Bühne | Theater

Verwickelte Seilschaften

Vier starke Schauspielerinnen biwakieren als Anna, Kathy, Julia und Laura in der „Steilwand“ und stehen einander beim Aufstieg im Weg. Ein psychologisches Kammerspiel.
Carambolage, Die Steilwand, Alexa Brunner, Brigitte Knapp, Eva Kuen, Doris Pigneter
Foto: tiberio-sorvill
  • Auf der besonders anspruchsvollen Route der Slowenen wollen vier Bergsteigerinnen, gespielt von Alexa Brunner, Brigitte Knapp, Eva Kuen und Doris Pigneter, als erste weibliche Seilschaft den Fitz Roy bezwingen. Wir treffen sie bei unheimlicher Nebelstimmung und sphärischer Musik an und sehen, wie sie sich allmählich aus Schlafsäcken und Dunkelheit schälen, auf einem „massiven“ Felsvorsprung aus Pappe. Die Konstruktion von Andrea Kerner, die auch die funktionalen Kostüme umfasst - man ist schließlich am Berg - zieht alle Register, die auf der Kleinkunstbühne der Carambolage zur Verfügung stehen.

    Die Überraschung für das Publikum gelingt, da das Bühnenbild, das die Füße der Schauspielerinnen knapp über der Augenhöhe der ersten Sitzreihen sieht, bis zum letzten Moment hinter einer Plane versteckt wird. So gehen die Blicke den Abend über stets leicht schräg nach oben, wo gestritten, sich wieder zusammengerauft und gejodelt wird, in einem Bühnen-, Licht- und Klanggewand, das zeigt, dass viel Zeit und Sorgfalt in die Produktion der Carambolage investiert wurden. Regisseur Torsten Schilling inszeniert das Stück von wechselnden weiblichen Freundschaften und Feindschaften, das aus der Feder des Katalanen Jordi Galceran (Deutsche Fassung von Stefanie Gerhold) stammt, auf engem Raum geschickt.

    Dass der den Fitz Roy angemessen vertretende Bühnenraum wenig Bewegung ermöglicht, stört nicht weiter, der immer wieder aufbrausende Dialog hat Witz, unerwartete Wendungen und ein gutes Maß an psychologischem Tiefgang, den die Schauspielerinnen zu vermitteln verstehen. Insbesondere Alexa Brunner als Laura und Brigitte Knapp als Anna tun sich dabei hervor, auch in einem fruchtbaren Zusammenspiel als Rivalinnen über weite Strecken. Die Beziehung unter den Freundinnen landet am Prüfstand als Julia (Dois Pigneter) durch Sprachstörungen und Gleichgewichtsprobleme auffällig wird und Kathy, die „Leiterin der Gruppe“ (Eva Kuen) beschließt, dass eine der Frauen mit Julia absteigen muss. Könnte was folgt auch leicht Gefahr laufen bei Klischees der Stutenbissigkeit zu landen, so umschifft man diese Untiefen mit in Motivation und Gefühlsleben komplexen, glaubhaften Figuren. 

  • Jodldi Jodldei: Auch als jemand, der sich selbst nicht als großen Jodelfan bezeichnen würde, kann ich anerkennen, dass damit auf der Bühne geschickt gearbeitet wird. Foto: Tiberio Sorvillo

    Das Stück nimmt eine unerwartete Wendung nach der anderen, welchen wir hier nicht vorweggreifen wollen, da sie auch gemessen am Publikum für Überraschungen sorgen. Dabei lässt „Die Steilwand“ nie bis zum Gipfel oder hinab ins Tal blicken, lässt die Figuren statt dessen auf der Stelle treten und das Zeitfenster für einen noch möglichen Aufbruch zum Gipfel ständig kleiner werden. Daran erinnert auch Philipp, als Stimme aus dem Walkie-Talkie vom Tal aus immer wieder. Dem Partner von Anna kommt dabei keine aktive Rolle zu, außer vielleicht, dass er indirekt die Solidarität unter den Frauen befeuert, wenn sie sich gegen ihn zusammenrotten. Bewegt man sich auf knapp unter 3000 Metern auch physisch kaum auf sein Ziel zu, so durchlaufen die Figuren einen Wandel und beginnen, ihre Beziehungen zu hinterfragen. Der Pappgranit des Fitz Roy hört geduldig und gleichgültig zu und erhöht den Einsatz: Wem ist der Traum vom Gipfel wieviel wert und darf Frau dafür ihr Leben riskieren?

    Man schenkt sich nichts auf der Bühne, auch nicht das Jodeln: Die musikalische Leitung des Abends überträgt Torsten Schilling an Brigitte Knapp, die ihr Talent im Fach bereits unter Beweis gestellt hat. Als Quartett jodeln die Damen im Streit, in Ehrfurcht vor dem Berg oder auch einfach um die Gruppe zu stärken. Dem Alpinen Gesang kommt auch in den Patagonischen Anden eine tragende - an manchen Stellen sogar erhebende - Rolle zu und es wird ausgiebig und wiederholt gejodelt. Am Ende jodelt man auch als kleine Zugabe, als es für den sowohl spannenden als auch humorvollen Abend, der schauspieltechnisch bis zum Gipfel kommt, anhaltenden und wohlverdienten Premierenapplaus gibt.

  • Die nächste Aufführung von „Die Steilwand“ findet heute Abend um 20 Uhr in der Bozner Carambolage statt. Weitere Aufführungen - jeweils mit Beginn um 20 Uhr - folgen am Samstag 11. Mai, Donnerstag 16. Mai, Freitag 17. Mai (ausverkauft), Samstag 18. Mai, Mittwoch 22. Mai, Donnerstag 23. Mai, sowie Montag 27. Mai und Dienstag 28. Mai. Karten können hier online reserviert werden.