Gesellschaft | Alkoholdaten ASTAT

Rauschende Vorbilder

Alkohol ist kein Problem der Jugend, sondern ein Problem unserer Gesellschaft. Paolo Pedevilla aus St. Matin in Thurn stimmen die veröffentlichten ASTAT-Daten nachdenklich. Johanna Plasinger, vom Amt für Statistik erklärt: „Wir zeigen auf, werten ist nicht unsere Absicht.“

Paolo Pedevilla aus St. Martin in Thurn war alkoholabhängig, seit 16 Jahren ist er abstinent. Dass immer wieder Jugendliche gerade stehen müssen, für einen Misstand in der Südtiroler Gesellschaft, das findet er ungerecht. Seit zehn Jahren leitet Pedevilla eine Selbsthilfegruppe für Alkoholkranke im Gadertal. Die Leute, die heute zu ihm in die Gruppe kommen sind meist um die 50, mit einer langen Suchtgeschichte im Nacken. Jugendliche haben immer schon getrunken, sagt Pedevilla, „das war früher ein viel größeres Problem. Als ich 20 war, da hat man jeden Tag getrunken. Ein paar Bier nach Feierabend, das hat dazugehört. Auf den Baustellen, da hat der Chef sogar den Alkohol mitgebracht." Heute gibt es das nicht mehr, dafür gibt es Daten: die jüngsten vom ASTAT vorgelegten zeigen einen anscheinend neuen Trend unter Jugendlichen auf: 20,7 Prozent der Menschen zwischen 14 und 29 Jahren neigen in Südtirol zum sogenannten „Binge-Drinking“. Der Südtiroler Konsum von mehr als fünf oder sechs Gläsern Alkohol an einem Abend ist italienweit der höchste. Pedevilla, wie auch viele andere Vereine in Südtirol, betrachten diese Daten skeptisch. Johanna Plasinger, Leiterin vom Amt für Statistik versteht das und präzisiert: „Viel trinken ist gleich schlimm wie oft trinken. Wir hatten als Amt für Statistik die Aufgabe gesundheitsschädigende Faktoren aufzuzeigen. Da können wir Daten nicht einfach verzerren. Und trinken im Jugendalter ist extrem gesundheitsschädigend.“

Daten machen Meinung

Dass Daten Meinungen produzieren, dessen ist sich Plasinger bewusst. Meinungen, die auch von Medien gesteuert werden. „Eine Schlagzeile zum Alkohol sorgt immer für Publikum, da springen die Medien gerne auf. Das können wir nicht verhindern.“ Im Mittelpunkt der statistischen Betrachtung des ASTAT stand der Alkoholmissbrauch, „wir können dann ja schlecht sagen, so und so viele Leute trinken nicht. Das ist zwar gut, aber wir sollten ja Daten zum Missbrauch bringen. Und, dass Alkohol unter Jugendlichen stark missbraucht wird, das ist ein Fakt.“

Für Paolo Pedevilla ist Präventionsarbeit im Jugendbereich entscheidend, aber sie darf nicht dort stehen bleiben. „Fahren sie doch mal nach Bad Bachgart, da hab ich noch nie Jugendliche getroffen. Da sind 40-, 50- und 60jährige zu finden.“ Amtsdirektorin Plasinger präzisiert: „Unsere Aufgabe war es, eine Bewertung zu machen, ohne zu werten. Wir wollen sicherlich keine Bevölkerungsgruppe an den Pranger stellen, wir liefern Daten, so wie sie sind.“

Erster Kontakt: die Familie

Wenn Pedevilla zurückblickt weiß er, es hat sich einiges getan, in Südtirol. „Auf das Thema Alkohol reagiert man zunehmend sensibler“, sagt er. Noch vor 20 Jahren war das anders, erinnert sich der Gadertaler. Nachdem er sich zu seiner Sucht bekannt hatte hieß es im Gasthaus, wenn er ein Glas Mineralwasser bestellte, „Jo wos bischen du für a Monn“. Damit musste man lernen umzugehen, heute sei er selbstbewusster und stolz auf sich. Auch darauf, ein gutes Vorbild zu sein. Genau das ist entscheidend, denn Jugendliche schauen genau hin. Regelmäßiges Trinken zu Hause bleibt nicht unbeobachtet. Hier wünscht sich Pedevilla einen Fokus, auch datenmäßig: auf den Erstkontakt Jugendlicher mit Alkohol, denn „der passiert zu Hause, und das gesteht sich niemand ein".

Jeder kehrt vor seiner Tür

Niemand ändert gern Gewohnheiten, niemand gesteht sich gern Schwäche ein. „Dass der Alkohol Probleme verursacht, das wissen ja alle. Die Politiker, die Ärzte. Aber wenn es um ihr eigenes Trinken geht, dann will plötzlich niemand was verändern“, erklärt der Gadertaler und fordert: Genaue Aufklärungen über die Alkoholsucht, kein Alkoholverbot, „wie schnell Alkohol abhängig macht, das muss den Jugendlichen gesagt werden.“ Das Amt für Statistik wartet in den nächsten Wochen mit neuen Gesundheitsdaten auf: Risiko Rauchen und Risiko Übergewicht stehen dann im Visier der Zahlenjäger – und sicher auch in dem der Medien.

 

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no name Mi., 24.04.2013 - 13:56

Es ist richtig: auch früher wurde getrunken. Wenn früher allerdings unsere Eltern von der Polizei informiert worden wären, dass der (meistens) männliche Sprössling (Mittelschulalter) im Koma in der Ersten Hilfe zu finden ist, dann wären eben diese Eltern nicht angezeigt worden (vom Sprößling), wenn ihnen bei dieser Gelegenheit mal die Hand ausgerutscht wäre, bzw. es hätte die elterliche Autorität noch einen Einfluß auf den Wiederholungszwang gehabt. ..der Anblick besoffener, kaum der Volksschule entwachsener Mädchen, hätte z.B. meinen Vater zu wenig gesellschaftsfähigen Kommentaren verleitet, die heute soziopädagogisch nicht mehr in sind, denn da werden Studien finanziert, warum, weshalb der junge Mensch zum Suchtmittel greift. Wirtschaftlich relevant, auch der Griff zur Flasche. Wir schauen zu, wir holen sie ab, von der Fete, vom Event, von der ersten Hilfe und fühlen uns als guuuute Eltern. Und die Kids saufen weiter, weil die allgegenwärtige, überall erschwingliche Flasche zum Schnullerersatz wurde. Kein Wille zum erwachsen werden.

Mi., 24.04.2013 - 13:56 Permalink