Gesellschaft | Aus dem Blog von Silvia Rier

Von der Quote zu den Besten

Die Besten sollten führen und nicht die Quote. Gut und schön, aber: Sind die, die uns derzeit führen, tatsächlich die Besten?
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Privat

Ein männliches Lieblingsargument in Sachen „Quote“ und anderer Instrumente zur Be-Förderung der Frauen „nach vorne“ ist jenes, demzufolge nur „die Besten“ führen dürfen, und nicht „die Quoten“. Sicher, das hat was, und kann kaum bestritten werden, hüben. Drüben aber wirft sich gleichzeitig die ganz große Frage auf: Sind die, die wir haben, im Moment, ganz vorne und ganz oben, denn auch wirklich und wahrhaftig „die Besten“ (Männer)?

Ich wage das zu bezweifeln, und vermute (befürchte), dass wir keineswegs die objektiv Besten, sondern vielmehr die mit der besten „parlantina“, den besten Ellbogen, dem besten Bankkonto, den besten Beratern und Coaches, der besten Ehefrau und natürlich die mit der meisten (freien) Zeit haben. Nicht zuletzt spielt womöglich auch noch der Status der Familie in dem Herkunftsort eine gewichtige Rolle, bei der Auslese der „Besten“. Denn: Welcher der Männer, die uns führen und darauf Anspruch erheben, indem sie Frauen den Zugang mit Macht verwehren, hat sich je einem objektiven Ausleseverfahren unterworfen? Wer von ihnen hat sich anhand objektiver und nachvollziehbarer Kriterien je gemessen, mit  konkurrierenden Bewerbern, aber natürlich auch mit Frauen? Ein sehr großer Teil derer, die jetzt am Bug des Schiffes schaukeln, sähe wohl ziemlich blass aus, sollten sie sich denn einer objektiven Prüfung unterziehen müssen. Oliver Hopfgartner bringt in einem Kommentar sehr plastisch zum Ausdruck, wie es in unserer Gesellschaft mit dem  (vermutlich schlicht und einfach: tradierten) „die Besten“-Konzept bestellt ist. Er schreibt: 

„Mir fällt da Hans Hermann Hoppe ein, der in Zusammenhang mit Politik vom "Wettbewerb der Gauner" spricht. Leider werden meist nicht die fähigsten Politiker gewählt, sondern jene, die es verstehen sich innerhalb der eigenen Partei die beste Position zu verschaffen und gleichzeitig die Wählerschaft am besten manipulieren. In Italien hatten wir ja bis vor kurzem einen Meister dieses Fachs ganz weit oben im Staat.“ (http://salto.bz/de/article/15062013/last-exit-der-muendige-mensch).

Ein weiteres, meines Erachtens überirdisch schönes Beispiel dafür, wer und mit welchen Mitteln den „Wettbewerb der Besten“ für sich entscheiden kann, ist die Geschichte von der „Verfassungsdebatte bei Herodot“. Sie kann hier in einer Zusammenfassung und verlinkten Beiträgen nachgelesen werden: http://salto.bz/de/article/16062013/ist-dasvolk-reif-fuer-die-direkte-demokratie. Ich lese daraus, dass a) „die Besten“ zum Einen ausschließlich (!) jene sind, die (qua Geburt) zum „inner circle“ gehören. In einer Männergesellschaft ist es demzufolge völlig ausreichend, „der Sohn des…“ zu sein, um gut und jedenfalls gut genug  zu sein; b) es hat am Ende den Streit keineswegs „der Beste“ gewonnen, sondern der intelligenteste Stallknecht (!) – leider aber nicht für sich, sondern für seinen Herrn.

So sieht’s also aus, mit unseren „Besten“, und Änderung ist wohl so lange nicht in Sicht, wie nicht mindestens(!) die Hälfte derer, die sich im Moment zu den Besten zählen, Frauen sind. Um dahin zu gelangen, brauchen wir Quoten, mit deren Hilfe der Boden bereitet wird, in Politik und Wirtschaft, auf dem auch ein Umfeld gedeihen kann, in dem Frauen sich wohl fühlen und aus sich herausgehen können. Zur Zeit ist es ja leider so, dass Männer das Wort führen, und zwar im engsten und im weitesten Sinne: Männer geben den Ton an, Männer bestimmen die Art und Weise, wie eine Debatte geführt zu werden und ein Argument beschaffen zu sein hat, damit es als solches anerkannt wird, und natürlich bestimmen Männer, worüber es sich überhaupt lohnt, zu sprechen. Die Frauen passen sich diesem männlichen Ton entweder an – oder gehen in der Löwengrube unter. So geht das aber nicht.

Übrigens: Seit einem Weilchen überlege ich hin und wieder ein bisschen vor mich hin, ob Männer nicht womöglich deshalb sich so heftig gegen Quoten und ihre Schwestern wehren, weil anderenfalls über kurz oder lang die eigene Leistung unweigerlich auf den Prüfstand gestellt würde. Und sehr viele ahnen wohl, dass sie dieser Prüfung womöglich nicht Stand halten würden.

Hier kann unterschrieben werden, für eine ausgeglichenere Welt: http://temi.repubblica.it/altoadige-appello/?action=vediappello&idappello=391302

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Sylvia Rier Fr., 12.07.2013 - 08:16

Die Tageszeitung hatte neulich die Umfrage gestartet, was Politiker von dem Appell des "Alto Adige" in Sachen doppelter Vorzugsstimme hielten. Fast alle Befragten antworteten, dass sie nicht viel von der Idee halten, weil "das ist keine freie Wahl, wenn ich dem Bürger vorschreibe, wie er zu wählen hat". Dabei frage ich mich: Welche Wahl ist denn, bitteschön, in diesem Sinne "frei"? Wir wählen doch auch ohne doppelte Vorzugsstimme keineswegs "frei", sondern aus den Kandidaten, die uns von den jeweiligen Parteien "vorgesetzt" werden. Ich kann da keinen Unterschied erkennen (hier der Link zum Video: http://www.tageszeitung.it/2013/07/08/ich-liebe-die-frauen/)

Fr., 12.07.2013 - 08:16 Permalink
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no name Fr., 12.07.2013 - 09:57

Antwort auf von Sylvia Rier

12.07.: Silvia da kann ich Dir nur zustimmen: die meisten von denen, die zum Schluss in Frage kommen, sind für mich in der Wahlkabine oft nicht besonders interessant. Also von freier Wahl keine Rede. Und auch der Rest ist für mich oft alles andere als Volksvertretung: im Gegenteil, ich habe erlebt, wenn man sich als Bürger aktiv für etwas einsetzt, ist etwas gewiss: der Widerstand der Machtinhaber pro tempore. Auch ich habe schon vor 20 Jahren französchische Familien erlebt, in denen gemeinsame Kinder und Haushaltsbetreuung selbstverständlich war, die hatten alle mehr als 3 Kinder! Die Frauen waren voll berufstätig und die Kinderbetreuung funktionierte schon damals.

Zu Oliver: Deine Befürchtungen bezüglich Familie und Erziehung sind berechtigt, aber sicher nicht wegen der Gleichstellung von Mann und Frau, sondern wegen der Verunsicherung der Eltern und Erzieher allgemein. Die postheroische Dekadenz und nicht zuletzt die, in meinen Augen falsch interpretierten Uno- Kinderrechtsbestimmungen, haben dazu geführt, dass weder Vater noch Mutter, wohl aber das Kind in der Familie und auch sonst den Ton angibt und von überall Unterstützung bekommt. Das ist das wahre Problem.

Fr., 12.07.2013 - 09:57 Permalink
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no name Di., 16.07.2013 - 07:39

16.07. Silvia, ich finde es stimmt, was Du da sagst: es gibt so was wie zwei Lager in der SVP und mich stört diese Abgrenzung Männer/Frauen genauso wie in der Kirche. Hab so ein bißchen mitgehört, was sie so anfangen zu erzählen, im Wahlgefecht (und dafür haben ja anscheinend nur die mit genügend Geld die Möglichkeit) .Mir ist aufgefallen, es gibt da einzig die Birgit Disertori, die da sagt, es müsse sich die Wirtschaft der Familie anpassen und nicht umgekehrt und sie baue auf das Kapital, das sie sich durch ihre Bekanntschaften aufgebaut habe, nicht auf ihr Portmonee. Das fand ich recht sympatisch, da gab's keine Anzeichen von Fronten oder Abteilungen.

Di., 16.07.2013 - 07:39 Permalink
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Sylvia Rier Di., 16.07.2013 - 07:51

Antwort auf von no name

Weiss Heid :-) Dann werde ich mir Birgit Dissertori mal ein bisschen genauer ansehen, klingt ein bisschen tröstlich, was du da sagst. Und tatsächlich, das macht schon auch ein bisschen nachdenklich, nicht wahr, dass man sich einen Wahlkampf keineswegs ideell/intellektuell, sondern vor allen Dingen finanziell muss leisten können... da wären wir also wieder bzw. immer noch, beim "inner circle" des Herodot ;-)

Di., 16.07.2013 - 07:51 Permalink