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Gesellschaft | kalašnikov&valeriana

„vis grata puellae“?

Nur ein „JA“ ist tatsächlich ein „JA“. Und wo kein Konsens, da Gewalt.
  • Manchmal lässt sich mein Frust in einer rückwärtsgewandten Gesellschaft wie der unseren kaum aushalten. Wenn anderorts längst klar und gesetzlich verankert ist, dass nur ein explizites „JA“ Konsens bedeutet, geht es in Italien noch darum, zu klären, ob Vergewaltigung auch dann Vergewaltigung ist, wenn das Opfer „NEIN“ sagt oder nicht reagiert. So hat das Kassationsgericht jüngst in Palermo einen Rechtsspruch aufgehoben, in dem der Angeklagte mit der Begründung „vis grata puellae“ ursprünglich freigesprochen wurde. An dieser Stelle eine Triggerwarnung, da in der Folge von sexualisierter Gewalt zu lesen ist.

    So traurig es klingt, dieser Präzedenzfall ist ein großer Schritt im Justizwesen unseres Landes. Denn Unwissenheit und Vorurteile halten sich auch in diesem Bereich hartnäckig. Beispielsweise die Überzeugung, dass frau einen sexuellen Übergriff vermeiden kann, wenn sie es nur will (40% der Bevölkerung ist dieser Auffassung), oder dass sie einen solchen durch ihre Kleidung provozieren kann (24% denkt das laut …). Oder denken wir an die Erwartungen an die Dynamik eines sexuellen Übergriffes und die Reaktionen der Frau darauf: Eine Vergewaltigung findet in den Köpfen der meisten Menschen nachts in einer dunklen Straße durch einen unbekannten Mann statt, die Frau setzt sich lautstark zur Wehr und sucht die Flucht. In der Realität hingegen werden Vergewaltigungen meistens durch einen dem Opfer bekannten Mann in gewohntem Umfeld vollzogen, und oft verfällt die Frau in eine Schockstarre, die jegliche Reaktion oder Flucht ausschließt. So auch im Fall von Palermo. Der ursprüngliche Freispruch wurde motiviert mit der Aussage: Es reiche nicht aus, den eigenen Dissens zu kommunizieren, frau müsse die sexuellen Annäherungen eines Mannes wiederholt und mit Nachdruck zurückweisen. 

    Statt gerade diese für solche Übergriffe typische Reaktion als eine Bestätigung zu lesen, stärkt sie die zahlreichen Argumente, die diese Erfahrung/Erzählung/Anzeige der betroffenen Frau abschwächen und stärkt sie die Unschuldsvermutung des potentiellen Täters. Alles, was nicht zum stereotypen Narrativ des „idealen Opfers“ gehört, schwächt die Position der Frau zusätzlich. Du hattest ein kurzes Kleid an? Du hast gefeiert und gar geflirtet? Du hast nicht geschrien? Du hast ihn sogar geküsst? Dann konnte der Vergewaltiger ja gar nicht davon ausgehen, dass du keinen Geschlechtsverkehr mit ihm wolltest, selbst wenn du nicht explizit „JA“ gesagt hast. Auch weil du plötzlich einfach nur noch dalagst ... Wie Ovid schon sagte: „vis grata puellae“ (zu Deutsch: „Aggressivität/Stärke wird vom Mädchen geschätzt“), eine Wahrnehmung, die immer noch zum Gedankengut unserer patriarchalen Gesellschaft gehört.

    Darum hier nochmal zum lauten Mitsprechen: Nur ein „JA“ ist tatsächlich ein „JA“. Und wo kein Konsens, da Gewalt!

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gorgias Mo., 13.05.2024 - 19:40

Es gibt auch die stillschweigende Zustimmung. Vieles zwischenmenschliche läuft nonverbal ab. Manchmal bedeutet etwas genau das Gegenteil:

https://www.youtube.com/watch?v=GZ3QHTpMZgQ

Nur wo physischer Zwang aussgeübt wird oder Drohungen ausgesprochen werden, ist eindeutig Gewalt vorhanden. Alles andere ist einer der unendlich vielen Grautöne aus denen das Leben so besteht.
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Fanatiker, Verbohrte und Kinder müssen/wollen/können die Welt nur in Schwarz und Weiss sehen.

Mo., 13.05.2024 - 19:40 Permalink
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Salto User
Oliver Hopfgartner Mo., 13.05.2024 - 21:57

Ich kenne mich auch nicht mehr aus. Bei JWA hat es erst letzte Woche geheißen "wer schweigt, stimmt zu". Nun heißt es, nur wer ja sagt, stimmt zu. Was denn nun? 🤔

Mo., 13.05.2024 - 21:57 Permalink
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Stereo Typ Di., 14.05.2024 - 15:04

Antwort auf von Manfred Klotz

Ganz von der Hand zu weisen ist der Kommentar von Oliver Hopfgartner nicht. Wenn man zu JWA schweigt, ist man plötzlich Mitläufer und Sympathisant. Idem, wenn man den Corona-Impfungen gegenüber skeptisch war und weitgehend geschwiegen hatte. Man wurde dadurch gar zum Corona-Leugner. Ich halte also fest, dass Schweigen keine Zustimmung ist. Nur wenn ich "Ja" zu JWA sage, bin ich auch wirklich sein Parteigänger und ideeller Gefolgsmann.

Di., 14.05.2024 - 15:04 Permalink
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Manfred Klotz Mi., 15.05.2024 - 07:40

Antwort auf von Stereo Typ

Also Ihr Kommentar ist vom Niveau her noch brutaler und bar jeder Logik in seiner Schlussfolgerung. Es geht hier darum, dass man das Schweigen gegenüber den unsäglichen Auftritten JWAs und das Schweigen bei einer Vergewaltigung nicht auf die gleiche Stufe stellen kann. Im ersten Fall hat man nichts zu befürchten, wenn man sich und die Menschenwürde verteidigt, im zweiten eher schon (wobei sowieso nicht feststellbar ist, ob das Nein nicht einfach ignoriert wird). Mit anderen Worten, wer sich an der Ideologie Wirth-Anderlans nicht stört, hat offenbar nichts dagegen (denn befürchten muss er ja nichts, wenn er nicht schweigt). Das schon ist ein Syllogismus aristotelischer Prägung.
Apropos Corona (dieses Thema müssen Sie - wie Cato Maior sein "ceterum censeo" - wohl immer irgendwie einflechten), auch hier merken Sie den logischen Kurzschluss in Ihrer Aussage nicht: Die Gegner und Skeptiker waren eben genau die, die NICHT geschwiegen haben.

Mi., 15.05.2024 - 07:40 Permalink
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Salto User
Oliver Hopfgartner Di., 14.05.2024 - 23:05

Antwort auf von Manfred Klotz

Der Unterschied der Situation ist mir natürlich bewusst. Allerdings thematisiere ich die Argumentation: Wenn NUR ja auch ja bedeutet, impliziert das, dass Schweigen eben keine Zustimmung ist. Wenn das so ist, wäre es also auch nicht richtig, Leuten vorzuwerfen, sie würden JWA zustimmen, nur weil sie seine Aussagen ignorieren bzw. dazu schweigen.

Mir kommt das ein bisschen so vor, als würde man mit zweierlei Maß messen. Daher frage ich bewusst nach, was nun das Leitprinzip in der Kommunikation ist. Ist Schweigen nun keine Zustimmung oder kann Schweigen doch eine Zustimmung sein? Gelten in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau nun wirklich komplett andere Regeln als zwischen einem Bürger und Leuten wie JWA?

Di., 14.05.2024 - 23:05 Permalink
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Manfred Klotz Mi., 15.05.2024 - 07:53

Antwort auf von Oliver Hopfgartner

Bei einem Survival-Training lernt man: "Wenn du im Treibsand landest, dann möglichst ruhig bleiben und nicht herumschlagen, man versinkt sonst nur schneller". Diese Empfehlung solltest du dir auch zu Herzen nehmen. Du hättest deinen Kommentar nach "...ist mir natürlich bewusst" beenden sollen. Wer die beiden Aspekte vergleicht, muss von Zynismus beseelt sein.
Genau du misst mit zweierlei Maß in deiner Einschätzung, weil du offenbar das unterschiedliche Gefahrenpotential das dabei für das Opfer einer Vergewaltigung und für diejenigen, die mit inakzeptablen Äußerungen konfrontiert werden nicht erkennen willst. Das Gefahrenpotential das von den Tätern bzw. Rednern ausgeht ist gar nicht so verschieden, denn jemand, der braunen menschenverachtenden Denkschemata den Boden bereitet ist ebenso gefährlich. Abgesehen von der Tatsache, dass ein klares Nein, bei Anwendung brachialer Gewalt eine stumpfe Waffe ist, während ein klares Nein gegenüber inakzeptabler Äußerungen sehr wohl Wirkung hat. Oder glaubst du wirklich, dass ein Nein eine Frau absolut schützen kann? Würdest du, hätte deine Frau so ein schreckliches Erlebnis, ihr das auch so sagen?

Mi., 15.05.2024 - 07:53 Permalink
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Salto User
Oliver Hopfgartner Mi., 15.05.2024 - 16:03

Antwort auf von Manfred Klotz

Meine Frage bzw. Anmerkung war ganz klar. Ich sage, wenn nur ja auch ja bedeutet, so hat das auch in anderen Lebensbereichen zu gelten. Darauf zielte meine Frage ab und ich habe bisher keine Antwort bekommen.

Nur ja heißt ja ist übrigens nicht dasselbe wie die von dir nun ins Feld geführte Formulierung, nur nein würde nein heißen.

Was du implizierst, habe ich nie geschrieben und entspricht auch nicht meinem Denken.

Wenn nur ja auch ja bedeutet, kann man nicht in anderen Lebensbereichen hergehen und Leuten unterstellen, sie seien "für" etwas, nur weil sie sich dazu nicht äußern. Das ist die Kritik, die ich hier übe.

Mi., 15.05.2024 - 16:03 Permalink
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Peter Gasser Mi., 15.05.2024 - 16:16

Antwort auf von Oliver Hopfgartner

Dem stimme ich nicht ganz zu:
Ich frage 10 Leute: Wer ist dafür, etwas zuzulassen, und 2 stimmen zu.
Dann frage ich dieselben 10 Leute: Wer ist dagegen: wieder stimmen 2 zu.
Ergebnis: also nimmt das Geschehen seinen Lauf, weil nur 2 dagegen waren und 8 es zuließen: zustimmend oder stillschweigend, aber alle 8 tragen Verantwortung für den Lauf des Geschehens, da sie nicht dagegen gestimmt haben.

Mi., 15.05.2024 - 16:16 Permalink
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Herta Abram Mi., 15.05.2024 - 08:14

Antwort auf von Oliver Hopfgartner

Kommentare wie von OliverH, Stereotyp, gorgias verdeutlichen sehr gut, wie notwendig sexuelle Bildung für alle ( ua sexuelle Elternbildung) - von Anfang an bis lebenslang, wäre.

( falls Sie wirkliches Interesse daran haben, den Unterschied verstehen zu wollen, zwischen dem Thema im Artikel und einer jwa storry, könnte für Sie ein Gespräch in einer Männerberatung, erkenntnisreich sein)

Ein modernes Menschenbild und Sexualitätverständnis stellt die Schutzinteressen in den Mittelpunkt.
Übt sich in einer produktiven Auseinandersetzung über freie, selbsbestimmte, lustvolle Sexualität, die anregt eigenen Gefühlen, Wünschen, Bedürfnissen nachzuspüren und die Selbstachtsamkeit und Körperbewusstsein steigert....unabhäng von Geschlecht.

Mi., 15.05.2024 - 08:14 Permalink
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Herta Abram Di., 14.05.2024 - 08:51

Was die Gesellschaft für die Zukunft braucht:

...Es beginnt mit der sorgfältigen Analyse eines modernen Menschenbildes und Sexualitätverständnisses.
Darauf aufbauend braucht es ein sexualpolitisches Rahmenmodell und die Forderung nach einer lebenslangen sexuellen Bildung, für die der Staat im Rahmen seines Auftrags die Verantwortung übernehmen muss.

Der Staat muss keine Moral verteidigen, sondern Gesundheit und Unversehrtheit schützen, Bildung ermöglichen und Rechtssicherheit gewährleisten.

- Doch dieserart, zeitgemässe Sexualpolitik ist von einer Meloniparteiideologie nicht erwartbar...auch nicht von einer svp (-wie sie sich gegenwärtig repräsentiert).

Di., 14.05.2024 - 08:51 Permalink
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Profil für Benutzer Stefan S
Stefan S Mi., 15.05.2024 - 08:41

Antwort auf von Stereo Typ

Nein das Thema ist überhaupt nicht schwierig. Für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr braucht es 2 übereinstimmende Willenserklärungen. Dies kann verbal oder non verbal sein.
Leider ist es fast immer der Mann welcher die Willenserklärung der Frau nicht verstehen will. Entweder aus purer Machtdemonstration oder Empathielosigkeit.

Mi., 15.05.2024 - 08:41 Permalink