Politik | Unterschriften für Direktzug

Wenn der Zug nicht mehr kommt

Die ÖBB möchte, die Osttiroler Pustertaler und die Südtiroler Pustertaler möchten. Den Korridorzug Lienz – Innsbruck erhalten. Ein Reisebericht aus dem rot-weißen Traditionsfahrzeug.
senza dimora parco delle religioni
Foto: Privat

Dienstag früh, 6.30 Uhr, der rot-weiße ÖBB-Korridorzug hält in Bruneck. Am Bahnsteig warten etwa 15 Leute, eine Mittfünfzigerin unterhält sich lautstark mit einem jungen Mann. Beide aus dem Ahrntal, die Frau ist verärgert: „A sella Quatsch wos de Politika sich widdo amo ausgedenkt hom.“ Das Thema am Bahnsteig ist bald klar: Es geht um den, auf den hier alle warten, den Zug aus dem Osten, den Korridorzug, der bislang Studenten, Pendler, Familien, ArbeiterInnen, ältere Menschen und Touristen an Ort und Stelle brachte. Endstation: Innsbruck Hauptbahnhof, 8.29 Uhr.

Die Leute, die Menschen
Der Zug ist da, einsteigen, weiterfahren. Die Abteile gut belegt, die Vorhänge teilweise zugezogen. Die ersten Gäste sind um 5 Uhr früh in Lienz eingestiegen, viele schlafen noch, nützen die Morgenstunden, um zu dösen, aber auch um sich auf die Arbeit vorzubereiten. Laptop raus, anstecken, telefonieren, schreiben, lesen. Eine schwarzhaarige Frau hat die abnehmbare Babytasche ihres Kinderwagens neben sich auf den Sitz abgestellt, ihre vier Monate alte Tochter schläft. „Das Einsteigen war nicht gerade bequem mit den hohen Treppen, aber zumindest eine Direktverbindung, wo wir nicht umsteigen müssen.“ Fünf Taschen hat sie bei sich, in Sillian zugestiegen, nach Innsbruck fährt sie, zu Freunden: „In Sillian tun die Leute schon ganz wild, alle regen sich auf, dass der Zug wegkommen soll. Eines möchte ich sagen", betont die Osttirolerin, "wir sind ja nicht blöd. Das stört mich, dass die Politiker sagen 'es geht nicht mehr.' Fakt ist: Sie wollen nicht mehr, bemühen sich nicht. Auf die Menschen schaut niemand wirklich - was die brauchen.“

Widmann winkt ab
Bis Dezember noch fährt der lieb gewonnene Zug, dann sei die Trasse abbestellt, verkündeten die Tiroler Grünen Georg Willi und Thomas Haidenberger Mitte Juli und bekräfigten damit die Bahn- und Buspläne der Tiroler Landesregierung. Es gebe, laut den beiden Politikern, nicht einmal mehr eine theoretische Option für eine direkte Zugverbindung, schreibt die Dolomitenstadt.at. Bürgermeisterin Elisabeth Blanik aus Lienz kämpft für den Zug und wehrte damals ab: „Stimmt nicht, die Kuh ist nicht aus dem Stall.“
Zu Salto.bz sagt Blanik, sie fahre mit dem Auto gerade nach Innsbruck: „Eine Rettung des Direktzuges ist sehr wohl möglich, wir treffen uns Anfang September mit der Landesrätin Felipe und dann werden wir sehen. Eines unterstreiche ich: Diese Art Politik zu machen, verabscheue ich zutiefst. Dem Herrn Widmann kann ich nur gratulieren, bislang hat er 168.000 Euro für den Zug von Lienz nach Innsbruck bezahlt. Seine schönen Flirtzüge sind ihm einfach mehr Wert.“ Mit Verabscheuen meint Blanik auch die Grüne Politik in Tirol: “Die Trasse wurde am 27. Juni abbestellt, also in der Amtszeit von Ingrid Felipe."

Kein Klo im Bus
Gegenüber der Frau mit dem Baby sitzt die Ahrntalerin, die am Brunecker Bahnsteig geschimpft hatte. Zwei Mal pro Woche musste sie von April bis Mai nach Innsbruck in die Klinik fahren, jetzt noch einmal in der Woche. Aus St. Jakob kommt sie, im hintersten Ahrntal, der Bus bis Bruneck braucht eine Stunde. Direkt am Bahnhof konnte sie bislang umsteigen, den Zug nehmen, der sie ganz bequem an ihr Ziel brachte. „Es ist schon sehr bedauerlich“, sagt sie „die Direktverbindung nach Innsbruck ist immer gut genutzt und so geschickt. Wenn der Zug weg ist, dann ist das einzig und allein die Schuld der Politik. Es sind ja auch so viele Schüler, die betroffen sind.“ Bemüht hätte sich wahrlich niemand im Land dafür, dass der Zug weiter fahren kann, nicht die in Südtirol und nicht die in Nordtirol. Für sie ist klar: „Einen Bus bis nach Innsbruck zu nehmen, das kann ich mir nicht vorstellen.“ Eine Sillianerin, um die 70, kann dem nur zustimmen: „Ich musste neulich mit dem Bus nach Innsbruck fahren, 20 Minuten Aufenthalt auf dem Brenner und dann über die Landtstraße weiter. Nein, Zeit hab ich keine gespart, auch wenn der Bus in Südtirol nicht mehr hält. Und gerade jetzt mit dem ganzen Verkehr auf der Pustertaler Straße.... Aufs Klo konnte ich im Bus auch nicht gehen.“

Abgeschnittener Osten
Elisabeth Blanik weiß von diesen Beschwerden, sie kann nur den Kopf schütteln, Lobbys haben alte Menschen und Familien eben keine: „Da wird mit ganz unsauberen Mitteln vorgegangen. Zur Zeit fährt mal der Bus, mal der Zug, die BürgerInnen werden nicht informiert, plötzlich heißt es, es gibt keine italienischen Zugbegleiter, die seien alle im Urlaub. Es gibt auch nur mehr zwei Waggons, die fahren. Ich kann nur sagen, ich bin sehr enttäuscht vom Land Tirol. Die ÖBB wäre ja bereit, die Züge fahren zu lassen, aber die können da gar nichts machen.“ Über die Tausenden Unterschriften, die Studenten derzeit für den Erhalt des Zuges sammeln, freut sich Blanik, „die werden wir Frau Felipe übergeben. Es gibt einfach nur Nachteile für die Leute, wenn der Direktzug aufgelassen wird.“

Aussteigen, bitte!
In Franzensfeste steigen jene Passagiere aus, die den Anschlusszug nach Bozen nehmen. Drinnen bleiben und bequem weiterfahren können die Osttiroler, die in die Landeshauptstadt müssen. „Und schreiben Sie noch“, ruft eine junge Frau aus Innsbruck, die ihren Freund in Lienz besucht hatte, „dass das zu einer noch größeren Kluft zwischen Ost- und Nordtirol führt.“

Südtirol schaut zu und bezahlt indes acht neu Flirtzüge, raffiniert ausgestattet mit Lodenbezügen der Firma Moessmer. Ein Sessel kostet 1.000 Euro. 260 Sessel hat ein Zug, dazu kommen 16 Klappsitze. 69,5 Millionen Euro werden für die neuen Flirts veranschlagt, acht Erweiterungsmodule zu acht Millionen Euro kommen dazu. Macht insgesamt 77,5 Millionen Euro. Die Unterstützung für den Korridorzug hatte Widmann in seiner Kalkulation wohl vergessen. Die Pustertaler WählerInnen wohl auch.