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Weite Wege in die Freiheit

Christa Kofler hat die Erinnerungen von Joyce Lussu an die "Resistenza" ins Deutsche übersetzt. Am Rande ist sie dabei auch Claus Gatterer und Alexander Langer begegnet.
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Foto: Museo Lusso Armungia

salto.bz: "Weite Wege in die Freiheit" nennt sich das Buch der kämpferischen Schriftstellerin und Übersetzerin Joyce Lussu, welches Sie für den Mandelbaum Verlag ins Deutsche übersetzt haben. Wie weit war der Weg bis zum Erscheinen des Buches?

Christa Kofler: Der Weg war rückblickend nun doch ziemlich lang. Er begann vor etwa über 15 Jahren mit dem Zufallsfund eines Exemplars von Joyce Lussus Fronti e frontiere – so der Originaltitel – in einer Buchhandlung, vermutlich in Bologna. Er führte dann einige Jahre später über eine Kontaktaufnahme mit Joyce Lussus Sohn und Erben, Giovanni Lussu, zu einer Übersetzung der mir vorliegenden Version des Buches. Im Laufe von ergänzenden Recherchen wurde aber klar, dass ein bereits 1945 erschienener „Urtext“ von weit größerem Umfang existierte. Daraufhin beschloss ich ab 2015 einen Neustart des Projektes, das schließlich durch eine glückliche Zusammenarbeit mit dem Mandelbaum Verlag heuer zum Abschluss gebracht werden konnte. 

 

Joyce Lussu war eine große Kämpferin gegen Mussolinis Faschismus. Warum hat man ihre Leistungen nach 1945 lange nicht beachtet?

Diese Frage ist etwas schwierig zu beantworten. Einerseits gilt es zu bedenken, dass, im Vergleich zur bewaffneten Resistenza von 1943 bis 1945, der jahre- bis jahrzehntelange Antifaschismus der italienischen Opposition im Exil, darunter auch die 1929 gegründete Bewegung von Giustizia e Libertà, der Joyce Lussu in Frankreich angehörte, in der öffentlichen Wahrnehmung und Wertschätzung bis heute eine relativ untergeordnete Rolle spielt. Andererseits ist es auch eine Tatsache, dass ein Engagement von Frauen damals wie heute weniger Aufmerksamkeit erfährt als das ihrer männlichen Mitstreiter.

Es blieb uns keine andere Wahl, als fortzugehen, wie alle anderen auch. Und da es seit mehreren Tagen weder Züge noch sonstige Transportmittel mehr gab, machten Lussu und ich uns zu Fuß auf den Weg, so wie wir waren. Wir ließen auch unsere liebgewonnene Wohnung, deren Fenster im Grün der Platanen so schön geschimmert hatten, einfach im Stich.
[Joyce Lussu]

Gewiss stand Joyce Lussu häufig im Schatten ihres Mannes Emilio Lussu. Ohne sie wäre wohl in seiner Biografie vieles anders verlaufen…

Joyce Lussu sah sich tatsächlich erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges „im Schatten einer großen Eiche“ stehend, als Emilio Lussu seine parlamentarische Karriere wieder aufnahm und sie sich nun als Gattin eines prominenten Politikers in eine nachrangige Position gedrängt sah, der sie dann auch so rasch wie möglich entfloh. Klarerweise hat die Verbindung mit dem über zwanzig Jahre jüngeren „Mädchen aus gutem Haus“ auf Emilio Lussus Privatleben entscheidende Einfluss gehabt. Ob seine politische Biografie ohne sie sehr viel anders verlaufen wäre, wage ich zu bezweifeln. Durch ihn selbst verbürgt ist aber, dass er während seiner Aktivitäten im Untergrund mit einer starken, sprachgewandten und unerschrockenen Partnerin an seiner Seite so manchen Hindernissen und Gefahren souveräner entkommen konnte. 

Claus Gatterer hat mehrere Bücher von Emilio Lussu übersetzt und es gibt einen freundschaftlichen Briefwechsel. Gab es auch Kontakte zu Joyce Lussu? Beide haben ja übersetzt und bauten Brücken in andere Kulturräume…

Kontakte privater und familiärer Natur gab es, das geht aus Briefen von Emilio Lussu an Claus Gatterer hervor. Inwieweit ihrer beider Arbeit davon beeinflusst wurde, kann ich aufgrund bisher fehlender Unterlagen dazu aber leider nicht sagen. Da noch mehrere Lebensabschnitte von Joyce Lussu nur sehr fragmentarisch erforscht sind, ist es durchaus möglich, dass in Archiven weitere Entdeckungen zu machen sind. 

  

Als Dokumentenfälscherin und Fluchthelferin hat sich Joyce Lussu auch auf illegalem Wege durchgeschlagen. Wie beschreibt sie ihre gesetzeswidrigen Handlungen, die anderseits große Haltung manifestieren?

Um sich selbst und anderen das Überleben zu garantieren, war es für Joyce Lussu schlichtweg ein Gesetz der Notwendigkeit, gegen die von Faschisten und Nationalsozialisten vorgegebene Legalität zu agieren. Da gab es für sie keinerlei Bedenken, die Moral stand ganz auf ihrer Seite. 

Sie kämpfte für eine bessere und gerechtere Welt, gegen Militarismus, Faschismus und Kolonialismus, für eine umfassende Gleichberechtigung der Frauen, für eine lebenswerte Umwelt und gegen politische Indifferenz.

Joyce Lussu war auch eine Wegbereiterin "Grüner Ideen" in Italien. Was weiß man dazu?

Ich würde sie lieber als frühe Mitstreiterin der grünen Bewegung in Italien bezeichnen. Es fehlt diesbezüglich noch einiges an Material, um genauer darüber Auskunft zu geben. Sicher ist, dass sie über ihre Freundin, die Schriftstellerin und Feministin Nives Fedrigotti Kontakt zum Umfeld von Alexander Langer hatte und im hohen Alter mindestens zweimal für die Verdi bei Regionalwahlen kandidierte. 

Wie hat das aristokratische Umfeld das Heranwachsen der jungen Joyce geprägt?

Das aristokratische Umfeld spielte in Joyce Lussus Erziehung und späterem Selbstverständnis wohl eine eher untergeordnete Rolle, denn beide Elternteile hatten sich ideologisch von ihren jeweiligen Familien (Salvadori Paleotti und Galletti di Cadillhac) losgesagt und man lebte mit den drei Kindern Gladys, Max und Joyce unter recht bescheidenen Verhältnissen erst in Florenz und nach der Flucht ins Exil ab 1924 in der Schweiz. Zu der in der Nähe von Fermo in den Marken lebenden Verwandtschaft blieb man – bei Wahrung kritischer Distanz – jedoch stets in Kontakt.  


Für was kämpfte Joyce Lussu? Was verabscheute sie?

Joyce Lussu lebte und kämpfte für Werte, die ihr schon in ihrem Elternhaus vermittelt worden waren: für eine bessere und gerechtere Welt, gegen Militarismus, Faschismus und Kolonialismus, für eine umfassende Gleichberechtigung der Frauen, für eine lebenswerte Umwelt und gegen politische Indifferenz.

Sie haben neben Ihrer Übersetzung auch ausführliche Informationen zum Inhalt geliefert...

Ja, mir war schon wichtig, zum Text von Joyce Lussu noch ein paar Informationen zu liefern, die eine historische Einordnung von Ereignissen und handelnden Personen, soweit ich sie recherchieren konnte, zulassen und vertiefen sollen.