Wirtschaft | Trachtenmode

Die zwei Lederhosenschneider

Norman und Thomas Ventura kleiden Kapellen und Schützen ein. Ihre Manufaktur in Salurn zieht viele Schaulustige an und verrät einiges über Südtirols Geschichte.
Thomas und Norman Ventura
Foto: Seehauserfoto
  • Sie war während dem Faschismus verboten und fristete nach dem Zweiten Weltkrieg ein Nischenimage. Für Thomas und Norman Ventura gehört die Lederhose heute zum Alltag – ein ursprünglich bäuerliches Kleidungsstück mit identitätsstiftendem Charakter für Menschen, die tatsächlich selten auf dem Feld oder im Stall stehen. Das Konzept funktioniert trotzdem oder vielleicht sogar deswegen. 

    „Die Tracht hat nichts mit politischen Richtungen zu tun, sondern sie ist eben unser Gewand.“

    „Trachten werden bei uns bereits seit hunderten Jahren getragen, das gibt einem einen gewissen Halt und Stolz. Das tut einer Gemeinschaft gut. Man hat sie an, wenn es lustig zugeht und man eine feine Zeit hat“, sagt Norman Ventura. Der 33-Jährige hat vor zehn Jahren in Salurn eine Lederhosenmanufaktur gegründet, zwei Jahre später stieg sein Bruder ins Geschäft ein. Heute führen sie unter dem Namen „Amalia Pernter 1896“ in dem Ansitz Liebenstein, in den großen Räumen der ehemaligen Kellerei, eine Schneiderei, ein Trachtengeschäft und ein Restaurant. Damit sind sie die letzte Lederhosenmanufaktur Südtirols. Früher gab es alleine hierzulande sieben Lederhosenmacher. 

  • Das Geschäft: Neben Lederhosen gibt es auch Dirndln und Accessoires im Angebot. Foto: Seehauserfoto

    Zu den Abnehmern zählt Kundschaft aus Trentino-Südtirol, Österreich und Bayern. Ebenso Vereine wie Kappellen, Schützenkompanien, Volkstanzgruppen und Schuhplattler bestellen bei „Amalia Pernter“. „Nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Land bis zu 81 Prozent der Kosten für eine Tracht übernommen, um die Vereine wieder auszustatten“, erklären die Brüder. Auch heute fördert die öffentliche Hand die Trachtenausstattung der Vereine, allerdings mit einem deutlich geringeren Fördersatz.  

    Der Preis einer Lederhose kann bis zu 1.000 Euro betragen, doch das Kleidungsstück ist nicht nur für eine Generation gedacht. Die Tracht hat mittlerweile wieder an Kultstatus gewonnen. Selbst weit gereiste Gäste schlüpfen für Anlässe wie das Münchner Oktoberfest in das traditionelle Gewand. „Das Oktoberfest war ein Sprungbrett für die Lederhose. Selbst Chinesen oder Japaner wissen, was das ist, obwohl es nicht aus ihrem Kulturkreis stammt“, sagt Norman Ventura. 

    In Südtirol steht die Tracht vor allem für Heimatverbundenheit und Authentizität. Nicht nur die Süd-Tiroler Freiheit und Jürgen Wirth Anderlan zeigen sich heute in Lederhose, überraschenderweise trägt sie nun auch der Grüne Jungpolitiker Zeno Oberkofler. „Die Tracht hat nichts mit politischen Richtungen zu tun, sondern sie ist eben unser Gewand. Logisch versuchen dann Parteien, das für sich zu nutzen“, meint der Gründer der Lederhosenmanufaktur in Salurn. „In einer globalisierten Welt schauen alle Leute gleich aus, alle reden Englisch, tragen einen grauen Anzug und sehen aus wie in Brüssel. Deshalb ist die Trachtenmode Ausdruck und Pflege der eigenen Kultur.“

  • Die Schneiderei: Hier wird vormittags genäht, mittlerweile wurden zusätzliche Schneiderinnen angestellt. Foto: Seehauserfoto
  • Der jüngere Bruder, 28 Jahre alt, ergänzt: „Früher haben eher Traditionalisten die Tracht getragen, das hat sich in den letzten 30 Jahren geändert.“ Die Begeisterung komme von den Außwärtigen und schwappe auf die Einheimischen über. Die Idee, die Tracht für das eigene Image zu nutzen, hatte eigentlich die Stadt München bei der Bewerbung der Olympischen Spiele im Jahr 1972. Als die spätere Königin Silvia von Schweden als Olympia-Hostess im Dirndl Schlagzeilen machte, stand dem Erfolg der Marketingstrategie Münchens nichts mehr im Weg. 

    „Würden wir die Gerbung auslassen, würde die Tierhaut hart und starr werden wie Holz.“

    Das wirkt bis heute nach. Das Oktoberfest mit traditioneller Kleiderordnung avancierte zum größten Volksfest weltweit – mit rund sechs Millionen Besucher und Besucherinnen pro Jahr. Sie müssen selbstverständlich eingekleidet werden. Von dem Trachtenboom profitieren deshalb nicht nur die rund 15 verbliebenen Lederhosenmanufaktoren im deutschsprachigen Raum, sondern auch Großunternehmen der Modeindustrie mit weit günstigeren Angeboten im Verkaufsregal. 

  • Amalia Pernter: Im Bild links trägt sie die Jungfrauentracht mit Federhut – diese Kopfbedeckung hat früher eigentlich nur der stärkste Mann im Dorf getragen. Foto: Seehauserfoto

    Norman und Thomas Ventura lassen sich davon nicht sonderlich beeindrucken. Sie setzen auf Qualität und Langlebigkeit. Ihre Manufaktur samt Geschäft und Restaurant haben sie nicht zufällig nach ihrer Ur-Ur-Großmutter benannt. Amalia Pernter, geboren am 10. Jänner 1874 in Montan und gestorben am 26. November 1948 in Jenbach, führte als eine der wenigen Frauen ihrer Zeit einen eigenen Laden, das Stoffgeschäft unter den Lauben in Neumarkt. Den Eigensinn ihrer Vorfahrin haben sich die Salurner Brüder wohl behalten. 

    Beim Betreten des Ansitzes Liebenstein fallen nicht nur die zahlreichen Geweihe und schweren Ledersessel ins Auge, sondern auch die historischen Fotos von Salurn und ausgetragene, alte Lederhosen in Glasvitrinen. Unter den Flohmärkten Südtirols sind die beiden Brüder als Sammler bekannt. Alte Kinderstühle oder ein Schneiderfahrrad sind Teil des Mobiliars. Bei den beliebten Führungen erhalten Gäste nicht nur Informationen über die Herstellung von Lederhose und Dirndl, sondern auch über das Leben in Südtirol von früher, als es noch 160 verschiedene Berufe auf dem Fahrrad gab. 

    Heute gelte es das Alte mit dem Neuen zu verbinden. „Leder war früher ein Abfallprodukt und das Gerben stellte einen Mehraufwand dar. Heute versuchen wir alles vom Tier zu verwenden, nicht nur das Leder, sondern auch das Fleisch. Etwas vom Wild haben wir deshalb immer auf der Karte des Restaurants“, erklärt Norman Ventura. 

  • In der Glasvitrine: In einem ehemaligen Lebensmittelschrank aus einem Geschäft in Lana werden nun alte Lederhosen ausgestellt. Foto: Seehauserfoto
  • Während es früher nur Adeligen erlaubt war, Hirsche zu jagen, kann das heute jede Person mit Jagdschein. Früher waren die Lederhosen der einfachen Leute aus Ziegen-, Schaf- oder Rehleder. Auch in der Manufaktur werden Hosen aus Rehleder genäht, ihr Preis ist wesentlich günstiger. Hirschleder eigne sich wegen der Größe und Konsistenz aber am besten für die Lederhose. Das Handwerk gelernt haben die Brüder bei verschiedenen Schneiderschulen, unter anderem beim letzten Lederhosenmacher Hans Gebhard in Brixen

    Eine Lederhose hat zwischen 40 bis 50 Einzelstücke, dafür braucht es entweder zwei Hirsche oder fünf Gämse. Wie fast alle anderen Tiere haben auch Hirsche eine weiße Haut. Das Leder muss zuvor enthaart und gegerbt werden. Nach der Entfernung der oberen Hautschichten wird das Material gebürstet und gefärbt. „Würden wir die Gerbung auslassen, würde die Tierhaut hart und starr werden wie Holz“, erklärt Thomas Ventura. So bleibt sie weich und geschmeidig. 

    Die meisten Felle werden in Österreich gegerbt und dann in Salurn weiterverarbeitet. Ist die Lederhose nach zwei bis sechs Arbeitstagen fertig, hält sie bis zu 300 Jahre lang. Genug Zeit, um auf das Oktoberfest zu gehen.