Kultur | Editorial

Dinge von Bedeutung

Im Design liegt - wie im italienischen disegno, oder im französischen dessin - ein Plan, eine Absicht. Im Juli verfolgt Salto Arts Planer_innen und ihre Absichten.

Allgemein kann Design als entwerfende und erfinderische Tätigkeit aufgefasst werden. Design ist ein Prozess. Dieser fängt nie bei null an: designen meint immer re-designen. „Stets ist bereits etwas da, das als Gegebenheit, als Sachverhalt, als Problem existiert. Design ist eine nachfolgende Aufgabe, um dieses Etwas lebendiger, kommerzieller, verwendbarer, benutzerfreundlicher, annehmbarer, nachhaltiger und so weiter zu machen, je nach den Anforderungen, denen das Projekt genügen soll.“ schreibt der Wissenschaftssoziologe Bruno Latour. Mit Design wird Abhilfe geschaffen. Auch der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis sprach davon, die Eurozone re-designen zu wollen.

Mit dieser Wortwahl knüpfte der Ökonom auch an László Moholy-Nagys Konzeption von Design an. Bereits im Jahr 1946 postulierte Moholy-Nagy Design als Haltung - als einen komplexen Verbund von technologischen, sozialen und ökonomischen Belangen und materiellen Effekten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als lebensreformerische Bewegungen hoch im Kurs standen, wollte die Bauhaus-Bewegung mittels ästhetischer Erziehung kommende Generationen und ihre Umwelt reformieren. Mit einem umfassenden Gestaltungsanspruch befleißigte sich das Bauhaus um eine gesellschaftliche Utopie, die sich die mittelalterlichen Handwerkszünfte zum Vorbild nahm und die Wiedervereinigung aller werkkünstlerischen Disziplinen – Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Handwerk anstrebte. Design also als eine Sache aller Menschen, die insgesamt nach einer Verbesserung der sozialen Lebensumstände strebte. Design sei nämlich - so Gründervater des Bauhauses Walter Gropius - eine Lebensangelegenheit des ganzen Volkes, nicht eine Sache des Luxus.

Sagen wir, sowohl als auch. Im Designdickicht von heute stechen immer wieder sogenannte Design-Ikone hervor. Diese Betitelung bezieht sich sowohl auf einen Markterfolg, als auch auf eine bemerkenswerte Formgebung. Design-Ikonen entsprechen nicht nur einem Nutzungsbegehren, sondern verleihen einem Zeitgeist Ausdruck. Sie führen uns vor Augen, dass die Dinge über ihren pragmatischen Gebrauch hinaus einen kulturellen Repräsentationswert besitzen. Spätestens mit ihrem Einzug in die Museen, löst der Schauwert den Gebrauchswert völlig ab. Design und Kunst haben ihre Konturen längst aneinander abgerieben – damit lagen die Bauhäusler richtig.

Design war  immer auch eine nationale Angelegenheit und Sache des Nationalstolzes: „Italienisches Design ist elegant, experimentell und gleichzeitig der Tradition verbunden (...)“ so das Magazin Schöner Wohnen. Der Siegeszug des skandinavischen Designs und der damit einhergehende Minimalismus, sowie das besondere Augenmerk auf Funktionalität und preisgünstige Massenproduktion, haben in den letzten Jahrzehnten die Wohnkultur rund um den Globus verändert. Weltweit gibt es heute 315 IKEA-Einrichtungshäuser in rund 27 Ländern.

Kollaboratives Design nennt man in Skandinavien die Dinge als Resultat einer Aktivität zu betrachten - womit wir zurück bei Latours Meditation über die Philosophie des Designs sind. Der Begriff Design hat sich kontinuierlich ausgebreitet und verändert, so dass er heute in zunehmendem Maße für das eigentliche Wesen der Produktion von Bedeutung ist. Mehr noch, von den Details alltäglicher Objekte wurde Design ausgeweitet auf Städte, Landschaften, Nationen, Kulturen, Körper, Gene und auf die Natur selbst. Latour sieht in dieser Ausweitung das faszinierende Zeichen einer Veränderung in der Art und Weise, wie wir generell mit Objekten und Handlung umgehen. „Je mehr Objekte zu Dingen gemacht werden – das heißt, je mehr neutrale Tatsachen in uns angehende Sachen umgewandelt werden – desto mehr werden aus ihnen Design-Objekte.“

Design hat stets etwas Oberflächliches an sich, etwas Transitorisches und Relatives. Es ist auf engste mit Moden und mit Geschmäckern verknüpft. Latour geht soweit den Begriff Design als Gegengift gegen Grundlegung, Kolonisierung, Errichtung oder den Bruch mit der Vergangenheit zu bezeichnen: „Es ist ein Gegengift gegen Hybris und die Suche nach absoluter Gewissheit, ein Gegenmittel gegen radikale Abschiede und absolute Neuanfänge. (...)Wo immer man an etwas als designt denkt, bringt man alle Werkzeuge, Kenntnisse und Kunstfertigkeiten der Interpretation in die Analyse dieses Dings ein. Daher ist es sehr wichtig, dass wir erleben, wie tiefgehend unsere alltägliche Umgebung, unsere allergewöhnlichsten Artefakte als designt betrachtet werden. Wenn man Dinge als gut oder schlecht designt ansieht, dann erscheinen sie nicht länger als unabänderliche Tatsachen. In dem Maße, in dem sich ihre Erscheinung als unabänderliche Tatsachen abschwächt, wird ihr Platz unter den vielen veränderbaren Dingen, die uns angehen, um die wir uns kümmern müssen, gestärkt.“