Gesellschaft | Diskussion

Wie schwer kann es sein, SüdtirolerIn zu sein?

Im Ost West Club wurde am Donnerstag diskutiert: Worüber dürfen wir uns beschweren? Was erschwert unseren Alltag? Wie beschwerlich ist das Leben hierzulande?

Bis auf den letzten Platz besetzt war am Donnerstag Abend der Salon des Meraner ost west club, der in Zusammenarbeit mit der Urania Meran zu einer Diskussionrunde geladen hatte. "Über die Schwierigkeit, heute SüdtirolerIn zu sein" tauschten sich Giorgia Lazzaretto, Kulturarbeiterin und Vorstandsmitglied des Ost West Club, Lisa Huber, Vorsitzende der Katholischen Jungschar und Studentin in Brixen, Kathrin Runggatscher, Studentin in Wien und Vorsitzende der Südtiroler HochschülerInnenschaft, Raja Shahed, Präsident des Vereins AuxForces, der sich für eine bessere Integration von "neuen MeranerInnen" einsetzt und Alex Giovanelli, Student und Mitorganisator des Dump Town Musikfestivals mit den rund fünfzig anwesenden Besuchern und Besucherinnen aus.

Die Diskussionsrunde mit Moderatorin Kunigunde Weissenegger (franzmagazine) und Thomas Hanifle, Kurator des Ausstellungsprojekts Gatterer9030 und Mitorganisator der Veranstaltung (stehend).

Rasch kristallisierte sich ein Thema heraus, das allen Anwesenden am Herzen lag und als eine maßgebliche Hürde im Leben der SüdtirolerInnen in Südtirol empfunden wird: die Mehrsprachigkeit, die damit verbundene (bewusste) Trennung der Sprachgruppen und das Aneinander-Vorbei-Leben im Land. "Ich kann nicht verstehen, dass die Mehrsprachigkeit nicht als Wert gesehen wird", eröffnete Lazzaretto die Runde, "und während man im Ausland darum beneidet wird, gibt es hierzulande diesbezüglich fast nur Schwierigkeiten". Sie fühle sich, obwohl in Südtirol geboren, oft nicht "heimelig". "Unser Bildungssystem fördert und verursacht Parallelgesellschaften", zeigte sich Giovanelli überzeugt. Ein großes Problem sei die von gewissen Kreisen bewusst aufrecht erhaltene Trennung in Schulen, Kindergärten, Jugendzentren und Vereinen.

Dass es kaum Anknüpfungspunkte zwischen deutscher und italienischer Jugend gibt, bestätigte auch Huber. Darüber hinaus sei ein bestimmter Konservatismus zu beobachten, der viele Gesellschaftsschichten durchziehe, ein Miteinander beinahe unmöglich mache und in vielen Fällen zu Intoleranz führe. Dem durchwegs zustimmen konnte Runggatscher: "Das Althergebrachte ist in vielen Kreisen immer noch der Weisheit letzter Schluss", so die Brixnerin, die sich die meiste Zeit des Jahres im Ausland aufhält und froh darüber ist. Gebürtig aus Bangladesch, lebt Shahed seit 17 Jahren in Südtirol, und: "Nirgends ist es besser als hier." Eine der größten Herausforderungen für die Zukunft und Gesellschaft des Landes sei die Integration der neuen Mitbürger und Zuwanderer. Dabei könne gerade die Sprache neue Horizonte eröffnen und Kulturen aneinander annähren. "Doch leider sieht nicht jeder in Südtirol das Erlernen der Zweit- oder einer Fremdsprache als etwas Bereicherndes an", musste auch Shahed eingestehen.

Ein weiteres heiß diskutiertes Thema war die schlechte Angewohnheit der Südtiroler Politik und ihrer VertreterInnen, innovativen und kreativen Ideen Prügel in den Weg zu legen anstatt Eigeninitiative zu fördern und dafür zu sorgen, dass gut ausgebildete junge Menschen im Land eine Zukunft haben. "Ich finde es schade, dass sich viele moderne, progressivere Südtiroler hier nicht heimisch fühlen und es wenig Möglichkeiten für Akademiker etwa aus dem naturwissenschaftlichen Bereich gibt", merkte Runggatscher an. Hier sei die Politik gefragt, die Voraussetzungen zu schaffen, dass dem "brain drain" entgegengewirkt werde. Hohe Hürden hätten auch VertreterInnen der alternativen Kulturszene in Südtirol zu überwinden, wenn sie etwas auf die Beine stellen wollen, bestätigte Giovanelli. Viele Kreise der Politik, aber auch Tourismustreibende würden keinerlei Interesse an der als "Krawallmachertum" abgestempelten alternativen Kultur bekunden. Dabei seien gerade Festivals und alternative Veranstaltungen gute Beispiele wo es keinen "disagio" gebe – Mehrsprachigkeit werde hier als Wert, nicht als Trennelement gesehen.

Die Forderung nach mehr Eigeninitiative und weniger Lamentierkultur kam bei dem anschließenden regen Austausch mit dem Publikum. Der wirtschaftliche Wohlstand der 90er Jahre und das "Bittsteller-System Durnwalder" hätten einen großen Teil dazu beigetragen, dass ebenjene Eigenverantwortung und Interesse, althergebrachte Dinge zu verändern, im Land fehle. Durchaus bewusst war man sich während der gesamten Diskussion auch der Vorteile, die wir als Südtiroler und Südtirolerinnen genießen dürfen. Ein gut funktionierendes Sanitätssystem, saubere Straßen, der relativ hohe Lebensstandard und kaum existenzielle Schwierigkeiten würden jedoch nicht ausreichen, damit sich wirklich alle in unserem Land wohl fühlen. Und gerade weil es uns ja eigentlich so gut gehe, sollte die Politik näher am Menschen dran sein und sich mehr um die Belange und Sorgen kümmern.

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gorgias Sa., 13.12.2014 - 18:37

Gibt es eine Ton-Aufzeichnung des Abends im Internet? Finde schade, dass man nicht mehr bei solchen Veranstaltungen podcasts erstellt, da so die wertvollen Eindrücke nur einem beschränkten Personenkreis zur Verfügung stehen.

Sa., 13.12.2014 - 18:37 Permalink
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Markus Lobis Mo., 15.12.2014 - 17:51

Ceterum censeo... Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass es in jedem größeren Ort in Südtirol einen Ostwest Club Estovest geben sollte...

Mo., 15.12.2014 - 17:51 Permalink