Gesellschaft | SALTO Gespräch

„In Südtirol werde ich nicht gehört“

Gestalten, hinterfragen, etwas Besseres erreichen: Das will Klaus Vontavon als Designer und Bürger. Ein Gespräch über Heimat und Dankbarkeit, Widerstand und Willenskraft.
Klaus Vontavon sitzt auf einer Bank in Villnöß
Foto: SALTO
  • Ich bin ohne Vaterland aufgewachsen – und habe es nie vermisst.“ Heimat aber, das sei etwas anderes als Vaterland, sagt Klaus Vontavon in seiner Rede bei der Feier anlässlich 150 Jahren Einheit Italiens 2011 in Brixen. 1951 geboren und auf einem Bauernhof aufgewachsen, verbringt Nikolaus Vontavon, den alle Klaus rufen, Lebensjahre in Brixen, Turin, Mailand, Stuttgart, wo er sich als Industriedesigner etabliert. Völlig weg von Südtirol kommt er aber nie. 1992 kehrt er mit seiner Frau, der Architektin Marlies Gasser, zurück nach Brixen. 2014 der Umzug in das von den Eltern geerbte Haus in Villnöß, wo das Ehepaar bis heute lebt. Ein Suchender, ein Hinterfragender, „der auch unangenehme Wahrheiten annimmt, der in seiner Arbeit Präzision und Kreativität verbindet“. Das sagt ein guter Freund über Klaus Vontavon. Aber er ist mehr, da er sich für demokratische Mitsprache, für das Zusammenleben und eine inklusive Gesellschaft einsetzt. 2004 gründet er mit Frau Marlies und Gleichgesinnten den Verein heimat Brixen Bressanone Persenon. „Wir wollen Altes pflegen und Neues anregen“, steht auf der Webseite des Vereins. Im Juli 2022 hat Klaus Vontavon einen Schlaganfall, der vor allem die motorischen Fähigkeiten seiner linken Körperhälfte stark beeinträchtigt. Mit großer Willenskraft kämpft er sich ins Leben zurück. Seine Aussprache werde schon wieder besser, sagt er, während er, mit Stock und seiner geliebten roten Mütze ausgerüstet, langsam die Straße hinter seinem Haus in St. Jakob/Villnöß entlang spaziert.

  • SALTO: Herr Vontavon, Ihr Vater hat 1957 ein Metzgereigeschäft in Brixen eröffnet. Warum hat es Sie, anstatt dorthin, weg gezogen?

    Klaus Vontavon: Es war klar, dass der Ältere der beiden Brüder, Paul, Metzger wird. Wie es früher eben üblich war. Ich hatte die Freiheit, die Oberschule zu besuchen und das zu machen, was ich gerne tue. Lange Zeit hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass mein Bruder Metzger sein musste – hätte er studiert, wäre er ein genauso guter Ingenieur geworden. Aber es war eben so. Wir haben uns gegenseitig geholfen. So wie mein Bruder haben mich auch meine Eltern unterstützt.

    Was ist es, was Sie gerne tun?

    Etwas gestalten. Mir schwebte ein Architekturstudium vor. Bei der Berufsberatung aber wurde mir gesagt, ich sei nicht kreativ, sondern eher abstrakt und intellektuell veranlagt und müsse daher nicht Architektur studieren, sondern Atomphysik, das würde zu mir passen. Ich konnte mir das nicht vorstellen, bin aber doch fürs Maschinenbau-Studium nach Turin. Auch wegen der Autoindustrie. Über Zeitschriften und Magazine habe ich dort Design kennengelernt. Bald habe ich mich an der Scuola Politecnica di Design in Mailand beworben und wurde angenommen.

    Ist es Ihnen leicht gefallen, aus Brixen weg zu gehen?

    Das Weggehen ist mir leicht gefallen, ja. Für mich war klar, dass ich nicht jede Woche nach Hause will. So wie die Innsbrucker Studenten. Und Turin hatte den Vorteil, dass ich mein Italienisch verbessern konnte. Ich konnte relativ gut italienisch – besser als jetzt.

    Sie waren lange weg.

    Ja, nach Mailand bin ich zum Weiterstudieren nach Stuttgart. Dort war ich von 1972 bis 1985.
     

    In Südtirol werden die Bedürfnisse der einfachen Leute nicht wahrgenommen.

  • Das Eis auf dem Asphalt glitzert in der Wintersonne. Der gefrorene Schnee knirscht unter den Schuhsohlen. Entlang des Weges ist das Gackern von Hühnern zu hören. Der Vater seiner Enkel habe ihm einmal geraten, ein Entschleunigungsseminar anzubieten, „mit mir lernen, langsamer zu gehen“, sagt Klaus Vontavon mit einem Schmunzeln. 1979 schließt er sein Studium mit einer Projektarbeit bei einem Hersteller von Medizingeräten in Lübeck ab. 1980 gründet er die Designer Societät Stuttgart, eine Bürogemeinschaft. Ab Mitte der 1980er Jahre lebt er wieder mehr in Südtirol und wird zum Arbeitspendler.

  • Vaterlands-, aber nicht heimatlos: 1951 geboren, war Klaus Vontavon als Industriedesigner viel unterwegs. Nach Jahren im Ausland wohnt er mittlerweile seit zehn Jahren in Villnöß. Foto: SALTO
  • Wie kam es, dass Sie wieder in Brixen gelandet sind?

    Ein wenig Schuld ist meine Frau Marlies, zusammen mit der Überlegung, dass es für unsere zwei Töchter nicht schlecht wäre, wenn sie hier aufwachsen, italienisch und deutsch lernen. Und mir fehlte die Südtiroler Landschaft, die Berge und tiefen Täler. Das wurde mir mit 29 Jahren klar.

    Vor zwanzig Jahren haben Sie und Ihre Frau in Brixen einen Verein, der die Heimat im Namen trägt, mit gegründet. Wo, was ist für Sie Heimat?

    Heimat ist dort, wo ich gehört werde. In Südtirol werde ich nicht gehört. Ich bin natürlich auch woanders nicht gehört worden. Gehört haben mich höchstens die Kunden. Deshalb war dort auch ein wenig Heimat, bei der Arbeit. Auch bei meinen Kollegen in Stuttgart war Heimat. Die Schwaben waren kongenial: Die Stillen im Lande, hat jemand einmal über die Schwaben gesagt. Und das stimmt schon.

  • Die geistige Verwandtschaft mit den Schwaben, den ‚Stillen im Lande‘ wurde mir erst später bewusst. Damals musste man auf einem Flughafen die Maschine nach Stuttgart nicht auf der Anzeigetafel suchen: Dort, wo die Kleider der Passagiere etwas grauer, etwas unscheinbarer waren, etwas weniger aufgetakelt, dort war der Wartebereich für Stuttgart.“ (aus einem Text von Klaus Vontavon von 1997)

  • Was meinen Sie mit „gehört werden“?

    Dass man dir zuhört und dass man das, was du sagst, ernst nimmt.

    Das passiert in Südtirol nicht?

    (überlegt) Konkret an mir und meiner Arbeit möchte ich das nicht festmachen, aber man kann es so umwälzen: Hier werden die Bedürfnisse der einfachen Leute nicht wahrgenommen.

  • Heimat ist der Ort, wo ich mich einbringen, wo ich mitgestalten und kann“, notiert sich Klaus Vontavon für die Veranstaltung „Heimat: Immer noch?“ an der Freien Universität Bozen im Dezember 2021. Aber Heimat hat für ihn noch eine Facette: „Heimat kann man nur stiften, indem man jemand in die Gemeinschaft aufnimmt, indem man zuhört. Nur wer gehört wird, kann Heimat leben. Kann Heimat mitgestalten. Und da haben wir mit unserer Form der Demokratie, hier in Südtirol, ein Problem. Die politische Mehrheit hat es nicht nötig, zuzuhören, die Minderheit wird nicht gehört und hat somit keine Heimat. Die Partei, die seit 76 Jahren regiert, schließt die Anderen von Heimat aus. Das passiert auf vielfältige Art und Weise, aber hauptsächlich dadurch, dass die Anderen nicht gehört werden.“

  • Welche Erklärung haben Sie für sich gefunden, dass das Zuhören nicht funktioniert?

    Viele Leute haben schon ein festes Bild im Kopf und hören gar nicht mehr, was andere sagen.
     

    Wenn man einen Dank nicht annimmt, ist das eine Verletzung des Dankenden.


    Das hat Sie aber nie davon abgehalten, sich bemerkbar zu machen und einzubringen. Sie waren eines der Gesichter des Komitees proALTvor, das sich gegen die Seilbahnverbindung Brixen–St. Andrä stellte, zu der die Bevölkerung bei einem Referendum im September 2014 Nein sagte.

    Ja. Es war ganz einfach so, dass es auf der deutschsprachigen Seite niemanden anderes gab. Gerade bei der Seilbahngeschichte wollten die Architektinnen nichts sagen, weil sie befürchteten, keine Aufträge mehr zu bekommen. Das ist schon ein Thema in Südtirol … Ich hatte nichts zu befürchten, mein Büro war in Stuttgart. Und der allererste, der mir nach dem Referendum gratuliert hat, war ein Kunde meines Büros, mit dem ich oft diskutiert oder gestritten hatte.

  • Vontavon erzählt von dem deutschen Designer Otl Aicher (1922–1991), der mit der Ausgestaltung des Corporate Designs dieses Kunden beauftragt war: „Aicher hatte Designvorstellungen, die ich einfach nicht teilte.“ Man habe sich konfrontiert und schließlich sogar die Farben für die Geräte gemeinsam ausgewählt: „Und da muss ich sagen, er hat einfach recht gehabt, Otl hatte recht.“ Otl Aicher war ein enger Freund von Hans und Sophie Scholl und mit ihrer Schwester Inge verheiratet. Er weigerte sich, der Hitlerjugend beizutreten und desertierte, als er von der Wehrmacht eingezogen wurde. Otl Aicher ist nicht der einzige Widerstandskämpfer, der in Klaus Vontavons Leben eine Rolle spielt.

  • Schätzen Sie es, wenn Sie mit jemandem streiten können?

    Ja.

    Sie engagieren sich auch in der Initiative für den Hofburggarten Brixen Pro Pomarium.

    Dort bin ich weniger aktiv.

    Doch Sie sind jemand, der sich für die Entwicklung und Gestaltung der Stadt …

    … interessiert, ja.

  • Hier hat sich einiges verändert: Die Dachvorsprünge an den Häusern sind größer geworden, die Balkongeländer haben zusätzliche Aufgaben übernommen (sie zeugen vom Willen der Eigentümer, ihren Reichtum zu zeigen). Die Vielfalt an Geschäften in der Brixner Innenstadt gibt es nicht mehr. Kleider- und Souvenirläden haben alle anderen Geschäfte verdrängt. In dem Eisenwarenladen, in dem ich früher alles an Schrauben und Werkzeug bekommen konnte, drängt immer mehr Designerkitsch von Alessi und Konsorten auf den Budel. Wir verwechseln Lebensstandard mit Lebensqualität.“ (aus einem Text von Klaus Vontavon von 1997)

  • Ist Brixen auf dem richtigen Weg?

    Mit dem Hofburggarten sicher nicht. Da müssen sie einen Schritt zurück machen und verstehen, was eigentlich wertvoll ist. Brixen ist immer … Sie wollen einfach zu viele Gäste haben und Geld abknöpfen. Aber nur das geht nicht.

    Ist das ein Vorwurf an die Gemeindepolitik?

    Mein Vorwurf an die Gemeinde ist, dass sie sich von Touristikern zu stark beeinflussen lässt. Es zirkulierte der Witz, dass der Herr Zanotti von Brixen Tourismus der heimliche Bürgermeister der Stadt sei. (überlegt) Und … das ist auch wahr.

    Rund um Brixen sprießen Bettenburgen.

    Das stimmt. Aber die Gäste brauchen eine gewisse Herzlichkeit. Die ist wertvoller als ein riesiger Wellnessbereich.

  • Auf Initiative des Vereins heimat hin wird 2009 eine Gedenktafel für Hans Egarter am Brixner Friedhof angebracht. Der Niederdorfer Journalist setzte sich gegen Faschismus und Nazismus ein und war einer der Gründer der Südtiroler Volkspartei. Nach dem Krieg wurde er als „Verräter“ geächtet und gesellschaftlich an den Rand gedrängt. Daran erinnert Vontavon in seiner Rede bei der Enthüllung der Gedenktafel: „Schon bald aber gewannen die ‚ehemaligen‘ Nazis die Oberhand; der Forderung Egarters ‚Gerechtigkeit den Opfern und Gericht den Kriegsverbrechern‘ wurde mit dem Argument ‚wir müssen zusammenhalten‘ entgegen getreten.“

  • Sehen Sie sich selbst als Widerstandskämpfer?

    Widerstandskämpfer ist ein bisschen zu groß gesagt. Nein, ich gebe mich für die Allgemeinheit her. Für proALTvor ins Fernsehen zu gehen, war für mich nicht einfach. Aber es war niemand auf deutschsprachiger Seite, der dazu bereit war. Dann habe eben ich es getan, mit all meiner Verklemmtheit.

    „Üben wir uns im Dagegendenken!“ Das war die Aufforderung in Ihrer Rede 2009. Was meinen Sie damit?

    Hinterfragen, was allgemeine Meinung ist und zu einer Meinung kommen, die von mir aus konstruktiv ist, aber eben gegen das Allgemeine ankämpfen.

    Nicht dagegen sein, um dagegen zu sein. Sondern dagegen sein, um …

    … etwas Besseres zu erreichen.
     

    Heimat ist dort, wo ich gehört werde.


    Kann man Ihre Aufforderung auf das anwenden, was gerade in der Landespolitik passiert – die Koalition der SVP mit den Rechten?

    Ja, dagegen muss man auch ankämpfen. Aber damit tun sich die SVPler schwer, weil sie so auf die Autonomie fixiert sind und auf Rom schauen, in der Hoffnung, etwas herauszuholen, wenn sie hier mit Urzì & Co. arbeiten.

  • Seit 2009 gedenken heimat und die Partisanenvereinigung ANPI jedes Jahr Egarters Leben und Wirken. Im Corona-April 2020 fällt die Gedenkfeier aus. Auf SALTO veröffentlicht Vontavon damals seine Gedanken: „Wovon würden wir heute reden? Vielleicht würden wir daran erinnern, dass es ohne den kleinen Südtiroler Widerstand gegen die Nazis keine Volkspartei gegeben hätte, dass aber schon im Sommer 1945 die Wehrmachtsangehörigen Egarter, der eine Aufarbeitung der Nazizeit forderte, isoliert hatten, dass man viel zu schnell vergessen hatte.“

  • Ist es ein Symptom der heutigen Zeit, dass man oft genauso schnell wie gern vergisst?

    Ja, das würde ich schon sagen.

    Eines vergessen Sie nie: Danke zu sagen.

    Das stimmt.

    Warum ist Ihnen das wichtig?

    Danke sagen tut mir gut. All das, was meine Freunde für mich tun, kann ich ja nicht vergelten. Dafür muss ich Danke sagen. Die Tochter meiner Nichte hat einmal ein Buchgeschenk ausgeschlagen, das ich ihr für ihre Hilfe machen wollte. Sie meinte, mein Danke sei mehr Wert als jedes Buch. Das bestärkt mich. Danke sage ich auch den Hauspflegerinnen und Therapeuten immer. Diese Menschen erwärmen mir den Tag.

  • Während des Gesprächs ist Klaus Vontavon zu weit gegangen. Nun macht er kehrt und spaziert zu einer Holzbank vor einem Hof, auf dem ein Kissen für ihn liegt. Hier ruht er sich gerne aus.

  • Merken Sie, dass es manchen Menschen schwer fällt, ein Danke anzunehmen?

    Ja, das passiert schon oft: „Aber nein! Wieso Danke?“ Wenn man den Dank nicht annimmt, ist das eine Verletzung des Dankenden. Es ist auch so: Um Danke zu sagen, braucht man nicht viel Fantasie. Wenn du dich bedanken möchtest, indem du etwas schenkst, musst du viel Energie aufwenden, um das richtige Geschenk zu finden. Dazu bin ich nun einmal nicht in der Lage. Früher habe ich oft kleine Geschenke gemacht. Bei denen waren eigentlich die Verpackungen, die ich gemacht habe, das Wichtigste oder Schönste. Jetzt kann ich das nicht mehr, mit Messer und Lineal an Verpackungen arbeiten. Dann ist Danke sagen das Einfachste, nicht?

  • Vontavon setzt sich auf die Bank und blickt auf die kleine Kirche von St. Jakob, hinter der die letzten Sonnenstrahlen an diesem Wintertag hervorlugen. Dort hat er im August ein Geigenkonzert von Marcello Fera organisiert, als Dank für die Menschen, die ihm wichtig und nach dem Schlaganfall im Sommer 2022 beigestanden sind: „Mit dem Konzert habe ich auch Marcello Fera gedankt und den Künstlern gedacht, die es in der Zeit ja schwierig hatten und haben. Mir war das wichtig. Auch wenn nicht alle, die ich eingeladen hatte, gekommen sind.“ Vontavon macht eine lange Pause. Der Nachbar vom Hof nähert sich, grüßt und bleibt für einen kurzen Ratscher stehen.

  • Kraftort: In der kleinen Kirche von St. Jakob/Villnöß organisierte Klaus Vontavon im August 2023 ein Geigenkonzert von Marcello Fera, der auch bei den Gedenkfeiern für Hans Egarter regelmäßig auftritt. Foto: SALTO
  • Gibt es jemanden, dem Sie gerade besonders dankbar sind?

    Meiner Frau Marlies, dafür, wie sie für mich sorgt. Auch für meine beiden Töchter Corinna und Julia bin ich dankbar. Und für meine vier Enkel.

  • Der Kinderwunsch des Paares sei lange unerfüllt geblieben, erzählt Vontavon. Eine ganz persönliche Geschichte hat er auch 2011 in seine Rede bei der 150-Jahr-Feier in Brixen eingebaut. Die hat er zweisprachig gehalten: 

    Faschismus und Nationalsozialismus haben gezeigt wie einfach es ist, mit Hilfe von Symbolen, Schlagworten und Fahnen ganze Völker zu verblenden; Reinheit der Rasse der Freiheit gegenüber zu stellen. Unser aller Vorfahren waren Opfer und Täter zugleich. Einige wenige Menschen haben sich diesem nationalistischen Irrsinn entgegengestellt. 
    Hier eine persönliche Geschichte: 
    Sono nato nel ’51. Ma ho avuto sempre l‘impressione che la mia vita sia incominciata nel giovedì santo del ’45; quando il fratello maggiore di un partigiano di Muggia, Trieste, dopo la messa mattutina aveva rivolto la parola ad uno sconosciuto, ad un soldato dell’esercito nemico e lo aveva incoraggiato a disertare. La sua famiglia poi ha nascosto quell’uomo, mio padre, ed il suo salvatore, finita la guerra lo ha accompagnato a casa clandestinamente. 
    Quell’uomo sotto la divisa di mio padre aveva visto un altro uomo come lui, un uomo che aveva lasciato a casa la fidanzata, un uomo che aveva voglia di vivere. 
    Non aveva visto l’uniforme né la bandiera, solo l’uomo.“

    Der Name des Mannes, der Vontavons Vater in Muggia zum Desertieren aus der deutschen Wehrmacht ermutigt, war Paolo. Es entsteht eine Freundschaft zwischen den beiden Familien, häufig ist Vontavon als Heranwachsender im Sommer zu Besuch im Friaul: „Ich stieg in Brixen in den Bus, der über Bruneck, Innichen und Udine nach Triest fuhr. Das ist immer noch meine Lieblingsstrecke ans Meer. Dort wurde ich von der Nonna und Paolos Tante verwöhnt, die mir das Schwimmen beigebracht hat. Es gab wunderbares selbstgemachtes Eis und wunderbaren Tomatensugo.“

  • Hätte Paolo meinen Vater nicht versteckt, würde es mich höchstwahrscheinlich nicht geben. Insofern fängt meine Dankbarkeit da schon an.

    Sind Sie sich selbst auch dankbar?

    Manchmal schon. Manchmal bilde ich mir doch ein, ich kann nicht alles falsch gemacht haben, wenn ich so viele Freunde habe, dir mir helfen.

  • Dank: Die Architektin Marlies Gasser ist Mitstreiterin, Begleiterin und Ehefrau von Klaus Vontavon. Foto: SALTO
  • 1997 notiert Klaus Vontavon: „Die Frage für mich ist, welchen Aspekt des Produkts wir betonen, die Frage ‚wozu‘ wir ein Produkt überhaupt brauchen. Zur Zeit scheint der Markt, das Verkaufen, diese Sinnfrage zu entscheiden. Als Designer haben wir die Aufgabe, uns an kulturelle, auf Dauer angelegte Werte zu halten. Wir sollten Produkte gestalten, die die Welt lebenswerter machen und dürfen uns nicht wirtschaftlichen Interessen unterwerfen.“ 2016 schließt Vontavon das Stuttgarter Designerbüro. Die Maschinen nimmt er mit nach Villnöß und bringt sie im Wirtschaftsgebäude neben dem Wohnhaus unter. Damit arbeiten kann er seit seinem Schlaganfall nicht mehr.

  • Hat Sie Ihr Schlaganfall als Mensch verändert?

    (überlegt) Ja. Ich bin zufriedener. Und ich schätze ganz kleine Dinge oft sehr.

  • Ein weiterer Nachbar kommt vorbei, grüßt. Im Hintergrund krächzen die Dohlen über der Wiese mit dem Kirchlein, die jetzt im Schatten liegt. Vontavon ist müde geworden. Bald wird er nach Hause in die vom Kachelofen gewärmte Stube und zu seiner Frau Marlies zurückkehren, um sich an einem frisch gebrühten Tee zu wärmen. 

  • Wünschen Sie sich etwas für 2024?

    Mein Wunsch wäre schon, dass diese Finger hier besser funktionieren würden. (Vontavon deutet auf seine linke Hand) Kleine Fortschritte habe ich gemacht, aber gerade tut die Hand gar nichts. Ich kann nicht mal eine Zeitung in der Hand halten. Klatschen kann ich auch nicht.
     

    Die Gäste brauchen eine gewisse Herzlichkeit – die ist wertvoller als ein riesiger Wellnessbereich.


    Aber Sie geben nicht auf?

    Es ist anstrengend. Aber es geht viel leichter, wenn jemand dabei ist, der etwas versteht und dir ein wenig helfen kann.

  • Wenige Tage nach dem Gespräch teilen Vontavon die Ärzte mit, „dass ich meine linke Hand nie vergessen soll, aber dass ich eine Verbesserung der Funktion vergessen kann“. Er ist niedergeschlagen. Dennoch tut er das, was er am besten kann: weitermachen. „Jetzt muss ich meinen ganzen Willen zusammennehmen, um alleine Verbesserungen herbei zu führen.“
     

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Walter Kircher So., 07.01.2024 - 11:22

DANKE, lieber Klaus für die berührenden Gedanken und Worte!
Und DANKE Frau Lisa Maria u. Salto dafür, dies unter die Leute zu bringen!
Gelegenheit zu geben, sich mit besonderen Gedanken und Anmerkungen zu befassen.
Als bewusst - in "Rente-lebender" ist meine DENKE auch sensibler geworden, ich betrachte mittlerweile mindestens fünf Generationen einer selben Familie, auch Gesellschaftsgruppe, - deren Befindlichkeiten und Prioritäten , - jede Generation will EIGENE Erfahrungen machen und damit wiederholen sich Abläufe - gute und weniger gute stets aufs Neue ...
Möge mehr ACHTUNG und ins-Auge-schauen und damit auch gesunder Humor in unserer Welt, in unserer Zeit - Platz nehmen!

So., 07.01.2024 - 11:22 Permalink
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Benno Simma So., 07.01.2024 - 13:57

Bravo, Lisa Maria Gasser, und vielen Dank für dieses tiefgreifende Interview mit Klaus Vontavon, der uns noch Einiges zu den Begriffen Kultur und Heimat vermitteln könnte und der in seiner Arbeit als Designer im Lande und außerhalb davon sicherlich noch viel Aufbauendes zu vermitteln und zu tun hat!

So., 07.01.2024 - 13:57 Permalink
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Salto User
Martin Brugger So., 07.01.2024 - 13:58

Ein ganz großes Kompliment für dieses Interview, das ich heute morgen gelesen habe. Insbesondere auch für die Deutung des Begriffes "Heimat" als Ort, wo die Menschen mit ihren Meinungen, Sorgen und Anliegen gehört werden. Diese Sichtweise von Klaus Vontavon ist einbeziehend - niemanden ausschließend - und die bislang wohl beste und prägnanteste Definition von "Heimat", die ich je gehört habe. Danke!

So., 07.01.2024 - 13:58 Permalink
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Hans Knapp So., 07.01.2024 - 17:30

Ja, lieber KLaus, es würde der Stadt Brixen und dem Land Südtirol guttun, wenn dein Einsatz, deine Gedanken und Vorschläge mehr Beachtung und Unterstützung finden könnten.
Ein großer Dank an dich und Marlies, die unermüdliche Mitstreiterin!
Ich weiß, ihr werdet nicht aufgeben.

So., 07.01.2024 - 17:30 Permalink
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Franz Linter So., 07.01.2024 - 17:36

Klaus gehört gehört!
Er hatte viel zu sagen, auch wenn er es nicht oft öffentlich tat. Heute ist er stiller geworden, aber nicht schweigsam.
Er ist zufriedener geworden, auch durch die Umstände. Er arbeitet an seiner Hand, damit er das Brot beim Schmieren besser halten kann, und akzeptiert, dass er nicht mehr an seiner Hobelmaschine arbeiten kann.
Einen Dank auch an Lisa Maria Gasser für das einfühlsame Interview.

So., 07.01.2024 - 17:36 Permalink
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Franz Pattis So., 07.01.2024 - 18:53

Kann mich noch gut erinnern wie Klaus Vontavon bereits vor über 15 Jahren als Präsident des Vereins Heimat unermüdlich die Stimme erhob gegen das riesige Sanoner Hotel auf den unberührten Kojawiesen in Mellaun. Seit dem Vorjahr wird nun dort oben gebaut was das Zeugs hält! Leider konnte auch Klaus Vontavon diesen Monsterbau nicht verhindern aber ich möchte ihm trotzdem für seinen tatkräftigen Einsatz gegen diese mega Hotelanlage in unberührter Natur herzlichst danken!
PS. Leider hab ich von der lokalen Umweltgruppe Eisacktal nie ein Wort gegen dieses grössenwahnsinnige Projekt in Mellaun oberhalb Brixen gehört?! Da kommen Parallelen auf zum stark bedrohten Auwald in der Brixner Industriezone…..

So., 07.01.2024 - 18:53 Permalink
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Gregor Beikircher Mo., 08.01.2024 - 15:53

Auch ich spreche meinen Dank aus an Klaus Vontavon für die klaren Aussagen und geschärften Umrisse im Sein und Wesen unserer poltisch-bestimmenden Gesellschaft in Südtirol. Bin ein im Brixner Raum und darüber hinaus mitkämpfender und mithandelnder Geist des Anstoßes, der seinem Ruf öfters insofern Gehör verschafft hat, indem ich es auch nicht gescheut habe, bestimmte Anliegen in der Umwelt und der einfachen und schwachen Menschen in aller Öffentlichkeit - und wenn es sonst gar nicht mehr gehört wurde - auch über Rechts- und Gesetzeswege auszufechten.
Den Begriff "Heimat" den hier Klaus Vontavon prägt, ist bei uns in Südtirol bezeichnend. Und das Gefühl der Ausgrenzung und des dann mit viel Aufwand sich Vordrängenmüssens in das gepanzerte Feld der mächtigen Wort- und Gedankengeber, habe ich oft genug erlebt und ist auch heute noch vielfach vorhanden.

Mo., 08.01.2024 - 15:53 Permalink
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Profil für Benutzer Stefan S
Stefan S Mo., 08.01.2024 - 20:45

"Die Stillen im Lande, hat jemand einmal über die Schwaben gesagt."
Kann ich aus eigener Wahrnehmung bestätigen, da gibt es so eine gewisse Seelenverwandschaft und so manche Parallele insbesondere im ländlichen Raum.
Ein besonderes und mal so ganz anderes Interview.

Mo., 08.01.2024 - 20:45 Permalink
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Robert Hochgruber Di., 09.01.2024 - 11:33

Danke, Klaus für Deine bemerkenswerten Gedanken und Deine vielfältigen Taten, Dein Da-Sein und So-Sein. Dan Interviw hat gut getan und lässt weit blicken! Danke Dir, Lisa Maria Gasser für das einfühlsame, das Wesentliche betonende Interview!

Di., 09.01.2024 - 11:33 Permalink
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Profil für Benutzer Markus Lobis
Markus Lobis Do., 11.01.2024 - 09:59

Dieses feinfühlige Gespräch mit einem wichtigen, nachdenklichen und selbstkritischen Brixner Bürger ist ein wichtiges Zeitdokument aus einer kleinen Alpenstadt, die ihre Identität verliert, bevor sie sie gefunden hat. Brixen war dank weitblickender Aufbauarbeit von Zeno Giacomuzzi im Tandem mit Othmar Barth auf einem guten Weg, eine starke Localhood zu entwickeln und Leute wie Klaus Vontavon, Hans Heiss, Barbara Fuchs, Greti Seebacher, Hans Knapp, Hartmuth Staffler, Reinhold Nössing, Barbara Plagg, Lisl Thaler, Waltraud Kofler-Engl und viele, viele andere nachdenkliche und begeisterte BrixnerInnen haben wohl vergebens breites Brixen-Potenzial aufgezeigt und bürgerliches Selbstbewußtsein vor sich hergetragen - die Wirschtlverkäufer mit ihrer monothematischen Sicht auf den zu dekorierenden Wirtschaftsraum scheinen sich durchzusetzen. Wenn ich heute durch das herausgeputzte Brixen gehe, habe ich oft den Eindruck, eine Filmkulisse zu durchschreiten, eine Zweckstruktur zum Wirschtlhandeln.

Do., 11.01.2024 - 09:59 Permalink
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Profil für Benutzer Walter Kircher
Walter Kircher Fr., 12.01.2024 - 09:12

... das kommt daher, dass Tourismus nach Ankunftszahlen und Tagesevents bemessen wird, - als aufmerksamer Beobachter hat man den Eindruck" - manche reisefreudige, landeskundlich-interessierte Besucherinnen und Besucher meiden Brixen /Bressanone /Persenon - für einen kultivierten mehrtägigen Aufenthalt!
- Lassen wir den TOURISMUS SO einmal bei Seite, wenden wir uns einem Gemeinwohlbefinden aus Gastgeberinnen, Gastwirten und Gästen - im eigentlichen Sinne zu!

Fr., 12.01.2024 - 09:12 Permalink