Politik | Tiroltag

„Stacheldraht ist keine Antwort“

Starke Ansagen zur Integration beim Tiroltag in Alpbach: Übernehmen wir Verantwortung anstatt die Schotten dicht zu machen, lautete das Motto.

Am Freitag schworen sich die beiden Landesrätinnen Martha Stocker und Christine Baur am Brenner auf eine verstärkte Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage ein. Am Sonntag legten die drei Landeshauptleute von Tirol, Trentino und Südtirol am traditionellen Tiroltag noch einen Scheit nach. „Integration statt Ausgrenzung“ war das Thema, unter dem der mit Kardinal Christoph Schönborn zelebrierte offizielle Startschuss für die 71. Auflage des Europäischen Forums Alpbach in diesem Jahr stand. Und zumindest der gestrige Tag macht Hoffnung darauf, dass das hochaktuelle Thema Migration sich für die Europaregion als Chance erweisen könnte, ihr immer noch zu wenig fühlbares Potential zu beweisen.

"Seit 70 Jahren leben wir in Tirol in Frieden und Wohlstand, dieses Privileg ist für uns Auftrag jenen zu helfen, denen es nicht so gut geht“, erklärte Tirols Landeshauptmann Günther Platter am Sonntag.  „Stacheldraht ist nicht die Antwort“, so der Slogan, unter dem er eine Verantwortungsübernahme aller europäischen Staaten forderte. Dass dazu auch die drei Provinzen der Europaregion ihren Teil beitragen können, unterstrich auch sein Südtiroler Amtskollege Arno Kompatscher. Vielfalt werde hier durch das Zusammenleben  deutschsprachiger, italienischsprachiger und ladinischsprachiger Menschen schon lange als Mehrwert anerkannt. „Deshalb sollten wir auch mit den derzeitigen Wanderungsbewegungen, der Vielfalt, die zu uns kommt, entsprechend umgehen können“, unterstrich Kompatscher. Gerade aufgrund der Erfahrungen im Kampf gegen Assimilierung und Nationalisierung könne Südtirol und die gesamte Europaregion eine Brücke im Bestreben darstellen, Vielfalt aufzuzeigen und auf andere zuzugehen.

Neue Heimat Europaregion Tirol-Süditrol-Trentino

Wie konkret eine bessere Integration von MigrantInnen in der Europaregion funktionieren könnte, macht ein Grundsatzpapier des Euregio-Labs unter dem Titel "Neue Heimat Europaregion Tirol-Süditrol-Trentino - Integration statt Ausgrenzung" deutlich. Erarbeitet wurde es von über 30 Experten aus den drei Provinzen, die sich dabei auf die Bereiche Gesellschaft, Sprache und Wirtschaft konzentrieren. Bereits in der Einleitung wird MigrantInnen darin eine wichtige Rolle bei der weiteren Entwicklung der Europaregion zuerkannt – zumindest sofern „ihre Qualitäten und Erfahrungen, ihr Potential für Innovation und unternehmerisches Handeln entsprechend anerkannt und einbezogen werden“.

,.Migration gab in vielen Regionen der Welt Impulse für innovative Entwicklungen, sofern sie zur Förderung und nicht zur Infragestellung sozial orientierter Arbeitsverhältnisse diente. Ein auf diese Ziele hin orientierte Wirtschaftspolitik wird die Grundlage für flankierende sprachliche und kulturelle Initiativen der Integration liefern. Ein gemeinsames Vorgehen der Mitglieder der EUREGIO würde die entsprechende Energie freisetzen, die in der reichen Tradition dieser Länder enthalten ist. Eine auf Integration und Solidarität orientierte Politik kommt definitiv allen Mitgliedern der Gesellschaft zugute.“

Ein interessanter Aspekt, der im Papier unter anderem beleuchtet wird, ist die unternehmerische Tätigkeit von MigrantInnen. Allein in Südtirol hätten  UnternehmerInnen mit Migrationshintergrund zwischen 2009 und 2014 um 25,7% auf eine Gesamtzahl von 6772 zugenommen. Gemeinsam mit dem Trentino komme man auf 11.404 UnternehmerInnen – und das in einer Zeit, in der die Zahl an heimischen Unternehmen zurückgegangen sei. Bislang fehle es aber noch an der  Anerkennung und Integration auf gesellschaftlicher und institutioneller Ebene der Aufnahmeregionen – und das völlig zu Unrecht, wird in dem Papier in Verbindung mit der Empfehlung konkreter Maßnahmen unterstrichen.

„Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung der unternehmerischen Tätigkeit von Menschen mit Migrationshintergrund und ihre eigene Integrationsleistung sind immens. Sie sind Vermittler zwischen den Kulturen und tragen so zur gesellschaftlichen Integration bei. Sie sorgen für Branchen-, Dienstleistungs- und Produktvielfalt und schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze. Im Zeitalter der zunehmenden globalen wirtschaftlichen Verflechtungen kommt ihnen, gerade in den Gemeinden, eine Schlüsselstellung zu.“

Ein neuer Begriff, der in dem Grundatzpapier eingeführt wird: die euroregionale Zivilbürgerschaft. „Sie bedeutet das Zusammenfließen der komplexen Geschichte des Zusammenlebens verschiedener Kulturen im Sinne eines neuen Gesellschaftsvertrags („ricittadinizzazione“)“, wird er erklärt. Als „euroregionale ZivilbürgerInnen“ würden sich die aus verschiedenen historischen und geographischen Zusammenhängen kommenden Menschen gemeinsam mit den schon länger in der Europaregion lebenden BürgerInnen für die Errichtung einer neuen „Lebensgemeinschaft“ einsetzen. Damit dies gelingt werden in dem Dokument ebenfalls konkrete Handlungsempfehlungen mitgegeben: allen voran für eine Weiterentwicklung des Schul- und Bildungssystems, aber auch für die Unterstützung von Projekten und Initiativen, mit denen Integration und kultureller Austausch gefördert werden. Als zentral wird auch die Rolle der Medien bezeichnet, für die unter anderem ein Monitoring „in Bezug auf die Gefahr der Verbreitung populistischer Botschaften mit diskriminierender oder rassistischer Intention“ nahegelegt wird.

Ob die Empfehlungen des unter der Leitung von Universitätsrektor Walter Lorenz ausgearbeiteten Papiers von den drei Provinzen tatsächlich politisch umgesetzt werden, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Ein starker Impuls ist in jedem Fall gesetzt.

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Sepp.Bacher Mo., 24.08.2015 - 18:02

"Stacheldraht ist keine Antwort" - Welcher Stacheldraht ist gemeint? Jener von Ceuta und Melilla, die Spanischen Exklaven in Marokko, um welche die Spanier schon vor vielen Jahren je einen eisernen Vorhang zum Schutz vor Flüchtlingen und Einwanderern gezogen haben und gegen die niemand protestiert. Mich wundert auch, wie Spanien es schafft, eine der niedrigsten Zuwanderungs- und Flüchtlingsquoten zu haben, wo es über die Straße von Gibraltar ja nur ein Katzensprung ist.
Oder ist es der Stacheldraht am Zaun an der Bulgarisch-Türkischen Grenze gemeint, der den selben Zweck erfüllen soll. Ebenso hat laut einer Dokumentation, die ich im TV gesehen habe, auch Griechenland, die Landesgrenze zur Türkei abgeriegelt. Also bleibt nur mehr der Weg mit Booten über die Ägäis bis zur nächsten Griechischen Insel. In der Folge über die Balkanroute bis Mitteleuropa bzw. in die EU. Wenn Ungarn jetzt aber das selbe macht, wie die genannten Länder vor ihnen stillschweigend hingekriegt haben, dann...............? (Ziehen sie selbst Ihren Schluss daraus!)

Mo., 24.08.2015 - 18:02 Permalink