Politik | Landtagswahlen 2013

salto-Wahlkampfanalyse Teil 4: Die SEL und die „latent Empörungsbereiten“

Landtagswahlen 2013: Die Meinungsforscher Hermann Atz (apollis) und Gernot Gruber (Gruber & Partner) analysieren auf salto.bz die Schauplätze dieses Wahlkampfs. Heute: Trügt die Ruhe um die SEL?

salto.bz: Noch im Frühjahr hatte man den Eindruck, der SEL-Skandal würde die Südtiroler Volkspartei viele Stimmen kosten. Im Wahlkampf nun scheint der Volkszorn verraucht und das Thema vergessen. Wird das so bleiben?

Hermann Atz: Hier gilt dasselbe wie für alle anderen Themen: Es hängt von den Akteuren ab, ob es gelingt, das Thema noch einmal hochzukochen. Doch insgesamt dürfte der übliche Ermüdungseffekt eingetreten sein, das Thema SEL ist einfach zu früh gekommen. Das war schon vor einem Jahr abzusehen, dass es im heurigen Herbst nicht mehr so heiß gegessen werden wird.

Gernot Gruber: Durch seine Struktur hat der SEL-Skandal schon etwas von einem Schläferthema. Klar, das ganze Thema ist jetzt einmal ein wenig eingeschlafen, aber sobald zum Beispiel Staatsanwalt Rispoli noch einmal irgendetwas rauszieht, dann wird es wieder massiv da sein. Ich glaube, dass ist auch das große Risiko in diesem Wahlkampf. Wenn ich Arno Kompatscher heißen würde, würde ich von jetzt an nicht mehr gut schlafen.

Warum denn nicht?

Gernot Gruber: Weil im Prinzip jeden Tag eine Zeitbombe losgehen kann. Die SEL-Geschichte ist von einer so hohen Emotionalität, dass es reicht, wenn sie nur kurz wieder aufgekocht wird. Würde das auch noch in der zweiten Oktoberhälfte passieren, wäre das schon ausreichend, dass drei bis vier Prozent der WählerInnen der SVP den Rücken kehren. Denn wir wissen aus unseren Langzeitanalysen, dass auf einem stabilen Sockel von rund 42 Prozent, auf den die SVP bei den Stimmen zählen kann, obendrauf noch weitere sechs bis sieben Prozent sind, die ich immer die „latent Empörungsbereiten“ nenne. Das heißt, die sind wieder weg, wenn eine bestimmte Themenkonstellation kommt.

Diese Unsicherheit dauert bis zum letzten Tag ...


Gernot Gruber: Bis zum Wahlsonntag ...

Hermann Atz: Man muss beim SEL-Skandal schon auch berücksichtigen, dass die Protagonisten, also Michl Laimer und Luis Durnwalder, weg sind. Also ganz so heiß ist die Sache nicht mehr.

Gernot Gruber: Doch was in den Köpfen der Wähler bleibt, ist das Muster, die Assoziationskette der SEL-Geschichte, die da lautet: SEL ist gleich Sumpf ist gleich SVP. Wenn also jetzt noch einmal etwas daherkommt, das ein annähernd ähnliches Muster hat, wird das alles noch einmal aufgekocht.

Hermann Atz: Wenn zum Beispiel morgen dem Thomas Widmann etwas angeheftet wird, dann schon. Aber eben: Wenn, dann was Ähnliches wie die SEL und nicht die SEL selber, weil dort gibt es jetzt ja nur mehr Unschuldslämmer.

Lesen Sie mehr über die Zahlenspiele von Thomas Widmann.

Die Zugpläne des Wirtschaftslandesrates Widmann finden sie hier.

SVP-Harmonie gibt es im folgenden Beitrag.

Wer hat am meisten vom SEL-Skandal profitiert?

Hermann Atz: Wer weiß das letztendlich. Klar ist: entweder die Grünen oder die Freiheitlichen.

Also kann man nicht quantifizieren, wer sich besser als Systemkritiker qualifiziert hat?

Gernot Gruber: Wer die Sache verfolgt hat, für den ist klar, dass es die Grünen waren. Aber alle anderen unterscheiden da, glaub ich, nicht einmal so genau zwischen den Oppositionsparteien.

Das heißt, den Grünen wird es nicht gelingen, Kapital daraus zu schlagen?

Hermann Atz: Teilweise schon, aber sicher nicht in vollem Ausmaß. So wie beispielsweise die Kärntner Grünen, denen vor einem Jahr die Aufdeckerrolle im dortigen Skandal zuerkannt wurde.

Gernot Gruber: Es gibt da mehrere Väter, die alle versuchen, den Vaterschaftsnachweis zu bekommen: von Thomas Egger angefangen über die Rest-Freiheitlichen, um sie so einmal so zu bezeichnen, bis hin zu den Grünen, die aus meiner Sicht rein sachlich das Anrecht auf die Vaterschaft hätten. Aber das bleibt irgendwie im Obskuren. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass die SEL für viele der Beweis für etwas war, das man eh schon gewusst hat. Dieser Skandal war sozusagen der Beleg eines Systems, das man eh schon gekannt haben und da ist dann gar nicht mehr wichtig, wer denn eigentlich den Finger drauf gelegt hat. Denn es scheint, wir haben es eh alle schon gewusst.

Hermann Atz: Obwohl dieser offensichtliche Rechtsbruch von führenden Politikern war schon irgendwie eine Neuheit.

Gernot Gruber: Ja, in der Auswirkung. Man hat endlich den Beweis gehabt. Doch das Muster, dass es unter der Hand solche Dinge gibt, war weit verbreitet. Mit der SEL war dann für die „Systemgegner“ der Beweis da.

Hermann Atz: Dieser Verlust der paradiesischen Unschuld ist eigentlich schon ein Meilenstein gewesen. Nicht nur in Rom geht es korrupt zu oder in Neapel, sondern unter Umständen auch in Bozen – wenn auch natürlich nur für die gute Sache.

 

Demnächst auf salto.bz, Teil 5 des Gesprächs mit den Meinungsforschern Gernot Gruber und Hermann Atz. Das Thema: Zahlenspiele in der deutschen Parteilandschaft.