Kultur | Salto Afternoon

Kreative Visionen

Gabriel Prenner betreute jene internationale Gruppe, die sich vor kurzem intensiv mit den Gebäuden der Drususkaserne in Schlanders auseinandergesetzt hat. Ein Resümee.
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Foto: Privat

salto.bz: Sie waren der einzige Südtiroler, der beim internationalen Workshop diverser Universitäten in der Drususkaserne in Schlanders teilgenommen hat. Wie sind Sie eigentlich dazu gestoßen und was konnten Sie am Ende vom Aufenthalt in Schlanders mitnehmen?

Gabriel Prenner: Ich war in Schlanders als Betreuer der Studierenden tätig und habe sie über die zwei Wochen begleitet. Die Universität Bologna ist auf mich zugekommen, da ich mich mit dem Areal beschäftige und im Vinschgau bzw. in Südtirol unter den betreffenden Fachleuten gut vernetzt bin. Dass ich der einzige Südtiroler Teilnehmer war, stimmt nicht ganz. Die Architektenkammer hat den Workshop unterstützt: Arch. Walter Angonese, Dekan der Uni Mendrisio, hat die Eröffnung des Workshops begleitet. Arch. Roland Baldi war als Juror bei der Midterms-Veranstaltung dabei. Bei der Finissage waren zahlreiche Vinschger Architekten vor Ort. Unter anderem der Malser Arch. Andreas Flora, Professor an der Uni in Innsbruck. Über die Tage des Workshops waren zudem weitere zahlreiche Helferinnen und Helfer aus Südtirol involviert. An dieser Stelle auch einen Dank an meinen Kollegen Arch. Riccardo Guerri. Unter den Studierenden waren auch mehrere aus dem Vinschgau.
Ich konnte vom Workshop neben den gesammelten Erfahrungen als Tutor für Studierende auch Bestätigung und zusätzliche Motivation mitnehmen. Denn nicht nur Aktivist:innen, sondern auch die Architekturprofessor:innen verschiedenster Universitäten sind sich einig: Wir brauchen ein Umdenken beim Planen mit vorhandener Gebäudesubstanz.
 

 

Weiternutzung der bestehenden Gebäude, Klimakrise, Ressourcenknappheit und hohe Rohstoffkosten... das waren einige Kernthemen beim Workshop. Was macht diesen Ort zu einem guten Experimentierfeld für eine nachhaltige Entwicklung?

Vieles, wo fange ich an? Neben der Lage und der damit verbundenen Funktion eines Zentrums im Tal, das Schlanders erfüllt, sind einige technische Aspekte und einige soziologische spannend, auf welche ich kurz einzugehen versuche.
Was das Bauliche angeht, finden wir in Schlanders eine sehr gute Gebäudesubstanz vor. Das ist nicht bei allen Bauwerken im Bestand der Fall. Die Bauteile, mit hoher Qualität der verwendeten Materialien und hohem Grad an eingesetzter handwerklicher Arbeit, werden heute und in Zukunft so nicht mehr einfach herstellbar sein. Auch ist die Architektur des Ensembles in Schlanders sehr spannend. Denn nachhaltiges Bauen beginnt bei nachhaltiger Architektur. Die in ihrem Stil ästhetischen Gebäude sind beständiger, da sie vom Menschen akzeptiert werden und so weniger vom Totalabbruch gefährdet sind. Ebenfalls nennenswert ist der historische Kontext, der sehr spannend ist. Für eine nachhaltige Entwicklung des Gebäudebestands konkret in Schlanders ist er allerdings eher schädlich – die Kasernen werden mit keinen guten Erinnerungen verknüpft.
 


Was aber hauptsächlich diesen Ort zu einem guten Experimentierfeld macht, ist die derzeitige Besitzer:in des Areals, nämlich die Gemeinde Schlanders. Sie stellt den größten Faktor für mögliche Experimente dar. Denn die öffentliche Hand vertritt keine Privatinteressen, sondern die von Bürger:innen. Hier kann mit einfachen Argumentationen darauf gepocht werden, für das Gemeinwohl zu handeln, was die Studierenden auch tun. Damit gemeint ist einerseits das Planen in Zeiten der aktuellen, allesverändernden Klimakatastrophe und das damit einhergehende notwendige Abwiegen verschiedener Optionen im Hinblick auf ihre Energieintensität und damit ihre klimatischen Auswirkungen – wie mittlerweile ja auch vom Klimaplan der Landesregierung vorgesehen. Das ist dann Sache der Baufachleute.
 


Entscheidend ist auch die zukünftige Nutzung...

Hier gilt neben den externen Faktoren, wie das naheliegende Schulzentrum, vor allem an neuen Konzepten des Zusammenlebens zu arbeiten und Gebäude dementsprechend zu planen. Ein weiteres, einfaches, beispielhaftes Thema: Das leistbare Wohnen, welches sich die Bürger:innen in Schlanders sehr wünschen. In diesem Zusammenhang ist zu unterstreichen, dass ein Neubau schwierig die Preise bieten kann, welche von der Gesellschaft erwartet werden. Ein klug umfunktionierter Bestandsbau hat dort sicherlich seine Vorteile. Hierbei ist langfristig ebenfalls bestimmt nicht hilfreich, dass im letzten Jahr im Gemeinde-Ausschuss die Privatisierung des Areals beschlossenen wurde. Ursprünglich angedacht war ein PPP-Projekt (Public Private Partnership). Diese einmal weggegebene Flächen können in Zukunft nicht mehr in den Besitz der Öffentlichkeit zurückgeholt werden. Das zeigen viele vergleichbare Projekte auf und wurde zwischen den Studierenden ausführlich diskutiert.
 

Sind diese Fragen utopisch? Nein, sie sind berechtigt. Und Antworten darauf werden im Areal der Drususkaserne in Schlanders gefunden.


Ausgehend von dem Kasernenareal ging es auch um eine zukunftsweisende Entwicklung der ganzen Gegend, als Referenzort für Kultur, Wirtschaft und Bildung. Eine Utopie?

Nein, das ist definitiv keine Utopie. Das sehen wir am Beispiel der BASIS, die großartige Arbeit leistet. Deren Vision für gesellschaftliche Entwicklung könnte durch zusätzliche Module ausgebaut werden.
Gegenfrage: Warum gibt es eigentlich im Westen von Bozen, also sei es in Meran, als auch in Schlanders keine universitäre Außenstelle? Sind Einrichtungen für Jungunternehmer:innen zur Genüge vorhanden? Oder muss man hierfür bald mal zwingend in das NOI nach Bozen? Stellt das Kulturhaus Schlanders denn ausreichend Angebot für jede und jeden bereit. Oder werden einige Zielgruppen dort nicht bedient? Sind diese Fragen utopisch? Nein, sie sind berechtigt. Und Antworten darauf werden im Areal der Drususkaserne in Schlanders gefunden.
 


Am letzten Tag wurde auch eine Performance aufgeführt, sowie ein spezielles Gebäck mit dem Motiv des Eingangsportals entworfen und verspeist. Welchen Geschmack haben die beiden doch sehr speziellen Präsentationen beim Publikum hinterlassen?

Kreativität muss entfaltet werden. Kreativität muss befeuert werden. Leider sind den Planerinnen und Planern, vor allem bei öffentlichen Aufträgen, immer – viele – Grenzen gesetzt. Deshalb ist es gut, dass sich zumindest die Studierenden, welche ja in der Ausarbeitung ihrer Ideen keinen konkret finanziellen Druck und Vorgaben vom Auftraggeber haben, inspirieren lassen. Zum Geschmack der Performance: Durch die Vermenschlichung der Baustoffe und Bauteile wurde unser Umgang mit Baudenkmälern thematisiert. Bei genauerer Betrachtung ist diese Arbeit sehr kritisch. Ich denke, das war für alle Beteiligten offensichtlich. 
 


Wie war das Feedback auf die entwickelten Visionen der Studierenden und wie werden Universitäten und Studierende ihre Erfahrungen in Schlanders weiterverarbeiten?

Die Besucher wurden mit den sehr kreativen Visionen abgeholt und in das Gespräch über das Areal entlassen. Das kam gut an. Fiktional wurde der weitere Umgang mit der teilweise abgebrochenen „Palazzina Commando“ aufgearbeitet. Unter den Ideen beispielsweise der Wiederaufbau mit anderen Materialien, sodass die Abbruchkante weiterhin sichtbar bleibt. Hier hat eine Gruppe eine Ziegelfassade nach Vorbild des traditionellen Stadels vorgesehen, ähnlich wie wir es von der Whiskeybrennerei in Glurns kennen. Ein anderer Projektvorschlag beinhaltete einen öffentlichen Park auf der Fläche des abgebrochenen Gebäudeteils mit Aussichtsplattform auf die Talsohle. Auch der zentrale Exerzier-Platz wurde in den Projekten der Studierenden ganz unterschiedlich bespielt: Zwischen treppenartiger Arena, einer Bebauung mit Mehrzweckgebäude oder einer Parzellierung nach Vorbild Moritz Schreber für künftige Bewohnerinnen war viel Spannendes dabei. Ich denke, dass die Studierenden vor allem Verständnis über die Komplexität im Umgang mit Dissonanzen bei Baudenkmälern vermittelt bekommen haben. Hinsichtlich der Berufsethik als angehende Planerinnen und Planer werden sie sich an den Aufenthalt in Schlanders erinnern: „Was ist gesamtheitlich die beste Lösung?“, anstelle „Was bringt kurzfristig am meisten Geld?“. Mit dieser Fragestellung wird die eine oder andere künftige Auftraggeberin sicherlich gut beraten. Vor allem in diesen Zeiten des Wandels.
 


Angeschnitten wurde in Schlanders auch die Thematik „Graue Energie“. Was ist darunter zu verstehen und in welchem Zusammenhang steht die Bezeichnung zum Kasernenareal?

Graue Energie ist der Gesamtenergieaufwand, der einem Bauteil bereits zugeführt wurde. Energie wird nicht nur bei der Herstellung von Baustoffen, sondern auch für die Lagerung und den Transport benötigt. Auch muss die Energie mit einkalkuliert werden, die nötig wäre, um ein Bauteil in den Materialkreislauf zurückzuführen bzw., falls dies nicht möglich ist, es zu entsorgen. Die Energie, die ein Gebäude für die Herstellung benötigt, ist viel größer als beispielsweise die Heizenergie über Jahrzehnte. Man sollte also bedenken, dass bei jedem Abriss diese graue Energie, die bereits aufgewandt wurde, im ungünstigsten Fall einfach auf der Müllkippe landet. Bei der anschließenden Neubebauung wird weiteres CO₂ emittiert, in der Gesamtbilanz ist der CO₂ Abdruck also recht groß. Deshalb ist in Sachen Nachhaltigkeit die wichtigste Bau-Regel: Abriss vermeiden! Dies zu unterstreichen drei Zahlen: Im Gebäudesektor fallen europaweit ca. 40 % der Treibhausgase an, 55% der Abfälle sowie 90 % der Rohstoffe an.

Wie würden Sie ihre persönliche Wunschvorstellung für das Areal formulieren?

Ich wünsche mir, es käme nochmals zu einem Dialog. Das war jedenfalls für mich persönlich eine der großen Motivationen hier mitzuarbeiten. Die Zeiten haben sich radikal geändert, auch in Schlanders. Ein Einlenken dahingehend, dass Pläne aus dem letzten und vorletzten Jahrzehnt nicht mehr zeitgemäß sind, bedeutet für niemanden einen Gesichtsverlust. Vielmehr wäre es ein Zeichen von Sensibilität und Gegenwärtigkeit.