Wirtschaft | Tage der Nachhaltigkeit

Podiumsdiskussion Brixen: Warum nicht das große Ganze verändern?

Was kann, soll, muss die heimische Wirtschaft tun, um Wertschöpfung und Nachhaltigkeit gleichzeitig zu produzieren? Diesen komplexen Fragen ging eine Podiumsdiskussion bei den Tagen der Nachhaltigkeit in Brixen nach.
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Foto: Matthias Lintner

Um das Thema Nachhaltigkeit kommt man nicht herum. Jeder Politiker, jeder Pädagoge, jeder Unternehmer beruft sich darauf. Ein schön schwammiger Begriff, den die Motto-Tage „think more about“ nun bereits seit drei Jahren konkret auszupolstern versuchen. Das Team um Günther Reifer, Evelyn Oberleiter, Andreas Wild und Susanne Elsen präsentiert an drei Tagen in Brixen ein dichtes und hochkarätig besetztes Programm zu den Themen der Postwachstumsgesellschaft.

Im Zentrum der Gedanke eines neuen Wirtschaftens, denn Unternehmen und Banken mit ihrem Fokus auf ständigem Wachstum stehen in Dauerkonflikt zur geforderten Entschleunigung. So begegneten sich am Podium Privatunternehmer wie Peter Thun, Gianni Bodini, Verbandsvertreter wie Gert Lanz (Handwerker), Walter Amort (Handel) und Leo Tiefenthaler (Bauernbund) sowie New-Economy-Pioniere wie Helena Norberg-Hodge, Maurizio Pallante und Kathrin Hartmann.

Was passiert bei uns in Sachen nachhaltiger Wirtschaft?

Der Eingangsfrage von Moderatorin Cornelia Dell'Eva nach den konkreten Maßnahmen zum nachhaltigen Wirtschaften durch die lokalen Wirtschaftsvertreter folgte eine Aufzählung von kleinen, bereits bestehenden Initiativen, wie der Regiokorn durch Südtiroler Bäcker, dem biodynamischen Weingut Gianni Bodinis in der Toskana oder dem Qualitätswandel beim Südtiroler Weinanbau.

Lediglich Gert Lanz vom LVH holte weiter aus und kritisierte die Anforderungen, denen seine kleinen Handwerksbetriebe ausgesetzt sind, nämlich, „per Gesetz wachsen zu müssen, obwohl dadurch kein Mehrwert entsteht und Innovationen wahrzunehmen, ohne genau zu wissen wozu diese gut sind.“ Die kleinen und mittleren Betriebe seien heutzutage von Steuerdruck und Bürokratie gegeißelt, die eine Wertschöpfung schwierig machten. Eine Verlangsamung sei kaum denkbar, meinte Lanz. So auch Walter Amort vom hds: Das Bewusstsein zum Umdenken sei bei vielen seiner Leute da, allerdings habe man sich noch nicht damit auseinandergesetzt, wie dieses Bewusstsein in konkrete Aktionen umschlagen könne.

Kopfschütteln bei Peter Thun: Er fühle sich als Unternehmer angegriffen, ein Nichtwachstum sei keine Option für sein Unternehmen und man müsse unterscheiden zwischen lokalen und multinationalen Betrieben. (Thun beschäftigt über 5.000 Mitarbeiter, ein Großteil der Produktion erfolgt in China) Multinationale Ausrichtung und globalisierter Druck ließen keine Alternativen zu als das dauernde Bestreben nach Innovation und Wachstum. Hier brachte sich die Preisträgerin des Alternativen Nobelpreises ein, Helen Norberg-Hodge: „Small is beautiful“, sagte sie und „big is subsidized“. Unsere Steuergelder würden genutzt, um Industriemonopole zu stärken, anstatt nationale und lokale Geschäfte, Jobs und Ressourcen zu schützen. Der Ball wurde von Journalistin Kathrin Hartmann aufgenommen, die eine Unverträglichkeit in der Struktur von Großkonzernen und Nachhaltigkeit konstatierte.

Äpfelproduktion runterfahren geht wie?

Leo Tiefenthaler vom Südtiroler Bauernbund konnte eine Erfolgsgeschichte aufweisen: Die Südtiroler Weinproduktion sei von 720.000 hL vor 25 Jahren auf 340.000 hL gedrosselt worden, die Qualität hingegen ist deutlich gestiegen. Ein Beispiel des Weniger ist Mehr. Und wie es denn bei den Äpfeln sei, hakte Dell'Eva nach.

Auch aus dem Publikum kamen viele Fragen, etwa nach der Abdrift der Spritzmittel auf Biobetriebe im Obervinschgau, nach der Sonntagsöffnung im geplanten Einkaufszentrum Twenty von Unternehmer Bodini, nach der Freihandelszone zwischen den USA und Europa die im Sommer in Kraft treten soll. Ein sehr gut informiertes Publikum mit viel Lust zur Teilnahme war das in Brixen.

Viele gute Ansätze, viel nicht zu Ende Formuliertes und viele Absichtserklärungen. Und auch einiges auf den Punkt gebracht, als nämlich Unternehmer Thun meinte „man dürfe keine Illusionen wecken, die nicht realisierbar sind“, und Journalistin Hartmann dazugab: „Warum sollen wir keine Träume wecken von einer anderen Welt? Warum sollten wir nicht das große Ganze verändern?“

 

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no name Sa., 25.05.2013 - 10:40

Habe den Eindruck, Unternehmer Thun gehört, wie viele andere jetzt auch in Südtirol zu jenem Teil der abgeschotteten Elite, die Anne Will in der letzten Sendung Ard 23.05.2013 angesprochen hat: diese Elite denkt inzwischen sogar so anders, dass es kaum mehr eine Verständigung gibt. Warum sonst sollte ein Mensch keine Träume (einer besseren Welt) mehr haben dürfen (sondern nur der Unternehmer Visionen (vom Wachstum)?

Sa., 25.05.2013 - 10:40 Permalink
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Sebastian Felderer Sa., 25.05.2013 - 20:26

Wer alle Träume in seinem Leben verwirklichen konnte, beneidet jene, die noch welche haben. So muss es dem Herrn Thun ergehen.
Und dazu zwei Gedanken aus anderem Munde:

Träume sind der nötige Sicherheitsabstand zur Wirklichkeit.

Autor mir unbekannt.

Josephine Baker sagt:

Unsere Träume
können wir erst dann verwirklichen,
wenn wir uns entschließen,
daraus zu erwachen.

Könnte auch sein, dass Herrn Thun dies gemeint hat und dabei hätte er gar nicht so unrecht. Zwischen dem Erwachen und dem Verwirklichen liegen Abgründe und den Sprung schaffen nicht viele. Ich wünsche es mir und allen, die guten Willens sind.

Sa., 25.05.2013 - 20:26 Permalink
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no name So., 26.05.2013 - 19:01

Antwort auf von Sebastian Felderer

Heute im Ö3 Frühstück hat H.Peter Haselsteiner, Strabag-chef und Multimillionär etwas gesagt, was genauso klingt wie Thun: ungefähr so "der Mensch ist nur glücklich, wenn er sein Leben nach der Realisierbarkeit seiner Wünsche ausrichtet", da hab ich mir gedacht, der kann gar nicht mehr nachvollziehen wie es einem italienischen Rentner oder einer alleinerziehenden Mutter geht mit den Wünschen. Da scheinen mir die schweizer Maßnahmen zum Grundeinkommen viel demokratischer, denn da bleiben sogar Träume und Wünsche möglich, das mein ich. Wir leben an der Demokratie vorbei.

So., 26.05.2013 - 19:01 Permalink
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Klaus Egger So., 26.05.2013 - 07:49

Solange wir vom Wachstums-Wirtschaftsmodell nicht wegkommen, wird uns alles nichts helfen. Und doch muss dieser Übergang (wohin auch immer) fließend funktionieren. Jetzt den Stecker ziehen würde alles nur ins Chaos stürzen und dann können wir die Scherben einsammeln und neu anfangen. So ist es in der Geschichte immer wieder passiert, verbunden aber mit viel Leid. Die Hoffnung besteht, auch dank solcher Veranstaltungen, dass wir dieses Mal einen Übergang schaffen. In ein komplett neues Wirtschaftsmodell. Danke Günther und seinem Team für die tollen, neuen Erfahrungen. Ich hoffe, uns bleibt noch genügend Zeit den Kurs zu ändern.

So., 26.05.2013 - 07:49 Permalink
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Sepp.Bacher So., 26.05.2013 - 09:30

Ich glaube auch, dass der (junge) Mensch Illusionen, Träume, Visionen und sogar Utopien haben soll. Warum gelingt es aber so wenigen (jungen) Menschen - außer Unternehmern - ihre Träume zu verwirklichen? Weil sie entweder nicht aufhören nur zu träumen, wie Sebastian schreibt, oder weil - wie der Italiener sagt - "Tra il dire e il fare c'é di mezzo il mare". Und das große Meer heißt Realität - und an dieser scheitern viele!

So., 26.05.2013 - 09:30 Permalink
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no name So., 26.05.2013 - 18:31

Antwort auf von Sepp.Bacher

Glaub so einfach ist das nicht. Die Startbedingungen der Träumer sind unterschiedlich und die Realität ist auch für jeden anders. Bei so viel Konzentration der Güter in so wenigen Händen, wird es auch immer schwieriger, einen Traum zu verwirklichen, da bald die Resignation eintritt. Korruption und unmenschliches Regelwerk haben noch eins draufgegeben und bekanntlich ist auch das Gesetz keineswegs für alle gleich. Der Pioniergeist ist geschwächt durch Machtspiele, die nie oder kaum Neulinge aufkommen lassen und die Jugend wird schon früh betäubt und verblödet...das ist mein Eindruck, genauso wie die Querdenker übergangen werden.

So., 26.05.2013 - 18:31 Permalink
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Sebastian Felderer So., 26.05.2013 - 19:37

Die Aussagen von "Weiß Heid" haben mir seit jeher gut gefallen und waren in meinem Bereich. Die Antwort auf Sepp Bachers Kommentar könnte aber besser nicht sein. Realistisch, gut formuliert, ich hätte es nicht so ausdrücken können. Übernehme 1:1, danke.

So., 26.05.2013 - 19:37 Permalink
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no name So., 26.05.2013 - 20:47

Antwort auf von Sebastian Felderer

Danke! Hinzu kommen die Träume der jungen FreiberuflerInnen: sie erhalten nicht die Unterstützung, die Unternehmern zuteil wird und auch da ist es so, wer in die Familienkanzlei einsteigt, steht gut da mit der Selbstverwirklichung, wer von null starten muss, hat keine guten Chancen auf Verwirklichnung seiner Träume.

So., 26.05.2013 - 20:47 Permalink