Kultur | Frauen* auf Bühnen

Keine Rampensäue?

Es ist ein weltweites Phänomen: Frauen sind auf den Musikbühnen dieser Welt unterrepräsentiert.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Musiker*innen auf der Bühne
Foto: Foto von David Yu: (pexels)
  • Eine vom Streaming-Giganten „Spotify“ in Auftrag gegebene Studie zur Inklusion in den Plattenstudios untersucht die „Billboard Hot 100 Year End Charts“ von 2012 bis 2022 und berichtete von einer Quote weiblicher Interpretinnen von 21,8%. Der Rest: Männer. Bei den Personen, die die Songs geschrieben haben, lag der Anteil sogar bei schwachen 12,7%. Und wie ist die Situation in Südtirol? Eine Bestandsaufnahme und zaghaft positive Zukunftsausblicke.

    Das Thema „Frauenrepräsentation in der Musikszene“ ist ein derart weites Feld, dass es bereits eingangs eingegrenzt werden sollte - und zwar auf die Musik-Genres - die unter den jungen Menschen in Südtirol (und der Welt) am beliebtesten sind. Die Erfahrungen des Teams des Kollektivs „GÖR“ bestätigen die These von der Unterrepräsentation der Frauen in der Musikszene, sie waren sogar der Anstoß für die Gründung des Kollektivs. Eine Wahrnehmung, die sich durch empirische Daten belegen lässt - wenn sie denn erhoben werden:

  • Das Kollektiv GÖR (ehem. „Görentanz“) ist eine Initiative, welche Workshops organisiert, die speziell auf FLINTA* abzielen. Dies schafft eine inklusive Umgebung, in der individuelle Fähigkeiten entfaltet und die Leidenschaft für elektronische Musik entwickelt werden kann. Zusätzlich organisiert das Kollektiv Events mit ausgewogenen Lineups. Das Ziel, dem es sich aktiv widmet, ist nicht, Veranstaltungen zu kreieren, bei denen keine Männer auftreten, sondern vielmehr eine gemeinsame und ausgewogene Förderung von Vielfalt in der elektronischen Musikszene. Es ist nicht nur eine Frage der Sichtbarkeit, sondern auch der Vorbildwirkung, wie die Initiatorinnen erklären: „Wir setzen uns dafür ein, dass Frauen andere Frauen in Aktion sehen und dadurch erkennen können: Schau, das kann ich auch!“

  • Südtirolweit gibt es keine Statistiken oder Studien zur Geschlechterverteilung in der Musikszene. Allerdings gibt es im deutschsprachigen Raum durchaus eine repräsentative Studie aus dem Jahr 2022: und zwar untersuchte die MaLisa-Stiftung die Geschlechterverteilung bei den Urheber*innen der Songtitel in den Top 100 Single-Charts, die bei der GEMA angemeldeten Werke und die Geschlechterverteilung auf 15 verschiedenen Festivalbühnen (letztere unter Einbeziehung des Jahres 2022). Alle untersuchten Bereiche erwiesen sich in hohem Maße als männlich dominiert. Lobenswerte Ausnahme, wie auch von Anna Groß beim Treffen der Südtiroler Festivalorganisator*innen 2023 in ihrem Vortrag zu „Gender in Music“ feststellte: die kleinen bis mittelgroßen Festivals in Deutschland, die es auf bis zu 29% Frauenanteil schafften.

  • Veränderungen im Geschlechterverhältnis bei Festivals in den letzten Jahren: Die Statistik von femalepressure.wordpress.com zeigt anschaulich, dass sich der Trend hin zu einer stärkeren Beteiligung von Frauen in der Festivalszene bewegt – wenngleich noch Luft nach oben ist. Grafik: femalepressure.wordpress.com Foto: Grafik: femalepressure.wordpress.com
  • Italienische Studie entlarvt Sexismus in der Musikszene

    In Italien wurde 2021 mit der Organisation Equaly als Vertretung von Frauen im Musikbusiness eine wichtige Plattform geschaffen, die auch gleich die erste italienische Untersuchung zur Geschlechter(un)gerechtigkeit in der Musikszene durchgeführt hat. Das Ergebnis spiegelt sowohl die Verhältnisse in anderen Berufen (Gender Pay Gap, weniger Frauen in Führungspositionen im Musikbusiness allgemein) als auch die von Groß beschriebene Situation in Deutschland wider: der Frauenanteil bei Sängerinnen und Songschreiberinnen liegt zwischen 10 und 15%. Allerdings hat Equaly einen weiteren Missstand festgestellt, der nicht nur die Beschäftigungssituation und den Umsatz der Musikerinnen betrifft: 

    Frauen sind in der Musikszene häufig mit Anfeindungen, Sexismus und Bloßstellung konfrontiert. Männer sind wesentlich seltener davon betroffen. 

    Der Fragebogen ist übrigens noch aktiv und kann hier anonym ausgefüllt werden.

    Die herrschenden patriarchalen Strukturen, die sich durch alle Gesellschaftsbereiche ziehen, sind sicher mit ein Grund für die geringe Vertretung von Frauen auch in der Südtiroler Musikszene. Dem stimmen Judith, Miriam und Veronika von GÖR zu, die auf die Frage, ob es vielleicht auch anerzogen ist, dass Frauen sich zurückhalten und weniger Raum einnehmen wollen, entgegnen:

    „Absolut, ja! Erziehungsfragen spielten eine grundlegende Rolle, da traditionelle Geschlechterstereotypen oft von klein auf vermittelt werden. Wie z. B. Jungen, dass sie bestimmte Attribute wie ‚groß‘ und ‚stark‘ verkörpern sollten, während Mädchen oft auf äußere Merkmale wie ‚hübsches Aussehen‘ reduziert werden. Solche Erziehungsnormen prägen das Verhalten von Mädchen und Jungen und beeinflussen ihre Selbstwahrnehmung sowie ihre Neigung, sich in bestimmten Situationen zurückzuhalten. Es ist wichtig, diese erzieherischen Einflüsse zu erkennen und aktiv daran zu arbeiten, eine Erziehung zu fördern, die Mädchen und Jungen gleichermaßen ermutigt, selbstbewusst und selbstbestimmt aufzutreten.“

  • „Nicht nur eine Frage der Sichtbarkeit, sondern auch der Vorbildwirkung.“ – Die drei Organisatorinnen von GÖR v.l.n.r.: Miriam Pernter, Judith Daporta und Veronika Gantioler. Foto: Kollektiv GÖR Foto: Foto: Kollektiv GÖR
  • Weibliche DJs auf dem Vormarsch

    Nun ist allgemein bekannt, dass junge Menschen sich weniger gern belehren als durch Vorbilder auf Wege hinweisen lassen. Fehlen diese Vorbilder in der Musikszene für Mädchen? Auch hier gibt es zwar noch viel Luft nach oben, aber Hoffnung liefert das Genre der elektronischen Musik: international gibt es einige Frauen unter den am höchsten gerankten DJs, und wenngleich auf lokaler Ebene noch kaum weibliche DJs aktiv sind, stellen die Frauen von GÖR eine positive Veränderung in den vergangenen Jahren fest: „Besonders erfreulich ist die zunehmende Beteiligung von Frauen an DJ-Workshops. Dies deutet darauf hin, dass sich mehr Frauen für den Bereich der elektronischen Musik interessieren und aktiv daran teilnehmen, was einen vielversprechenden Schritt in Richtung einer vielfältigeren Musikszene darstellt.“

  • „Freundlichkeit allein reicht oft nicht aus“

    „Wir sollten uns fragen: Wer organisiert eigentlich elektronische Musikveranstaltungen? Wie vielfältig sind unsere Kollektive? Die Antwort darauf sollte sich in verschiedenen Aspekten manifestieren, einschließlich der Zusammenstellung von Lineups. In der lokalen Szene stechen die vielen männerdominierten Lineups klar hervor. Wobei Kollektive zunehmend dazu tendieren, ihren Fokus auf eine ausgewogene Selektion der Künstler*innen zu legen. Das Hervortreten aus der Komfortzone, aktive Beteiligung und der Mut, die eigene Meinung klar zu äußern, sind essenziell, besonders für Frauen. Dabei reicht Freundlichkeit allein oft nicht aus.“

    Auf internationaler Ebene gibt es anschauliche Erhebungen zu dem Thema, z.B. von der Plattform „Femalepressure“, die einen Aufwärtstrend bei Musikerinnen, die auf Festivals vertreten sind, feststellt (siehe Abb. 2): von 9% im Jahr 2012 stieg der Frauenanteil 2021 auf 28%. Zählt man nicht-binäre und agender Musiker*innen dazu, sind es 33%. Allerdings geht auch hier noch mehr. Und je mehr Vorbilder junge Frauen haben, umso schneller (und leichter) geht es voran.

    Solche Vorbilder sowie praktische Einblicke können Musik Camps und andere Angebote speziell für FLINTA*-Personen sein, bei denen sie sich entgegen Geschlechterstereotype und -erwartungen sowie Sexismen ausprobieren dürfen. 

  • FLINTA*:

    Der Begriff FLINTA* kommt aus dem queerfeministischen Bereich und ist ein Akronym für Frauen, Lesben, inter*, non-binary, trans* und agender Personen. Das Akronym soll Personen zusammenfassen, die im Patriarchat diskriminiert werden. Das Sternchen weist auf die Konstruiertheit von Geschlecht hin und schließt jene Personen mit ein, die dieser Gruppe angehören, aber eventuell nicht aufgezählt wurden. 

  • Ein Beispiel dafür bietet das Pink Noise Camp: eine Musik- und Bandprojektwoche für Mädchen, Frauen, trans*, inter- und nicht-binäre Personen mit dem Ziel andere musikbegeisterte Jugendliche kennen zu lernen, eine Band zu gründen, gemeinsam Songs zu schreiben, Workshops rund ums Musikmachen zu besuchen und sich selbstsicher auf der Bühne zu bewegen.

    Solche Initiativen könnten einen notwendigen Schritt in Richtung einer inklusiveren und geschlechtergerechteren Bühnenlandschaft darstellen, in der die Vielfalt musikalischer Talente repräsentiert wird. Es liegt an uns allen, solche praxisorientierte Ansätze zu fördern und aktiv an Veränderungen mitzuwirken. Eine breitere Repräsentation schafft eine kulturelle Landschaft, die individuelle Potenziale unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Identität anerkennt und unterstützt.

    Bettina Conci

  • Fußnote:

    Im Verlauf dieses Artikels wird vorwiegend von Frauen und Männern bzw. Mädchen und Jungs gesprochen. Dies geschieht nicht, weil wir die Vorstellung unterstützen, dass es nur zwei Geschlechter gibt, sondern weil sich die meisten der genannten Daten, Statistiken und Aussagen, sich auf diese Einteilung beziehen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass es jenseits dieser binären Einteilung eine Vielzahl von Geschlechtsidentitäten gibt, die in den existierenden gesellschaftlichen Strukturen oft nicht ausreichend repräsentiert werden.