. Nach Absolvierung des Bundesgymnasiums und des Militärdienstes wurde der heute 53-Jährige Polizist. Der Karriere-Aufstieg ging Schlag auf Schlag: Spezialisierungsstationen in Polizei und Innenministerium, ein berufsbegleitend abgeschlossenes Magisterstudium der Rechtswissenschaften und Mitarbeit im Kabinett des sozialistischen Landeshauptmanns Nissl machten ihn zum Landespolizeidirektor des Burgenlands.
 
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Neuer SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil: In Fragen Asyl und Migration vom Paulus zum Saulus.​​​​
 
 
Während der Flüchtlingskrise 2015 erlangte der oberste Polizist landesweite Bekanntheit und erntete viel Anerkennung für sein pragmatisches und besonnenes Management bei der Registrierung, Erstversorgung und Weiterleitung zehntausender Geflüchteter an der Grenze. Doskozil wurde sozusagen zum Gesicht in Uniform der – nur kurz anhaltenden - Willkommenskultur-Euphorie in Österreich und wurde schließlich für zwei Jahre als Verteidigungsminister nach Wien geholt. 2019 folgte Doskozil Hans Nissl als Landeshauptmann Burgenlands und regierte ein Jahr mit der FPÖ, 2020 errang die SPÖ die absolute Mehrheit und Alleinregierung, die Freiheitlichen verloren ein Drittel ihrer Stimmen. Seither hat Doskozil den Nimbus des FPÖ-Bezwingers.
 

Mehr Sozialstaat, aber harter Kurs bei Migration

 
Schon in seiner Zeit als Verteidigungsminister vollzog Doskozil in Fragen Asyl und Migration eine 180-Grad-Wende, eine „Rückwärts- Bekehrung“, also vom Paulus zum Saulus sozusagen. Besonders übereifrig kündigte er im Sommer 2017 - im Wahlkampf gegen Sebastian Kurz - den Einsatz von Panzern und die Entsendung von 750 Soldaten an den Brenner zu Grenzkontrollen an – „das Material ist schon unterwegs“. Kanzler Kern musste seinen Minister zurückpfeifen, Landeshauptmann Kompatscher beruhigen und die heftige diplomatische Verstimmung mit Rom und Brüssel ausbaden. Schotten dicht, Kooperation mit Ungarn und auch keine Kinder aus dem griechischen Flüchtlingslager Moria aufnehmen, Österreich habe schon genug geleistet, ist Doskozil überzeugt.
Besonders übereifrig kündigte er im Sommer 2017 - im Wahlkampf gegen Sebastian Kurz - den Einsatz von Panzern und die Entsendung von 750 Soldaten an den Brenner zu Grenzkontrollen an – „das Material ist schon unterwegs“.
Seinen Ruf als Vorreiter des rechten Flügels in der SPÖ verdankt Doskozil auch seinen bremsend-konservativen Positionen etwa bei Recht und Ordnung, Klimaschutz oder Frauengleichstellung. Dezidiert links hingegen ist seine Sozialpolitik auf Landesebene:  gesetzlich verfügter Mindestlohn für alle Landesbediensteten, ein Angestellten-Status für Menschen, die ihre Angehörigen zuhause pflegen, Verbot von profitorientierten Privatisierungen im Sanitätswesen, großzügige Förderung für Wohnungseigentum und zur Abfederung der hohen Energiepreise. Aber auch die Verpflichtung für Medizinstudenten, nach Abschluss des Studiums einige Jahre als Kassenärzte in Österreich zu arbeiten fordert Doskozil. Der Staat müsse stärker regulierend eingreifen, im Interesse der kleinen Leute.
 

Pragmatischer „Macher“ gegen linken Volkstribun Babler

 
Im Kampf um die Stimmen der rund sechshundert Delegierten am Linzer Parteitag standen sich dementsprechend zwei grundsätzlich verschiedene Kandidaten gegenüber. Doskozil pries sein Burgenland-Modell als Königsweg an, um das Vertrauen der Wähler:innen wieder zu gewinnen: ein paternalistischer Staat, der die Sorgen der niedrigen sozialen Schichten und des Mittelstandes ernst nimmt und diese beschützt. Das Wichtigste sei, dass die SPÖ ihre „schönen Slogans“ und Programme nicht nur plakatiere und verspreche, sondern sie auch konkret umsetze. Vorgetragen hat Doskozil seine Vorstellungen unaufgeregt und zwangsläufig leise, denn seine Stimme bleibt auch nach einem halben Dutzend Operationen aufgrund einer seltenen Erkrankung der Knorpelstruktur des Kehlkopfgerüstsschwach und krächzend.
 
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Newcomer Andreas Babler: Seine fast einstündige Rede war laut deklamierte Emotion pur.
 
 
Ganz anders Andreas Babler. Seine fast einstündige Rede war laut deklamierte Emotion pur. Eine fahrig-erregte Philippika gegen sämtliche Missstände, Ungerechtigkeiten, Unmenschlichkeiten und Zukunftsgefahren unserer globalisierten kapitalistischen Welt. Seine wirtschaftspolitisch-sozialen Forderungen sind zwar größtenteils deckungsgleich mit jenen Doskozils und im derzeitigen SPÖ-Programm schon verankert, aber eben ein Stück radikaler: höhere Löhne, leistbares Wohnen, Armutsbekämpfung, gegen die Zwei-Klassenmedizin, garantierte Bildung, Vermögens- und Millionärssteuer, Abschöpfung der Milliardengewinne der großen Multis, Frauengleichberechtigung und humaner Umgang mit Geflüchteten. Aber Babler sieht im Unterschied zu Doskozil einzig und allein im Kampf der Entrechteten den Weg in eine bessere Zukunft. Volksnähe, Basisdemokratie und Besinnung auf die Werte der 130 Jahre alten Sozialdemokratie haben den außergewöhnlichen Bürgermeister einer Kleinstadt  in die erste Reihe der Bundespolitik katapultiert.
 

„Völker, hört die Signale!“

 
Wie schon sein Großvater und sein Vater arbeitete der heute 50-jährige Babler als Maschinenschlosser in den Semperitwerken von Traiskirchen südlich von Wien und studierte auf dem zweiten Bildungsweg politische Kommunikation. In der sozialistischen Jugend stieg er bis zum Bundessekretär und zum Vizepräsidenten der sozialistischen Weltjugendinternationale auf, seit 2014 ist er Bürgermeister von Traiskirchen mit zweimaligen Stimmenerfolgen von mehr als 70 Prozent. Sein engagiertes und gelungenes Management des größten Erstaufnahmezentrums mit tausenden Flüchtlingen machte ihn österreichweit bekannt.
 
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Andreas Babler und Hans Peter Doskozil: Zur Überwindung der Gräben wird es Zeit brauchen.
 
 
Als vor drei Monaten im SPÖ-Führungsstreit Doskozil eine Mitgliederbefragung erzwang, kandidierte Babler spontan als Außenseiter und sorgte für ein kleines politisches Wunder. In nur 8 Wochen gelang Babler mit einem kleinen Team im Stil der grassroots-Bewegungen durch Basisversammlungen im ganzen Land und eine breitangelegte Social-Media-Kampagne eine erstaunliche Mobilisierung. Jugendliche, Frauen, Gewerkschaftsfunktionäre, von der Partei Enttäuschte und viele Nichtwähler wurden angesprochen und knapp zehntausend (!) neue Mitglieder traten in die Partei ein – nach Jahren des dramatischen Mitgliederschwundes. Bei der Mitgliederbefragung landete Babler mit 31,5 Prozent knapp vor Pamela Rendi-Wagner und nur 2 Prozent hinter Hans Peter Doskozil. Am Parteitag erntete er mit seiner glühenden Rede alle paar Minuten Applaus und fast 47 Prozent der Delegiertenstimmen.
 

Neuer Aufbruch und Spaltung überwinden – gelingt das?

 
Nach Bekanntgabe seines knappen Sieges bat Doskozil seinen Gegenspieler Babler auf die Bühne zu einer symbolischen Aufeinander-Zugehens-Umarmung gebeten. Zur Überwindung der Gräben wird es Zeit brauchen. Die persönlichen Verletzungen und Animositäten zwischen den bei der Mitgliederbefragung zutage getretenen drei in etwa gleich starken Lagern sitzen tief. Und Doskozil wird Babler und seine Mitstreiter großzügig in die Erneuerung der Partei einbeziehen müssen.
 
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SPÖ-Sonderparteitag in Linz: Die Basisvertreter brennen wieder für die Sache brennen, legen sich ins Zeug und sehnen sich nach Einheit.
 
 
Denn sie waren es, die das wirklich Positive der monatelangen Krise bewirkt haben: plötzlich wurde wieder leidenschaftlich über Inhalte und die eigene Positionierung, über Linie und Identität der Sozialdemokratie diskutiert. Und schon die Redebeiträge der Dutzenden Delegierten zum Parteitag haben gezeigt, dass die Basisvertreter wieder für die Sache brennen, sich ins Zeug legen wollen und sich nach Einheit sehnen. Das ist auch der einzige Weg, wenn es gelingen soll, bei der nächsten Nationalratswahl im Herbst 2024 eine neuerliche Koalition zwischen ÖVP und der inzwischen weiter radikalisierten Kickl-FPÖ zu verhindern.
 
 
Lorenz Gallmetzer lebt in Wien, hat lange für den ORF in Paris und Wien gearbeitet und schreibt immer wieder auch für Salto.
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Alberto Stenico Mo., 05.06.2023 - 06:02

Grazie, Lorenz, reportage ampio e, come sempre, molto professionale. Ci aiuta a sapere e capire di più della politica in Austria. Siamo vicini, ma anche così lontani...

Mo., 05.06.2023 - 06:02 Permalink
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Gianguido Piani Mo., 05.06.2023 - 12:17

"Das Wichtigste sei, dass die SPÖ ihre „schönen Slogans“ und Programme nicht nur plakatiere und verspreche, sondern sie auch konkret umsetze."
Qualcuno ha voglia di tradurre l'intero articolo, o i suoi punti essenziali, e spedirlo alla direzione PD a Roma?

Mo., 05.06.2023 - 12:17 Permalink
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Profil für Benutzer △rtim post
△rtim post Di., 06.06.2023 - 07:57

Antwort auf von Gianguido Piani

"Gianguido Piani", der PD freut sich gewiss über ihre persönliche Unterstützung.
Eine Sprachübersetzung: "Premio SG Private Banking Lugano per i migliori risultati in Inglese e Tedesco.
Conoscenze linguistiche: italiano (madrelingua) – inglese (avanzato), francese, tedesco (autonomo)" (vgl. Lebenslauf 2022) braucht Elly Schlein schon mal nicht. Vorbildlich. Man stelle sich das in Südtirol vor.

Di., 06.06.2023 - 07:57 Permalink