Film | SALTO Weekend

Lou Reed und die Toiletten von Tokio

Wim Wenders hat neben seiner Dokumentation „Anselm“ 2023 noch einen Film gedreht. „Perfect Days“ ist eine meditative Liebeserklärung an die kleinen Dinge im Leben.
Perfect Days
Foto: Wenders
  • Hirayama (großartig: Kōji Yakusho) arbeitet als Toilettenputzer in Tokio, tut dies mit einer gewissen Hingabe und folgt einem Tagesablauf, der sich selten ändert. Am Morgen erwacht er beim Geräusch des Besens, der in den Händen eines anderen den Bürgersteig draußen vor dem Haus fegt. Dann steht er auf, besprüht seine Pflänzchen mit Wasser und putzt sich die Zähne. Er zieht sich an und tritt aus dem Haus, blickt in den Himmel und lächelt. Bevor er in den Wagen steigt, kauft er sich an einem Automaten ein Getränk. Dann fährt er los und hört auf dem Weg zur Arbeit Musik. Bei den öffentlichen Toiletten angekommen, verrichtet Hirayama seine Arbeit gewissenhaft. Ist er damit fertig, geht er etwas essen, ehe er wieder nach Hause fährt. Dort gibt es nicht viel zu tun, ein bisschen lesen vielleicht, ehe sich der Japaner schlafen legt.

  • Wim Wenders auf den Spuren von Ozu

    Regisseur Wenders hat noch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er ein großer Freund der Filme von Ozu Yasujirō ist. Er hat dem japanischen Meister sogar eine ganze Doku gewidmet, siehe Toyko-Ga aus dem Jahr 1985. Was Wenders wohl am meisten fasziniert, ist die Darstellung der japanischen Gesellschaft, und wie sie sich über die Jahrzehnte hinweg verändert hat. In Perfect Days zeigt er in diesem Sinne einen winzigen Ausschnitt dieser heutigen, modernen Gesellschaft. Es ist der Protagonist Hirayama, durch dessen Augen wir das moderne Tokio beobachten. Und diese Beobachtung ist Handlung genug. Wenders und sein Co-Autor Takuma Takasaki halten sich nicht groß mit einer klassischen Filmerzählung auf, verzichten auf einen Spannungsbogen, sondern huldigen lieber den kleinen, poetischen Augenblicken eines auf den ersten Blick gewöhnlichen Lebens. So sind es Sonnenstrahlen, das Rauschen der Blätter im Park, die kurzen Begegnungen mit den Menschen, die jene Toiletten, die von Hirayama gereinigt werden, nur Sekunden danach wieder benutzen, die Sorgen seines jugendlichen Mitarbeiters, die Tränen einer frustrierten jungen Frau, das Klicken des Fotoapparats, die freundschaftliche Geste eines Imbissbesitzers, das unverhoffte Wiedersehen mit einer Verwandten.

  • Foto: Wenders
  • Modern trifft analog

    Perfect Days ist ein Film, der das Moderne immer wieder in den Vordergrund rückt. So sind allein die Toiletten, die Hirayama putzt, ein Hingucker. Einerseits aufgrund ihrer Designs, die nichts mit den trostlosen, stillen Örtchen hierzulande zu tun haben, andererseits aufgrund ihrer vielen technischen Funktionen, die sie für europäische Gewohnheiten nahezu futuristisch wirken lassen. Auch die Smartphones seiner (jungen) Mitmenschen samt Musik-Streaming sind Hirayama fremd. Lieber hört er seine Kassetten, am liebsten im Auto auf den Fahrten zur Arbeit. Da geben sich Lou Reed, die Animals, die Stones und nicht zuletzt Patti Smith die Klinke in die Hand. Wenders gelingt es, diese Lieder wunderbar passend und stimmungsvoll zu integrieren. Sie verkommen nicht zum Selbstzweck, sondern kommentieren das Geschehen. Denn genau das tut Hirayama selbst nur selten. Den Großteil des Films über schweigt er lieber, sodass sich manche seiner Mitmenschen fragen, ob er überhaupt eine Stimme hat. Er schweigt und beobachtet, und erwischt ihn ein besonderer Augenblick, schwelgt er darin. Der Film fordert auch sein Publikum auf, das große Ganze immer wieder aus dem Blick zu verlieren und sich die Details bewusst zu machen.

  • Feeling Good

    Woher Hirayama kommt, welchen Hintergrund er hat, was er in seinem Leben erlebt hat und was ihn antreibt, erfahren wir nicht. Das tut dem Film gut und gibt ihm eine Leichtigkeit, die besonders dann zum Tragen kommt, wenn dann doch mal ein Detail aus seiner Vergangenheit durchsickert. Dann beginnen wir, uns Fragen zu stellen. Diesen Mann genauer zu betrachten, ihn, den wir bis hierhin einfach als Hauptfigur angenommen haben. Aber wer ist er wirklich? 

    Er ist einer jener Menschen, die sich den Blick für die kleinen und schönen Dinge im Leben bewahrt haben. Einer, der sich nur schwer aus der Bahn werfen lässt, und sollte es dennoch geschehen, nur wenig braucht, um sich seines Glücks auf Erden bewusst zu werden. Hirayama ist in dieser Hinsicht ein Vorbild für uns alle. Bündelt er all seine Kraft, ist er ganz er selbst, ist einer unter Millionen, die Tokio bewohnen, ist bescheiden und daher zufrieden. Jeden Tag aufs Neue. Oder, um es mit Nina Simone zu sagen:

    It's a new dawn

    It's a new day

    It's a new life for me, yeah

    And I'm feeling good

  • (c) Wenders

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Salto User
bernauerin Mo., 22.01.2024 - 19:46

Vielen Dank für den Artikel zum Film. Ich teile nicht alle Ihre Einschätzungen, besonders nicht die Gleichschaltung der kleinen täglichen Erlebnisse und dann des unerwarteten Besuchs der Nichte. Das ist eine ganz andere Größenordnung und löst Emotionen aus, die zuvor im Film keinen Platz hatten. Es ist fraglich, ob hier ausschließlich von Leichtigkeit gesprochen werden kann. Dass man über die Vergangenheit Hirayamas nichts erführe, stimmt ebenfalls nicht. Da ist der große Bereich der Interpretation geöffnet...
Abgesehen von diesen Aspekten der Interpretation möchte ich Sie jedoch darauf aufmerksam machen, dass Sie Ihre Artikel doch sorgfältiger verfassen müssen. Mich stören zwei wirklich gravierende Fehler: Einerseits aufgrund ihres Designs, das nichts mit den trostlosen, stillen Örtchen hierzulande zu tun haben - das zu tun haben??? Und:Dann beginnen wir uns, Fragen zu stellen. Wir beginnen uns??? Oder: Wir beginnen, uns Fragen zu stellen...
Ich denke, wenn Sie einen anspruchsvollen Artikel verfassen wollen - und das scheint der Fall zu sein -, dann müssen Sie sorgfältig mit der Sprache umgehen
Kritisch - solidarische Grüße
Barbara Holzapfel

Mo., 22.01.2024 - 19:46 Permalink