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Umwelt | Klimaschutz

Brenner Green Corridor: Fata Morgana?

Natürlich nicht, sondern ein konkret betriebenes Projekt, festgeschrieben im Mobilitätsplan 2035 und im Klimaplan des Landes, auch im Wasserstoff-Masterplan des Landes.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Verkehr Brennerautobahn
Foto: Seehauserfoto
  • Nein, natürlich nicht, sondern ein konkret betriebenes Projekt, festgeschrieben im Mobilitätsplan 2035 und im Klimaplan des Landes, auch im Wasserstoff-Masterplan des Landes. Die A22 soll zur emissionsfreien Transportschiene werden, bestückt mit einem dichten Netz an H2-Tankstellen und E-Ladesäulen nebst zwei H2-Produktionsstätten im Land. Alles voll digitalisiert im Ablauf und Verfügbarkeit. Leise schnurren E-LKW und H2-Busse durchs Eisacktal, kein CO2 mehr in der Luft, die A22 stark entlastet durch ein gigantisches Tunnelsystem für die Bahn. Die E-Vision für den Güterverkehr 2040 oder recht optimistische Illusion?

    Wer soll das bezahlen?

    Illusion vermutlich deshalb, weil sowohl die Zeit wie die Kosten in die Quere kommen könnten: die ganze Infrastruktur des Grünen Korridors müsste in nur 16 Jahren stehen, um die Klimaneutralität Südtirol klimaplangemäß sicherzustellen. Zudem müsste es sich um grünen Wasserstoff handeln, denn heute speist sich der geringe Verbrauch an H2 im Land aus grauem Wasserstoff aus anderen Regionen. Morgen wird immer mehr lokal erzeugter grüner Strom für die Elektrifizierung von Heizung, private E-Mobilität und den ausgebauten ÖPNV benötigt. Für die H2-Herstellung in großem Stil wird das knapp und teuer, denn sie konkurriert mit den anderen Stromverwendungen.

    Dasselbe gilt auch für die E-LKW für den Transit-Schwerverkehr auf der A22. Wenn bei Vollauslastung 400 Güterzüge am Tag durch den BBT rauschen, gespeist auch aus Südtiroler Strom, wo bleibt dann der Strom für 2,2 Millionen LKW-Fahrten im Jahr 2040, wie prognostiziert? Warum genau 2,2 Mio. Fahrten? Der Mobilitätsplan 2035 geht davon aus, dass bis 2040 der Güterverkehr gegenüber heute (2022: 2,48 Mio. Fahrten) um nur -10,7% sinken wird, trotz gleichzeitiger Verdoppelung des Transportvolumens auf der Bahn. Dahinter steckt wohl die sehr optimistische Vorstellung, dass für alles Geld und Strom vorhanden sein werden: für den BBT und alle Zulaufstrecken, für die Infrastruktur des grünen Korridors und die komplette Umrüstung des Fahrzeugparks. Der Steuerzahler muss sich rüsten. Doch genau diese Durchrechnung der Stromproduktion und des Stromverbrauchs fehlt in Südtirol, im Unterschied zum Energieszenario Tirol 2050. Allerdings setzt auch die gesamte EUREGIO auf eine Wasserstoffstrategie.

    Neue EU-Schadstoff-Grenzwerte bieten Chance auf Reduzierung des Schwerverkehrs

    Der „Green Corridor“ könnte mehr sein als eine bloße Zukunftsvision. Weniger Schadstoffe und Lärm wären heute schon ein Zugewinn an Lebensqualität für zehntausende Anrainer. Einige Politiker sind da anderer Meinung: „Wenn künftig die WHO die Grenzwerte festlegt, dann haben wir ein Problem. Wir müssten dann nämlich den Bürger und Bürgerinnen erklären, dass sie nicht mehr ihr Auto benutzen und die Heizungen aufdrehen dürfen, wenn die Grenzwerte überschritten werden“, sagte MEP Dorfmann zu seiner Gegenstimme gegen die Verschärfung der Grenzwerte bei Stickstoffdioxid, Ruß (PM), Ozon und Schwefeldioxid. Eine sehr verquere Argumentation.

    • Wenn Bürger, statt „Heizungen aufdrehen“ auf schadstoffarme Autos und Heizungen umrüsten, ist das genau im Sinne ihrer Gesundheit, der Luftqualität und des Klimaschutzes.
    • Gerade die Schadstoffgrenzwerte haben dafür gesorgt, dass die Autoindustrie endlich massiv umrüstet (EURO-6-Klasse), niedrigere Grenzwerte sind ein heilsamer Zwang zu mehr Kostenwahrheit.
    • Speziell für die Reduzierung des Straßenverkehrs (PKW und LKW) braucht es diese Verschärfung. Es gibt den Bürgern eine Handhabe, ihr Recht auf Gesundheit konkret einklagen zu können. Endlich könnten die Anrainer rechtlich durchsetzen, dass mehr Schwerverkehr sofort auf die Bahn verlagert muss. Man könnte mit EU-Regeln fordern, dass das 100 km/h-Limit für PKW auf der gesamten A22 eingeführt wird, nicht nur in Tirol. Gerade die im Mobilitätsplan vorgesehene Ausbau der Öffis wird dafür sorgen, dass Bürger auch ohne eigenes Auto mobil sind.

    Wenn er nicht eine ferne Fata Morgana sein will, muss der „Brenner Green Corridor“ heute schon Schritt für Schritt alle Handlungsspielräume für den Schutz der Anrainer vor Luft- und Lärmverschmutzung und des Klimas nutzen. Tirol macht es vor: Nachtfahrverbot, sektorales Fahrverbot, Blockabfertigung, mehr Kontrollen, Geschwindigkeitsbegrenzungen auch bei PKW, LKW-Dosiersystem, Euroklassen-Fahrverbot. „Grün“ wird die Brennerachse nicht erst durch H2 in ferner Zukunft.

    Heute schon umsteuern

    Der gesamte innere Alpenbogen (Fréjus bis Brenner) wurde 2021 von 5 Millionen schweren Strassengüterfahrzeugen gequert (2022: 2,48 Mio. auf dem Brenner). Der größte Teil davon benutzte die österreichischen Alpenübergänge (53%). Die Anteile der Schweiz (18%) und Frankreichs (29%) waren deutlich kleiner. Allein 39,7 Mio. Tonnen von insgesamt 72,5 Mio t des Straßengüterverkehrs zwischen Frejus und Brenner schluckte die Brennerroute, also 54,7%. 29,5% davon sind laut Mobilitätsplan 2035 Umwegverkehr. 

    Wenn die Brennerroute nicht verteuert und reglementiert wird mit Priorität für die Auslastung der schon bestehenden Bahnkapazitäten, wird dieser Umwegverkehr vor allem gegenüber den Transitrouten der Schweiz nicht reduziert. Umweg- statt Bestwegverkehr steht grundsätzlich in Widerspruch zu den Klimazielen der EU, der Schweiz und zur Mobilitätsstrategie der EU.

    Die technische Möglichkeit des Wasserstoffantriebs für die Mehrheit der LKW ist unwahrscheinlich, weil die Herstellung von so viel grünem Wasserstoff zu kostspielig ist. Außerdem wird der grüne Strom sowohl für den Südtiroler Bedarf wie für den Ausbau der Bahnlinien gebraucht. Grauer Wasserstoff verbessert die CO2-Emissionen nicht. E-LKW werden kommen, doch die Umrüstung des Fuhrparks wird wiederum aus Kostengründen viel mehr Zeit in Anspruch nehmen als heute in Aussicht gestellt. Außerdem besteht die Gefahr des Reboundeffekts: wenn auf der A22 hochpotente Schnellladesysteme für E-LKW installiert werden, bleibt die A22 eine enorme Konkurrenz zur Bahn. Damit riskiert man, dass der BBT nicht ausgelastet wird, wie es heute schon beim Gotthard- und beim Lötschberg-Simplon-Tunnel der Fall ist, die 2022 zusammengenommen nur zur Hälfte ausgelastet waren.

    Und damit zur Ausgangsfrage: der Brenner Green Corridor eine Fata Morgana? Ja, eine Art blindes Vertrauen in die Mach- und Finanzierbarkeit eines überentwickelten Gütertransportsystems quer durch die Alpen. Der Brenner schluckt heute schon fast die Hälfte des gesamtalpinen Schwerverkehrs.  2040 werden es laut Prognosen des Südtiroler Mobilitätsplans um nochmals 39,5% mehr sein, also rund 76 Mio Tonnen Güter. Dieses Mengengerüst an Fahrzeugen und Gütern klimaneutral über die Alpen zu bewegen und das in schon 16 Jahren, mag wohl auch für die Techniker hinter den Plänen eher illusorisch sein.