Politik | Sanitätsreform

Volk im Käfig

Keine Ausschreitungen, sondern eine zivilisierte und überschaubare Menge beim Protest gegen die Sanitätsreform. Doch muss das Volk tatsächlich ausgesperrt werden?

Symbolisches Bild auf dem Silvius Magnago Platz am Donnerstag Morgen: in der rechten Platzhälfte, dicht gedrängt hinter Absperrungen, rund 200 bis 300 DemonstrantInnen aus dem Vinschgau, Oberen Pustertal und Wipptal mit Transparenten zur Rettung ihrer Krankenhäuser, die linke Hälfte des Platzes vor dem Landtag dagegen weitgehend leer. Hier bekam nur Zugang, wer sich bei den Ordnungskräften am abgeriegelten Eingang ausweisen konnte. Also die Geladenen der Anhörung zur Sanitätsreform im Landtag, Landtagsabgeordnete, Journalistinnen. „Ein Spiegelbild der Reform“, empörte sich der Grüne Landtagsabgeordnete Riccardo dello Sbarba, „das ist das erste Mal in 60 Jahren, dass das Volk  hier ausgesperrt wird.“

Keine guten Vorzeichen für die Anhörung zur umstrittenen Sanitätsreform, die von den Grünen im Landtag verlangt worden war. Bereits am Vortag hatte die Opposition die Art der Organisation kritisiert: zu einseitig die Auswahl der Vortragenden, unter denen sich keine Vertreter aus den Bezirken fanden, kein Platz für das Volk selbst. Vor dem hatte man offenbar nach den Ausschreitungen nach der Rentenreform und in Sterzing so viel Angst, dass auf dem Silvius Magnago Platz höchste Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden. Dabei blieb die Zahl der TeilnehmerInnen auch unter den Erwartungen der Organisatoren. 500 Teilnehmer waren angemeldet worden, laut Schätzungen blieben es 200 bis 300. „Wir haben erst vor zwei Tagen von der Protestveranstaltung erfahren“, erklärt eine Frau aus Toblach. Mit zwei Bussen sind die Hochpustertaler angereist, wie auch aus den anderen Bezirken sind es vor allem PensionistInnen und Frauen, die es an einem gewöhnlichen Arbeitstag nach Bozen schaffen. „Wenn man weiß, welch fleißige Arbeitskräfte die Südtiroler sind, zählt jeder der Teilnehmenden heute für drei“, sagt Innichens Bürgermeister Werner Tschurschenthaler. Kritik holt aber auch er sich ein, als er sich den eigenen Leuten hinter den Absperrungen nähert. „Du musst für uns kämpfen“, geht ihn eine Frau an, „wir sind alle aufgestanden vor Empörung im Bus, wie du heute geredet hast im Radio“. 75 % von Martha Stockers Reform könne er sofort unterschreiben, hatte der Innichner Bürgermeister im Morgentelefon von RAI Südtirol erklärt. Das hört man im Volk nicht gerne. „Für uns ist unser Krankenhaus ein Stück Heimat“, erklärt ein Vischger Demonstrant, „das lassen wir uns einfach nicht nehmen.“

"Wir sind das Volk"

Dennoch ist es ein zivilisiertes Volk, das die VertreterInnen von Politik und Sanität an diesem grauen Donnerstag Morgen empfängt. Im Gegensatz zu Sterzing gibt es hier in Bozen keine Schweine-Rufe. „Wir sind das Volk“, „wir sind das Volk“,  wird hinter der Absperrung skandiert. Wirklich laute Pfiffe gibt es nur, als Generaldirektor Andreas Fabi und Sanitätdirektor Oswald Mayr ohne stehen zu bleiben in den Landtag eilen. Landesrätin Martha Stocker geht dagegen dieses Mal auf die Menschen zu, gibt direkt an der Absperrung Interviews, spricht mit den Leuten. „Wir sammeln jetzt alle Vorschläge aus den Bezirken“, sagt sie ihnen, „über die Weihnachtsferien werden wir sie dann alle bewerten und prüfen und im Jänner entscheiden.“  Zufrieden stellt sie die Menschen damit nicht. „Du hast uns noch immer nicht verstanden“, lautet einer der Vorwürfe aus der Menge. „Warum redet heute niemand aus den Bezirken im Landtag?“ wird gefragt.

„Seit einer Woche haben wir wieder ein wenig mehr Hoffnung“, sagt Innichens Bürgermeister Tschurtschenthaler. Erst am Montag hat es ein Treffen Stockers mit dem Gemeindeverband gegeben. Im Dezember sollen alle Vorschläge aus den einzelnen  Bezirken an einem Arbeitstisch analysiert werden. „Dann schauen wir auch einmal, was aus Bozen kommt“, sagt der Bürgermeister. Obwohl auch für das Zentralkrankenhaus immer von Einsparungen die Rede sei, sei bis heute nicht klar, wo genau diese gemacht werden sollen. In den Bezirkskrankenhäusern versucht man dagegen die eigene Existenz auch durch Vorschläge für Spezialsierungen zu retten. In Innichen wird beispielsweise die Einrichtung eines Frauengesundheitszentrums vorgeschlagen. „Doch sicher ist, dass Innichen ein Aktivkrankenhaus bleiben muss“, sagt Werner Tschurtschenthaler. 200 Arbeitsplätze biete das Krankenhaus derzeit, bei der Umwandlung in eine Tagesklinik bleiben vielleicht 50 bis 70, schätzt er.

Doch konkrete Zahlen stehen in diesem emotionalen Kampf  ohnehin nicht im Mittepunkt. „Landbezirke keine Randbezirke“,  „Nehmt der Jugend nicht die Zukunft weg“, „Frau Stocker, lassen Sie unseren Frauen genügend Platz zu gebären“ , lauten die Apelle auf Transparenten und Regenschirmen, mit denen das Volk bewegen will. Wird es ihm gelingen?  „Langsam sind wir schon frustriert“, antwortet eine Teilnehmerin. „Doch noch geben wir nicht auf.“