Kunst | Künstlerbund

Bananenschalen der Demokratie

„Invisible Walls“ nennt sich die neue Gruppenschau, die Linnea Streit für den SKB zu Europathemen, sowie zu Grenzgängen an Innen- und Außengrenzen zusammengestellt hat.
Invisible Walls, Stadtgalerie Brixen SKB
Foto: SALTO
  • Auf den ersten Blick ist ganz entsprechend dem Titel, wenn man den Raum der Brixner Stadtgalerie betritt, nicht viel zu sehen. Der Schein trügt auch da man vom Schaufenster und Nebenraum der Galerie die Arbeiten der Luxemburgerin Letizia Romaninis einsehen kann (später mehr dazu). Fern und weit, klein und unscheinbar wie am Rande tritt alles andere in Erscheinung. In gewisser Weise ist das ja auch stimmig, soll es doch bis an den Rand, bis an die Grenze gehen.

    Beim Betreten des Raumes (und beim Verlassen, sowie bei unachtsamer Annäherung) weist eine Stimme uns darauf hin, dass Hannes Egger eine unsichtbare Wand (im Titelbild nicht zu sehen), etwa auf halber Distanz zwischen den beiden Zugängen zur Galerie installiert hat. Wo genau die Lücke ist, lässt der Künstler uns nicht wissen, man muss sich am „Hindernis“ vorbei tasten. Es ist natürlich ein Spiel, wenn eine Gruppe die Galerie betritt, einigt man sich quasi darauf, wo sich die „Tür“ befindet, wir lernen unverkrampft mit einer allzu leichten Grenze und dem Grenzübergang umzugehen.

  • Vorher: Ein goldener Kreis aus Bananenschalen weist in der Galerie Richtung Brüssel. Foto: SALTO

    An die Grenze gelangen wir allerdings nur, wenn wir vorher nicht auf Bananenschalen ausrutschen: In einer senkrecht auf den Boden geworfenen Projektion, die in eben solch einem Kamerawinkel aufgenommen wurde, zeigt uns die estnische Künstlerin Flo Kasearu gelbe Bananenschalen auf blauem Grund. Eine Gruppe von in der Bewegung unscharfen Passant:innen zertrampelt den angedeuteten Sternen-Kreis, der in der Schlaufe immer wieder neu aufgebaut wird. Demokratie hält das aus.

    Auszuhalten gilt es, zu Mal die Länge von knapp 13 Minuten annehmbar ist, die Videoarbeit von Johanna Tinzl und Stefan Flunger, die in einer deutsch- und italienischsprachigen Ausgabe mit jeweiligem Kopfhörer-Paar verfügbar ist. „Dieser Zaun ist europäisch“ heißt das Werk und führt uns entlang von drei Abschnitten mit dem Taxi von der spanisch-marokkanische Grenze zur Stadt Ceuta, halb verstohlen, halb wie einer Touristenführung werden wir mit dem Zaun, seinen Kameras, der Beleuchtung vertraut gemacht.

  • Nachher: Der Sternenkreis, nachdem eine Gruppe von Passant:innen ihn mit Füßen getreten hat. Ausgerutscht ist niemand. Foto: SALTO

    Die Stimme, die uns darüber aufklärt, ist nicht die des Taxifahrers, den wir ab und an im Profil sehen, sondern eine kalte, weibliche Roboterstimme. Das verfremdet den Text in ein durchgängiges, fast menschliches Plaudern mit wenigen Pausen, so als hätte man die eigentliche Unterhaltung eins zu eins, mit allen Mündlichkeitsmarkern, von unvollständigen Sätzen bis zum wiederholten „verstehen Sie?“ transkribiert und die Übersetzung einem Programm überlassen. Der Effekt ist spannend, denn wenngleich der stimmliche Vortrag (allzu) neutral ist, so werden wir doch mit Stereotypen und einem sehr starkvereinfachenden Weltbild konfrontiert. Am Grenzzaun spüren wir einen starken V-Effekt, der uns auch von „die Menschen, dunkelhäutige“ verfremdet.

  • Letizia Romanini: Bilder aus buntem Stroh und einen Kreis aus Totholz bringt die Luxemburgische Künstlerin von ihren Grenzgängen mit. Foto: SALTO
  • Letizia Romaninis Grenzgänge, an der Luxemburgischen Grenze, um genauer zu sein, hinterlassen Zeugnisse ihres Grenzganges an einer deutlich grüneren Front. Ob nun im Sternenkreis aus aufgelesenem Totholz oder in den Bildern aus buntem Stroh, es ist eine der sogenannten grünen und natürlichen Grenzen, die wir begehen. Die ländlichen Motive sind ein spannender Gegenentwurf zum eher städtisch, urban geprägten Grenzzaun am afrikanischen Kontinent und hat so gar nichts Abweisendes oder gar Bedrohliches.

    Auch im kleinen durchsetzt der europäische Gedanke Linnea Streits „Invisible Walls“. Die Kuratorin zeigt gerade hier einen gänzlich anderen Umgang mit dem ihr zur Verfügung gestellten Raum als ihre beiden Kollegen letzthin. Wer noch genauer hinsieht, entdeckt, dass auch der Büchertisch mit Künstlerbüchern aller vertretenen Künstlerbund-Künstler und europäischer Kolleginnen zur Seite gekippte Grenzarchitektur vom Brenner ist und sich in der Wand immer wieder kreisförmige Vertiefungen finden. Treten Sie näher! Es sind die (mit der Zahlseite angefertigten) Abdrücke von Euromünzen, denn auch bei diesen handelt es sich schließlich um europäische Werte, die uns der Künstler Stefan Alber fast unsichtbar im Negativ dalässt.

  • „Invisible Walls“ kann noch bis 6. April besucht werden. Die Brixner Stadtgalerie hat von Dienstag bis Freitag jeweils zwischen 16 und 19 Uhr, sowie samstags zwischen 10 und 13 Uhr geöffnet.

     Und, zur Erinnerung: Europawahl ist am 8. und 9. Juni.