Politik | Frauen in Führungspositionen

Ursula Plassnik: "Hören wir auf mit dem Minderheitenverhalten"

Ursula Plassnik ist am Abend des 27. September Gastrednerin der SVP-Frauen auf Schloss Maretsch. Und wird aus dem Publikum mit einer typischen „Frauenfrage“ konfrontiert: „Haben Sie Kinder?“

Sabina Kasslatter-Mur reicht es. Nachdem die österreichische Botschafterin in Frankreich und ehemalige österreichische Außenministerin, Ursula Plassnik, mit eindrucksvollen Worten geschildert hat, was Frauen in Führungspositionen gut tut, kam eine platte und wenig bereichernde Wortmeldung aus dem Publikum. „Frau Plassnik, was sagen Sie zu dem Märchen von Beruf und Vereinbarkeit. Und haben Sie selbst Kinder?“ Anwesend etwa 50 SVP Frauen, nicht alle 12 SVP-Kandidatinnen im Publikum. Tagungsort: Schloss Maretsch. Aus dem Eck der Südtiroler Bäuerinnen kam die Frage, die Sprecherin am Pult zeigte sich zunächst unbeeindruckt, versucht die Kurve zu kriegen. „Ich weigere mich die Vereinbarkeit als Märchen ab zu tun“, sagt Plassnik entschieden, fügt hinzu „Familie hat jedeR." Dann holt sie aus und grenzt sich ab: „Die Kinderfrage wird Männern nie gestellt.“ Das Publikum applaudiert, „Wer möchte von der ehemaligen  Außenministerin noch etwas wissen?“, fragt Frauenchefin Angelika Margesin, auf Platz vier der KandidatInnenliste der SVP, in die Runde.

Haben Sie Kinder?
Jetzt die Frage noch mal - eindringlicher gestellt: „Frau Plassnik, Sie haben meine Frage nicht beantwortet: haben Sie Kinder?“ Die bis dahin gute Stimmung schien dahin, Zuhörerinnen blicken sich ratlos an, in der ersten Reihe die Kulturlandesrätin sichtlich nervös. Aufrecht stellt sie sich hin, die groß gewachsene Frau am Rednerpult. Vor wenigen Minuten noch hatte sie erzählt, dass sie in einem „sehr offenen“ Elternhaus groß geworden war, „da gab es keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen.“ Ursula Plassnik blickt ins Publikum und antwortet auf die Frage der Bäuerinnensprecherin: „Private Fragen können wir gerne im Anschluss in einem privaten Gespräch diskutieren. Ich bin hier um über Politik zu reden.“

Fragen aus dem Fraueneck
Nicht leise, sondern laut bringt Sabina Kasslatter-Mur ihren Ärger zum Ausdruck. Ihre Rede ganz vorne war nicht geplant, sie kann nicht länger an sich halten, muss etwas los werden. Frau Plassnik hat die Bühne verlassen, Margesin gerade zum Buffett eingeladen, da nimmt die scheidende Landesrätin das Mikrofon in die Hand. Und mit fester, starker Stimme sagt sie ins Publikum, das auf ein paar feine Abschlussworte gefasst war: „Wir haben die wertvolle Zeit mit Frau Plassnik vergeudet, weil wir die Fragen aus dem Fraueneck heraus stellen. Warum reden wir nicht über Steuern, über soziale Gerechtigkeit?“

Die Giftmappe
Gekonnt legt sie Pausen ein, sie, die vor 20 Jahren selbst in den Wahlkampf zog. Ihre Verletzungen zeigt sie auf, „Wissen Sie was ich mir damals alles anhören durfte, ich hab mir eine Mappe zugelegt, mit groß „Gift“ darauf geschrieben: 'Wos de isch 30 Johr und hot zwoa Poppilen dohoam, wos will en de in do Politik?' - das haben die Leute gesagt.“ Kasslatter-Mur hat Ärger im Bauch. „Und wissen Sie, was sie zur Christine Mayr gesagt haben, die Leute? 'Wos deeee? Hott jo koane Kindo, de vosteat jo nichts?' Kasslatter Mur haut auf den Tisch, „das ist manchmal wichtig, ganz klar Position ziehen“, sagte Plassnik in ihrem Impulsreferat. „Leise auf den Tisch hauen“, meinte die österreichische Politikerin. Doch Kasslatter Mur ist nicht leise, sondern bestimmt, sehr bestimmt, „geht hinaus und motiviert die Leute Frauen zu wählen. Wenn wir net zu tschoppilat sind, dann können wir viele Frauen in den Landtag bringen. Wir haben 12 hervorragende KandidatInnen.“

Welches Profil?
Doch so wenig Profil wie die Fragen der Zuhörerinnen haben, so wenig Profil zeigen die SVP-Kandidatinnen. Ihre große Stunde ist es auf Schloss Maretsch nicht. Faltblätter und Visitenkarten liegen am Tisch „12 Frauen für Südtirol: stark. Anders.gut.“ Doch was ist anders? Was ist gut? Rosa Franzelin, die Koriphäe des Wohnbauinstituts, 20 Jahre lang prägende Arbeitnehmerpolitikerin und Durnwalderkontrahäntin hat Sabina Kasslatter Mur begeistert Applaus gespendet. „Genau so war es“, sagt Franzelin. „Genau so. Und jetzt, 20 Jahre später, müssen sich Frauen noch immer solche Fragen stellen lassen.“ Franzelin schaut sich das Faltblatt der SVP-Frauen an. „In der Politik, in Führungspositionen müssen Frauen Konflikte aushalten“, sagte Frau Plassnik in ihrem Vortrag, damit hatte die Vollblutpolitikerin Franzelin wohl nie Probleme und sie orakelt: „Die Kuenzner wird es wohl schaffen, kriegt die Stimmen der Bauern, die Felderer hat einen starken Verband hinter sich, die Deeg tritt das Erbe ihrer Mutter an. Sie ähnelt ihrer Mutter, kann klar formulieren. Ich weiß noch, wie die Waltraud 'ihre Letze' immer mit hatte. Bei der Generation über 60 zieht das, wissen Sie?“ Doch wofür stehen die Neuemporkömmlinge?

Marie Mawe ("Ich war schockiert über das Frauenbild in Südtirol und über die ganze Bürokratie hier") wird an diesem Abend Frau Franzelin grüßen, auch Birgit Dissertori Psenner ("Ich stehe zu dem Familienmodell Vater, Mutter, Kind") setzt sich zu ihr an den Tisch. „Familienpolitik habe ich über die Wohnbaupolitik gemacht“, sagt Franzelin, die Zahlengewanndte. „Die Krise hab ich dem Durnwalder schon 2003 vorhergesagt.“

Im vor sich hinköchelnden Wahlkampf schimmern konkrete Sachthemen kaum durch. Diese Wahltour ist leise, angepasst, harmonisch, "eine langweilig Veranstaltung, sagen viele", schreibt Kurt W. Zimmermann in der "FF". Nein, keine Langeweile, "die im politischen Betrieb dieses Landes eingezogen ist. Eingezogen ist die Normalisierung." Erfrischend unnormal waren die lauten Worte von Kasslatter Mur und eine Zuhörerin raunt der anderen zu: „Mit dieser Rede würde sie die 16.000 Stimmen wohl wieder kriegen.“

Frau Plassnik kehrte etwas verstimmt ins Hotel Laurin zurück. Dass Frauen aus dieser Opferhaltung nicht heraus kommen, ja, das bedrückt sie. „Der halbe Himmel gehört uns“, hatte die ÖVP-Politikerin zu den SVP-Frauen gesagt. „Hören wir auf mit diesem Minderheitenverhalten, werden wir unbequem, fordern wir Respekt ein, seien wir kompetent.“ Sie motivierte und musste am Ende eingestehen: Traditionelle Rollenbilder sind festgefahren, halten sich hartnäckig. Niemand lässt gern los in Zeiten des Wandels. Von Strukturen, die Sicherheit gaben. Und sei es nur die unter Frauen typische Frage: „Haben Sie Kinder?“