Politik | Interreg: "Mehr Frauen - mehr Demokratie"

Christine Baur: "Die Politik ist kein Schlachtfeld"

Christine Baur ist Frauenlandesrätin in Tirol. Auf der Interreg-Tagung in Bozen am Freitag, 20. September, spricht sie über die Motivation von Frauen, Politik mit zu gestalten. Ein Gespräch vorab mit Frau Baur, exklusiv auf salto.bz.

"Mehr Frauen – mehr Demokratie“ so die These der Interreg-Tagung am Freitag, 20. September, im TIS-Innovationszentrum Bozen. Getagt wird überregional. Christine Baur, Sprecherin der Grünen Frauen Tirol, ist auch dabei und hält ein Impulsreferat mit dem Titel: „Warum wollen sich Frauen (nicht) in der Politik engagieren?“

Frau Baur, warum engagieren sich Frauen nicht in der Politik?

Christine Baur: Wir bemerken einen Rückgang im Engagement in den herkömmlichen politischen Positionen. Politiker oder Politikerin zu sein, das ist ja fast ein Schimpfwort heute. Ich persönlich bemerke Wertschätzung auf der Gemeindeebene, ich bin ja auch Gemeinderätin in Sistrans. Da sagen die Leute oft, „gut, dass du das machst“, und „gut, dass es dich gibt“. Aber je höher es rauf geht, desto schwieriger wird es. Außerdem: die mediale Wahrnehmung darf nicht vergessen werden. PolitikerInnen sind nicht gut angesehen.

Politik heißt für viele Freunderlwirtschaft und Korruption. Die Glaubwürdigkeit bleibt auf der Strecke. Wie erleben Sie dieses „sich anpassen müssen“?

Christine Baur: In der Koalition mit der ÖVP ist es natürlich ein ständiges Aushandeln. Was mir wichtig ist zu sagen, das sage ich. Da kann ich meine Politik einbringen. Ich möchte zum Beispiel, dass auch in den öffentlichen Krankenhäusern ein Schwangerschaftsabbruch gemacht werden kann. Ich kann mich in der Opposition ja ewig darüber beschweren, dass etwas nicht weiter geht. Jetzt hab ich die Gelegenheit zu sagen, was mir nicht passt. Genau das ist Demokratie für mich, unterschiedliche Interessen zu einem Konsens zu bringen, aushandeln, sich austauschen. Kompromisse finden.

Es dauert oft lange bis wirklich etwas weitergeht, ist also ein langer Atem notwendig?

Christine Baur: Ja, ein sehr langer Atem. Aber haben wir Frauen nicht generell einen langen Atem? Das Sich-anpassen, das Finden von Kompromissen, gehört dazu. Das ist ein Faktum im politischen Alltag, darüber brauche ich nicht zu diskutieren. Das ist einfach so. Aber das ist nicht nur in der Politik so.

Was ist Politik für Sie? Warum engagieren Sie sich?

Christine Baur: Der Sinn von Politik ist Frieden und nicht Krieg. Es geht darum, den Frieden zu erhalten. Die Politik ist kein Schlachtfeld. Mir ist ein Zitat von Hannah Arendt ganz wichtig: „Sagen was ist – verändert die Welt.“ Ich wiederhole meine Visionen immer wieder. Ja, Visionen braucht es.

Politik ist kein Schlachtfeld? Die Medien sehen dies aber anders, Politik wird doch immer als Schlachtfeld präsentiert.

Christine Baur: So wird es zumindest von den Medien präsentiert und ich glaube, dass die Medien selbst etwas dazu lernen müssen. Die JournalistInnen müssten sich selbst an der Nase nehmen und sich fragen: Wie benutze ich Sprache, wie transportiere ich Sprache, was schlachte ich aus um etwas heraufzubeschören.

Auch Peer Steinbrück ist kurz vor der deutschen Bundestagswahl in das Kreuzfeuer der Medien geraten, ohne Medien kann kein Politiker Wahlen gewinnen. Steinbrück spricht von einer Medienkampagne, doch was kommt zuerst, das Huhn oder das Ei? Wie weit geht der Informationsauftrag der Medien?

Schon Ex-Bundeskanzler Schröder sagte: „Zum Regieren braucht es nur Bild, BamS (Bild am Sonntag) und Glotze“

Sie treten ein für eine andere Kommunikation in der Politik: Sagen was frau denkt und trotzdem sachlich bleiben. Durch Ihre Koalition mit der ÖVP müssen Sie sich oft auch unangenehme Dinge sagen lassen. Vom Umkippen und feigen Kompromissen ist die Rede.

Christine Baur: Ja, ja (lacht) da hört man so allerhand. Es heißt etwa „die verbiegt sich.“ Aber noch einmal: Lieber bin ich in der Koalition und habe einen gewissen Handlungsspielraum, als ewig herum zu kritisieren.  

Und was braucht frau noch, wenn sie sich in die Politik begeben will?

Christine Baur: Sie muss es aushalten, in der Öffentlichkeit zu stehen, sie muss reden können, sich sachlich auskennen. Sie muss konfliktfähig sein, das ist mir ganz wichtig: Politik muss sachlich sein, miteinander streiten ist wichtig, aber es muss eine positive Art des Streitens sein. Dafür brauche ich eine hohe Kompetenz. Und die bringen Frauen meistens von Haus aus mit, ebenso wie die Fähigkeit andere einzubinden, mit ins Boot zu holen. Ich bin Mediatorin und Anwältin, die gewaltfreie Kommunikation ist mir ein großes Anliegen.

Frauenpolitik ist ein immer wieder umstrittener Begriff. Was wollen Frauen und gibt es "die" Frauen? Die Bloggerin und vierfache Mutter Birgit Kelle sorgt derzeit in Deutschland für Furore. Sie kämpft gegen "Gender-Wahn" und "Quoten-Zwangsbeglückung". Im Interview mit freiwelt.net sprach sie über Sexismus, Emanzipation und Familienpolitik

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Viele Frauen engagieren sich im alltäglichen Leben, von der Parteipolitik lassen sie lieber die Finger.

Christine Baur: Genau. Viele Frauen engagieren sich ja in Vereinen, aber die Parteipolitik ist ein Ort, wo eigentlich niemand hin will. Es scheitert ja oft schon an der Struktur.

Wie meinen Sie das?

Christine Baur: Die Sitzungen am Abend, die ewig dauern. Wer denkt schon an die Kinderbetreuung, das ist nach wie vor Frauensache? Wenn man in einer Gemeinderatssitzung um 20 Uhr fünf Stunden über den Kanaldeckel redet, dann ist das für mich nicht einladend. Wenn ich nicht weiß, wofür ich mich engagiere, dann fehlt die Motivation, es braucht Visionen.

Der Eindruck entsteht, dass Männer sich mit Frauen in der Politik gerne schmücken. Eine Südtiroler Politikerin hatte neulich den Satz gesagt „eine Veränderung geht gemeinsam leichter.“ Ist die Politik soft geworden?

Die Säuglingsschwester muss langfristig gleich viel verdienen wie der Universitätsprofessor.

Christine Baur: Ich glaube auch, dass es nur gemeinsam gehen kann, das hat nichts mit soft zu tun. Wir müssen unseren Auftag in der Politik ernst nehmen, gerade weil es uns so gut geht, müssen wir die Demokratie weiterentwickeln. Wir brauchen eine Veränderung des Systems. Konkret heißt das für mich, wenn ich die Forderung gleicher Lohn gleiche Arbeit hernehme, dass wir einen Schritt weiter gehen. Die Säuglingsschwester muss langfristig gleich viel verdienen wie der Universitätsprofessor. Unterschiedlich aber gleichwürdig.

Das gäbe wohl einen Aufschrei. So klar positioniert sich die Politik doch nicht, also doch soft?

Christine Baur: Die Politik ist oft feige, das stimmt. Mein Verständnis von Demokratie ist: Ich steh für etwas ein und ich muss den Mut haben, das zu transportieren. Ich kann nicht sagen: was wollt ihr und ich gebe es euch.

Mehr Frauen - mehr Demorkatie, also?

Macht ist immer noch ungleich verteilt. Daraus ergibt sich eine ungleiche Verteilung der Güter, der Mitgestaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten. Mehr Frauen in der Politik heißt eine gleichere Machtverteilung. Außerdem haben Frauen ein anderes Demokratieverständnis. Sie orientieren ihr Handeln und Denken viel weniger an hierarchischen Strukturen als Männer.

Welche Änderung braucht es also um Politik für Frauen wieder attraktiver zu machen?

Christine Baur: Wenn Parteien es schaffen die Kultur, die sie nach außen transportieren wollen, auch in ihrem Inneren zu leben, dann wäre schon viel getan. Es braucht mehr Demokratie in den Parteien. Die Kunst besteht darin, auf hohem Niveau sachlich zu diskutieren und einen Interessensausgleich zu erwirken. Die BürgerInnen haben sich gute PolitikerInnen verdient. Das ist mir wichtig, und Frauen können in der Politik dafür einen wesentlichen Beitrag leisten.