Direkte Demokratie: Wem fallen die Stimmen in den Schoß?

Die Südtirolerinnen sind müde von den Spielen der SVP. Alte und junge BürgerInnen begehren auf. Die 10.000 Unterschriften, die die Initiative für Direkte Demokratie zusammengetragen hat, verkauft die SVP nun als ihr Markenzeichen.

1918 ist sie geboren, mühsam studierte sie das Informationsblatt der Initiative für Direkte Demokratie. An einem Sonntag im September, am Dorfplatz in - nennen wir das Dorf Ratschings. "Schreiben Sie nicht woher ich bin, ich bin eine Außenseiterin im Dorf", sagt die Dame am Telefon mit fester Stimme, "ich sag nur eins, die Politik regt mich auf. Aber sie hält mich auch fit."

Wie die 95-Jährige kamen Leute aller Coleur und aller Altersstufen in den vergangenen Monaten zum Unterschreiben. Bewusst gaben sie ihre Unterschrift, um zu verhindern, dass ein, von der SVP, kurz vor der Sommerpause durchgedrücktes Gesetz zur Bürgerbeteiligung, verabschiedet wurde. Claudia Renzler aus Bruneck ist eine der 100 Wahlhelferinnen, die von Mitte Juli bis zum 13. September Unterschriften gesammelt hatte. "Ich tu das eigentlich nicht gern, mich so exponieren", sagt Renzler, "aber ich hab große Genugtuung erfahren. Die Leute haben sich Zeit genommen, sind angestanden um zu unterschreiben, gekommen sind Bürger quer durch die Bank. Ja, sie wollen eine Veränderung." Die Reischacherin war mehrmals erstaunt über das Engagement älterer Menschen: "Zwei alten Damen sind vom obersten Bruneck mit dem Rollator gekommen, eine hat fast nichts mehr gehört. Da hab ich sie gefragt, ob sie schon alles verstanden hat. Und sie hat gesagt: 'Ich hör zwar nicht mehr gut, aber versteh ganz genau, worum es geht."

Wer verkauft sich selbst?

Nun sind die über 8.000 Unterschriften im Kasten - 4.000 waren es erst am 28. August, die Bögen aus den Gemeinden kehren zurück in die Auszählzentrale der Initiative. "Feiern tun wir erst, wenn das alles abgeschlossen ist", sagt Stephan Lausch sachlich, "wir hatten Ende August wirklich Angst, dass wir das Quorum nicht erreichen. Die Sommerzeit war extrem ungünstig, um ein politisches Thema den Leuten schmackhaft zu machen." Während sich Stephan Lausch in Bescheidenheit übt, nützt die SVP die Zeit. Aus ihrem, wird unser, das Produkt der Bürger verkauft die Regierungspartei nun als Markenzeichen. „Im Sinne der bereits gesammelten 8.000 Unterschriften unterstützt die Südtiroler Volkspartei die Abstimmung über das Gesetz“, betont SVP-Obmann Richard Theiner am gestrigen Montagnachmittag, 16. September. Doch damit nicht genug. Obmann Theiner führt weiter aus, will unter den Tisch kehren, verstecken. Seine Formulierung: „Wir haben Wort gehalten und das Gesetz zur Bürgerbeteiligung noch in dieser Legislaturperiode, im Juni verabschiedet.“ Dass es laut diesem Gesetz 26.000 Unterschrifte gebraucht hätte um einen Volksentscheid zu beantragen, ("das ist unmöglich“, sagt Lausch), dass das Gesetz in einer Nacht- und Nebelaktion durchgedrückt wurde, ein Aufschrei durch die Opposition ging, all das wird in Wahlkampfzeiten lieber verschwiegen. Statt dessen verweist auch Erstunterzeichner Arnold Schuler weiterhin auf die Sinnhaftigkeit des von ihm eingebrachten Gesetzentwurfes: „Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass das neue Gesetz konkret eine seriöse Mitbestimmung zulässt.“

"Eine Frechheit"

Wieder einmal übernimmt die SVP Erfolge anderer, Lausch, der seit 1994 mit der Initiative „Für mehr direkte Demokratie“ durch das Land zieht ("das ist mittlerweile unsere fünfte Unterschriftensammlung") findet es einfach nur „eine Frechheit“. Eine nachhaltige Partizipation der BürgerInnnen könne sich die SVP wahrlich nicht auf die Kappe schreiben, eine weitere Verlogenheit sei die Präsentation der SVP bei den Online-Wahlen des Jugendringes. Dort präsentiert sie sich als große Bürgerbeteiligerin, bei der Frage Nummer 25 "Soll das Land Südtirol mehr direktdemokratische Formen und Mitbestimmung nach dem Schweizer Modell umsetzen?" antwortet die SVP mit einem klaren JA. Wer für die Bürgerpartizipation ist, ist also auch ein SVP-Wähler? Lausch fuchst dies gewaltig, "mit dem Jugendring sind wir schon in Kontakt und haben sie darauf hingewiesen, die Kommission behandelt diesen Fall gerade. Und obwohl Günther Pallaver in der Kommission drinnen sitzt, ist ihnen der Widerspruch nicht aufgefallen."

Jubel: Kein Quorum im Januar

Doch aufatmen dürfen die Initiativler erst mal, „mit den etwa 10.000 Unterschriften der SüdtirolerInnen wird nun verhindert, dass das Gesetz der SVP in Kraft tritt, es wird also aufgehalten", erklärt Lausch. Im Januar 2014 geht es weiter - ohne Quorum. Die geforderte Volksabstimmung über den Gesetzesentwurf der Südtiroler Volkspartei findet dann statt. „Die Frage wird lauten: Wollt ihr, dass das Gesetz der SVP verabschiedet wird. Wir hoffen natürlich auf viele Nein-Stimmen“, sagt Lausch. "Da das Autonomiestatut betroffen ist, geht es im Januar um ein Verfassungsreferendum. Endlich fällt das Quorum", sagt Brigitte Foppa von den Grünen sichtlich erleichtert. Außerdem wurde mit der Unterschriftensammlung erreicht, dass der Gesetzesentwurf der Initiative wieder im Landtag behandelt wird. Auch das wird im neuen Jahr automatisch passieren.

Namhafte Südtiroler unterschrieben für mehr Mitbestimmung. Kuno Tarfusser etwa unterschrieb, Giovanni Salghetti Drioli unterschrieb, Jouranlisten der Rai ("sonst halten die sich lieber neutral"), SVP-Bürgermeister und SVP-Gemeinderäte gaben schriftlich ihre Stimme ab. Nichts zu schämen also, für die alte Dame aus, nennen wir es Ratschings. Oder sind 10.000 SüdtirolerInnen als Außenseiter zu bezeichnen?