Film | Filmrezension

0 Bock auf Essen

In den „Club Zero“ will man nicht. Ein Thriller zu Jugendlichen mit Essstörungen und Fragen der Verantwortung trifft im Nachgespräch auf Fachkompetenz. Traurig aktuell.
Club Zero
Foto:  Jessica Hausner
  • In der Reihe „Female Views“ im Bozner Filmclub ist morgen ab 20 Uhr im englischen Originalton und mit deutschen Untertiteln der Film „Club Zero“ der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner zu sehen. In 109 Minuten soll es darin, bevor Psychologin für Essstörungen Elke Kalser (Forum Prävention) zum Publikumsgespräch in den Saal kommt, um ein für viele heiliges, für andere leidvolles Thema gehen, nämlich um Essen und den zusehends radikaleren (und aus Publikumssicht so schwerer mit anzusehenden) Verzicht darauf. 

    Unser Setting für diese Abwärts-Spirale ist die Parallelwelt einer exklusiven Privatschule. Die Protagonist:innen sind fast ausschließlich die Kinder wohlhabender Eltern, die wir fast nur am wochenendlichen Esstisch und damit in Konflikt mit den „mindfull eating“ praktizierenden Jugendlichen erleben. Sie sind neben dem Akt des Essens, um den es indirekt ständig geht, die großen Abwesenden des Films, was bei einigen die für einen Spannung aufbauenden Film so essenzielle Aussetzung der Ungläubigkeit (suspension of disbelief) in Angesicht gefühlter oder tatsächlicher Unstimmigkeiten in der Handlung untergraben könnte. Der Film ist hier klar: Diese Eltern zahlen viel Geld dafür, nicht mit Problemen ihrer Kinder belästigt zu werden.

    Bis die Kinder selbst ein Problem haben: Miss Novak führt die schrumpfende Riege an Hauptdarsteller:innen in die Kunst der bewussten Ernährung ein und das mit zunehmendem religiösem Eifer. Aus tiefer Überzeugung heraus glaubt Novak, nicht Essen zu müssen und dem geheimnisvollen Zero anzugehören. Am realitätsisolierten Internat geht die unheimliche Frau (stark: Mia Wasikowska), die wir im Laufe des Films nie essen sehen, als Vertreterin eines neuen, für die Filmzwecke erfundenen Trends der „bewussten Ernährung“, durch. Dieser soll zu allerlei Vorteilen im Sinne der Selbstoptimierung beitragen, Schönheit, Erfolg und ein reines Gewissen bringen.

    Im Kontext der ersten Unterrichtsstunde organisch verpackt lernen wir im Auftakt des Films kurz und knapp die Motivationen der Kursteilnehmer kennen. Dabei fällt bei nachträglicher Reflexion auf, dass nicht allen Charakteren die gleiche Tiefe gegeben wird. Einige der Figuren eröffnen etwa keinen Blick in die familiären Umstände, der hätte spannend sein können.

  • Club Zero: Gerade die Interaktionen der Jugendlichen untereinander gehören zu den glaubhaftesten Momenten des Films und der fiktive Einblick in Dynamiken des gemeinschaftlichen Wahns bleibt spannend. Foto: Jessica Hausner
  • Was als bewusstes Atmen vor jedem Bissen und Reduktion der Portionen beginnt, verlässt sehr schnell den Rahmen des ernährungswissenschaftlich Haltbaren und geht über in eine Art parareligiösen Wahn. Wir sehen zu, wie Frau Novak als scheußlich charismatische Rattenfängerin die Jugend auf einen Abgrund zuführt. Diese jugendliche Riege hat es im Film auch als Arbeitsplatz schwer, da von ihnen mindestens drei verschiedene Arten des Schauspiels gefragt werden. Ein Jugendlicher verstellt sich sehr häufig und versucht, seine Probleme vor weiten Teilen des Umfelds zu verbergen.

    Das Spiel der Protagonist:innen ist sowohl im Umgang untereinander, als auch mit Miss Novak jeweils ein anderes und jeweils glaubhaft und gut. Im Umgang mit der Familie wirkt es oft ein wenig hölzern, auch weil sie sich gegenüber ihren Eltern verstellen müssen.  Sie sind ausgeschlossen aus einer Welt, in die sie selbst nicht vordringen können. Auf den Vorschlag einer Mutter, selbst eine Zeit lang auf Nahrung zu verzichten, um zu verstehen, erwidert die Tochter, es brauche Glauben. Die Vermählung von religiösen und kulinarischen Motiven gelingt dem Film gut, mit einbezogen sei auch das finale Standbild für den Abspann, das wir natürlich nicht verraten wollen.

    Wenig löst zuverlässig so starke Reaktionen aus wie Essen. So braucht auch eine polarisierende Kritik zu „Club Zero“ wenig wundern auch wenn der Film sicherlich an vielen Stellen nicht perfekt ist. Wer darüber hinwegsehen kann, der findet in den Bildern, Überhöhungen und im Sound des Films in gewisser Weise auch ein Märchen, wenngleich eines der Schauerspielart für Erwachsene. Der Märchenauftrag zu Erziehen bleibt dabei aus meiner Sicht aber erhalten. „Club Zero“ ruft zu mehr Verantwortung auf, im Umgang mit unserer Nahrung, wie auch mit allen Schutzbefohlenen und Hilfsbedürftigen.

    Bei aller grotesken Überspitzung und religiöser Überhöhung im Thriller ist doch sicher: Fast alle machen wir uns zu viel Gedanken zu dem, was wir essen könnten und zu wenig dazu, was wir essen sollten.

  • „Club Zero“ ist morgen, am 17. Jänner, ab 20 Uhr im Filmclub Bozen zu sehen.